Johann Wolfgang von Goethe
(1749-1832)
An Venus
Große Venus, mächtge Göttin!
Schöne Venus, hör mein Flehn!
Nie hast du mich
Über Krügen vor dem Bacchus
Auf der Erden liegen sehn.
Keinen Wein hab ich getrunken,
Den mein Mädchen nicht gereicht,
Nie getrunken,
Daß ich nicht voll gütger Sorge
Deine Rosen erst gesäugt.
Und dann goß ich auf dies Herze,
Das schon längst dein Altar ist,
Von dem Becher
Güldne Flammen, und ich glühte,
Und mein Mädchen ward geküßt.
Dir allein empfand dies Herze,
Göttin, gib mir einen Lohn.
Aus dem Lethe
Soll ich trinken wenn ich sterbe,
Ach, befreie mich davon,
Laß mir, Gütige - dem Minos
Sei's an meinem Tod genung -
Mein Gedächtnis!
Denn es ist ein zweites Glücke
Eines Glücks Erinnerung.
Aus: Johann
Wolfgang von Goethe
Goethes Gedichte in zeitlicher Folge. Insel Verlag.
Herausgegeben von Heinz Nicolai. 7. Auflage 1990
(S. 65-66)
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