GETREU
Getreue Liebhaber und langwierige Leidenschaften sind nunmehro nur eine
Zierde der Bücher und ein Anstrich der Schaubühne. Man kann die Art, wie
wir heutiges Tages unsere Liebe anstellen, mit dem lächerlichen
Gottesdienste vergleichen, welchen die Heiden einigen von ihren
Gottheiten erwiesen. Es gab Weiber, welche sich anstellten, als kämmten
sie die Juno, indem sie die Finger und Hände bewegten, als wenn sie
wahrhafte Haare ausgekämmet hätten, sie zogen sie an und damit sie
wissen möchten, ob die Göttin so zufrieden wäre, so ließen sie dieselbe
in einen Spiegel schauen. Diese lächerlich ernsthafte Verehrung gleicht
derjenigen nicht übel, welche ein Verliebter seiner Schönen erzeigt. Er
fällt vor dieser kleinen Gottheit auf die Knie, und erweißt ihr dem
Schein nach im Ernst viele Ehrenbezeugungen, darüber er in seinem Herze
lacht, er opfert ihr zubereiteten Weyrauch und erdichtete Gelübde.
Alsdann verspricht man Treue bey allen Prüfungen, aber nur den Worten
nach. Wir überlassen den Holländern diese Scrupel, welche machen, daß
sie die elenden Ueberbleibsel einer alten Neigung schwächlich
unterhalten, aus Furcht sie möchten für Betrüger angesehen werden. Ein
getreuer Liebhaber wird bey uns entweder für einen schlechten Menschen
oder für einen, der das zärtliche Vergnügen nicht wohl versteht,
gehalten.
Unter der Treue versteht man demnach den festen Entschluß mit einer
grausamen zu Stande kommen, und ein getreuer Liebhaber, ist ein
Liebhaber der noch nichts erhalten hat: die genoßne Gunst ist das Grab
der Treue.