BESCHEIDEN
Bescheiden seyn, sich in Wort und Thaten nicht gar zu weit herauslassen,
ist eine Tugend, welche nur dem Namen nach bekannt ist.
Wer bescheiden ist pflegt zu gefallen,
Sagt er ein Geheimniß nur nicht allen;
Zwar er darf der Schönheit Strenge schon beklagen,
Doch die Gunst, so er genossen, niemals sagen.
Man thut gerade das Gegentheil dieser Maxime und die Eigenliebe geht
zwar mit demjenigen sehr bescheiden um, was sie zu beleidigen scheint,
aber sie machet dasjenige mit Vergnügen kund, was ihr angenehm ist. An
statt des Schweigens würde man vielmehr seine Zuflucht zu der Erfindung
des Balbiers vom Mida nehmen. Da aber ein Verliebter überzeugt ist, daß
die Unbescheidenheit eine große Hinderniß auf Seiten der Schönen ist, so
trägt er viele Sorgfalt den Argwohn hierinnen abzulehnen.
Ich bin bescheiden etc. will demnach sagen: Sie müssen so wenig
als möglich ist, an meiner Bescheidenheit zweifeln. Ich bemühe mich
ihnen hierbey die Versicherung zu geben, daß ich von der Gunst, so sie
mir zugestehen wollen, mit so verdeckten Worten reden, und das Geheimniß
meinen Freunden sowohl anbefehlen werde, daß sie nur wenig zu befürchten
haben.