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Christian Felix
Weisse
(1726-1804)
Chloe im Bade
Ich habe Chloen im Bade gesehn,
Wie reizend war sie nicht! wie schön!
Sie stand als eine der Himmlischen da,
Die Paris auf dem Ida sah.
Gleich einer Lilie hinter Crystall,
So glänzte sie jetzt überall:
Ihr Busen glänzte - - - geblendet zu sehr,
Sah ich vor Glanze gar nichts mehr.
(S. 59)
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Philomele
Ach, Thyrsis! welchen süssen Schmerz
Singt Philomele mir ins Herz!
Es schmilzt von ihren Klagen.
Ach, Thyrsis! wenn du jetzo kämst,
Mich küssend in die Arme nähmst,
Was könntest du nicht wagen!
(S. 123)
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Der Kuss
Ich war bey Chloen ganz allein,
Und küssen wollt' ich sie;
Jedoch sie sprach, sie würde schreyn,
Es sey vergebne Müh.
Ich wagt' es doch, und küsste sie
Trotz ihrer Gegenwehr.
Und schrie sie nicht? Ja wohl, sie schrie, -
Doch lange hinter her.
(S. 135)
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Aus: Kleine lyrische
Gedichte
von C. F. Weisse I. Theil
Wien Gedruckt und verlegt bey F. A. Schraembl
MDCCXCIII. [1793]
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