Liebeslyrik - Miniaturen

Gedichte und Gedicht-Zitate (Stichwort: Sünde)
 


Franz Marc (1880-1916)
Liebespaar


 



 

Stichwort: Sünde

16./17. Jh.      18. Jh.      19/20. Jh.

 

16./17. Jh.
 

  • Christoph Gottehr Burghart (1682-1745)

    Als sie von der thüre weglieff /
    da sie ihn kommen sahe

    Wie? flieht mein engel denn vor ihrem Saladin?
    Und will fort keinen gruß aus seinem munde hören?
    Noch seine demuth mehr durch einen blick verehren /
    Was muß die uhrsach seyn? war ich vielleicht zu kühn /
    Als sich mein auge ließ zu deinen sternen ziehn?
    Wie / oder will dich sonst ein falscher wahn bethören /
    Und etwas wiedriges von deinem knechte lehren?
    Doch nein / ich irre sehr: ich weiß ja was ich bin /
    Ein Mensch voll
    sünden wust / voll ungeheurer Mängel
    Du aber heist und bist ein unbefleckter engel /
    Nun kan ein engel ja bey keinem
    sünder stehn /
    Denn von den lastern wird der reine geist vertrieben
    Was wunder! daß du nicht bist an der thüre blieben /
    Als ich nechst hin zu dir / O engel / wolte gehn.
    _____


    An eine Nonne

    Darff sich was weltliches in deine zelle wagen?
    Darff wohl / O heilige / bey dir ein
    sünder stehn?
    Du pflegest sonsten zwar mit engeln umzugehn;
    Jedoch GOtt selber will sein hauß uns nicht versagen /
    Wann wir nur an die brust mit leyd und reue schlagen:
    Mich drückt der
    sünden-last; du wirst dein lob erhöhn /
    Woferne du mich läst bey dir zur beichte gehn;
    So laß dich doch um rath vor mein gewissen fragen /
    Du bist die Priesterin; dein leib ist mein Altar /
    Die beyden lichter drauff sind deiner augen paar;
    Der tempel aber selbst ist deine dunckle zelle /
    Ach sprich mich / heilige / von meinen
    sünden loß /
    Die straffe leg' ich dir ganz willig in die Schooß /
    Wo nicht / so bringet mich die schuld noch in die hölle.
    _____


     

  • Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616-1679)

    Laß Sylvia die reine glut /
    So mir entzündet geist und blut /
    Dich liebste nicht zum zorn bewegen.
    Wer kan für deinen augen stehn /
    Und unentbrannt von dennen gehn /
    Wenn sich des geistes trieb will regen?

    Nicht falle doch der meinung bey /
    Daß reine liebe
    sünde sey /
    Die GOtt in unser herz geschrieben /
    Die selbst sein mund im paradies
    In uns mit unserm athem bließ /
    Der uns geboten hat zu lieben.

    Soll meine liebe
    sünde seyn /
    So wisse / daß dein schöner schein
    Zu dieser
    sünde micht getrieben /
    Und glaube / daß die kluge welt
    Vor leibliche geschwister hält /
    Die schönheit und den trieb zu lieben.

    Drum folg ich der natur gebot /
    Ich bin kein stein und auch kein gott /
    Ich muß in deinen flammen brennen.
    Mir ist gefesselt geist und muth /
    Drum will ich auch des herzens glut
    Vor GOtt und dir nur frey bekennen.

    Hier ist mein demuth-volles herz /
    So sich verbindt in lieb und schmerz
    Mit gleicher andacht dir zu dienen.
    Nim Sylvia das opfer hin /
    Laß augen-trost in deinem sinn /
    Vergiß mein nicht im herzen grünen.

    Ich bleibe dein / biß daß mein geist
    Aus meinem reinem herzen reist /
    Biß man mich wird zur leiche machen.
    Laß Sylvia mein tausend-schön /
    Mich nur bey deinen rosen stehn /
    So will ich aller dornen lachen.
    _____


    Als Er Melinden durch einen kuß
    erzörnet hatte

    Mein frühling ist verschwunden,
    Ich spühre nichts, als rauhe winters-zeit;
    Das haupt hält flor umwunden,
    Mein herze steht in schwarzen boy gekleidt;
    Was ist die grösse meiner missetat,
    Daß ich mich soll im leben selbst begraben?
    Mein kind! der himmel lobt nicht diesen rath,
    Du wilst zu schwere buß' auf kleine fehler haben.

    Ich habe nichts verbrochen,
    Mein mund hat deinen purpur nur berührt;
    Muß dieser seyn gerochen
    Mit blitz und feur, das dein gesichte führt?
    Dein glanz wird ja durch keinen kuß versehrt:
    Was himmlisch ist, wird nie von irrdischen befleckt.
    Was hat die sonn an ihrem schein gestöhrt,
    Obgleich ihr helles licht auch schwarze erde decket.

