UNBESCHEIDEN
Unverständig, tumm, wenn man zu rechter Zeit weder schweigen noch reden
kann.
Die Unbescheidenheit ist ein unauslöschliches Kennzeichen unserer
Nation, hauptsächlich in der Liebe. Das Vergnügen geliebt zu werden, ist
demjenigen nicht gleich, welches wir haben, dem Volke davon Nachricht zu
geben, daß wir geliebt werden:
Französische Bescheidenheit
Ist wider die Natur erzwungenes Bezeigen:
Es läßt so bürgerlich die Wollust zu verschweigen,
Womit uns oft die Lieb' erfreut.
Diejenige Unbescheidenheit, so am wenigsten zu tadeln, ist die, so aus Uebereilung geschieht, denn es giebt Unbescheidne die es mit Fleiß sind:
die Stutzer zum Exempel, welche bey ihren Liebeshändeln die
Gemüthsbeschaffenheit Alexanders bey seinen Eroberungen haben. Er
schätzte den Achilles für sehr glückselig, daß er einen Homer gehabt,
der seine Tapferkeit beschrieben, und er konnte sich nicht entbrechen
einsmals mitten in dem stärksten Gefechte auszurufen, daß alles dieses
was er thäte, nur deswegen geschähe, damit er von den beredten Münden zu
Athen gelobet würde.
Es ist mit diesem gelassenen Unbescheidenen, eben so beschaffen. O
Pariser! könnten sie sagen, wenn man sie von der Comoedie zu den
Tuilerien, von den Tuilerien zur Opera laufen, mit den Augen
herumgaffen, lachen, scherzen, zu gleicher Zeit in den Logen auf der
Schaubühne und in den Erkern siehet.
O Pariser, sage ich, möchten sie schreyen:
wenn ihr alle Mühe wüßtet, so ich mir gebe, in eurem Verstande für einen
solchen Menschen gehalten zu werden, der von dieser oder jener verehret
wird, oder welcher glücklich ist!
Man kann diese unbescheidenen nicht genug vermeiden, und ein Verliebter,
wenn er gleich von aufrichtigem Gemüthe ist, mag noch so viele
Bescheidenheit versprechen, so hat man doch sich diesfalls sehr in Acht
zu nehmen.
Ist gleich die Liebe schlau, ist sie doch unbescheiden,
Und kann, auch wenn sie schweigt, nicht den Verrath vermeiden.