    Dein himmel ist umzogen,
    Itzt seh ich nichts als nur cometen stehn;
    Was hat dich nun bewogen,
    Melinde! daß dein knecht soll untergehn?
    Ich bin kein holz, auch nicht ein harter stein,
    Mein herze muß in blut und regung wallen.
    Selbst engel können nicht ohn fehler seyn,
    Du weist, wie sie vor dem auch eben sind gefallen.

    Doch sinck ich dir zu füssen,
    Melind‘! allhier liegt dein entseelter knecht;
    Er will die fehler büssen,
    Ach! laß erbarmung gehn vor strenges recht,
    Nicht schaue mich mit harten blicken an!
    Kein schwaches auge kan den hellen blitz ertragen,
    Du weist, wie leicht es um uns ist gethan,
    Wenn uns der donner will mit scharffen keilen schlagen.

    Laß deine sonn aufgehen,
    So zeigt mein himmel auch sein freuden-licht.
    Wer kan vor dir bestehen,
    Wenn rach und zorn aus deinen augen bricht?
    Drüm falle nicht der strengen meynung bey:
    Daß liebes-
    sünden nur sind durch den tod gehoben.
    Die hölle lehret uns, was grausam sey,
    Den himmel hört man stets von gnad und güte loben.
    _____


     

  • Christian Hölmann (1677-1744)

    Auf Clelien

    Der schönen Clelie stehn alle
    sünden frey:
    Das stehlen, denn sie hat mein herze mir genommen:
    Das lügen, denn sie spricht: daß dem nicht also sey;
    Das morden, ich bin fast durch sie ums leben kommen;
    Die hoffart, denn sie sieht mich offetrmahls kaum an;
    Die unbarmherzigkeit, sie achtet nichts mein klagen;
    Ja was vor
    sünden man nur immer nennen kan,
    Die kan ich insgesamt von dieser schönen sagen.
    _____


     

  • Benjamin Neukirch (1665-1729)

    Wer sich in stiller glut verbrennt /
    Und menschen-liebe
    sünde nennt /
    Muß auch das paradieß verdammen;
    Denn Evens weisse marmel-haut
    War kaum aus knochen auffgebaut /
    So fühlte Adams herz schon süsse liebes-flammen.
    _____


     

18. Jh.
 

  • Sophie Albrecht (1757-1840)

    An mein Kreuzifix
    Im November 1784

    Wenn wir uns bebend in den Armen liegen,
    Und fast die Macht der starken Tugend sinkt;
    Wenn seine Lippe heiß, mit vollen Zügen
    Den Feuerkuß von meinen Lippen trinkt;
    Die Seele glaubt, daß sie nur Liebe fühlet
    Und Wollust schon sich in die Adern stiehlet:

    Wenn wir nur unsre Liebe noch empfinden
    Und jeder andre Sinn uns treulos flieht;
    Die Pulse laut den Sieg des Blutes künden
    Und Aetnas Gluth in unsern Wangen glüht;
    Wenn zu des Busens ungestümen Schlagen
    Sich unsre Engel zitternd nicht mehr wagen:

    Dann blick ich hin nach deinen Sterbezügen,
    Und dieses tief herabgesenkte Haupt
    Winkt Muth mich loszureißen vom Vergnügen,
    Das frech den Kranz der lautern Minne raubt,
    Und schwöre keusch bei deiner Duldermiene:
    Dem Tage Fluch, wo ich der
    Sünde diene! –
    _____


     

  • Gabriele von Baumberg (1768-1839)

    Nantchens Unbussertigkeit

    Ihn lieben wäre
    Sünde! Nein!
    Das glaub' ich nimmermehr!
    Doch wenn es wirklich Sünde wär',
    Die
    Sünde könnt' ich selbst im Tode nicht bereun.
    _____


     

  • Gottfried August Bürger (1747-1794)

    Lied

    Mein frommes Mädchen ängstigt sich,
    Wann ich zu viel verlange;
    Die Angst der Armen macht, daß ich
    Von Herzen mir erbange.

    Schwebt unversucht alsdann vor mir
    Der Wollust süßer Angel,
    So härmt sie sich noch ärger schier
    Und wähnet Liebesmangel.

    So, hier und dort gebracht in Drang,
    Ersticken unsre Freuden.
    O Liebe, löse diesen Zwang
    An einem von uns beiden!

    Gib, daß sie mich an Herz und Sinn
    Zum Heiligen bekehre,
    Wo nicht, daß sie als
    Sünderin
    Des
    Sünders Wunsch erhöre!
    _____


     

  • Johann Christian Günther (1695-1723)

    ALS ER DAS, WAS ER LIEBTE, ENTBEHREN MUSTE

    ETWAS lieben und entbehren
    Ist ein Schmerz, der heimlich quält;
    Wenn die Blicke Zungen wären,
    Hätten sie dir längst erzehlt,
    Was dein Wesen, kluges Kind,
    Über mich vor Macht gewinnt.

    Dencke, wie es martern müße,
    Wenn ein müder Pilgersmann
    Von dem Ufer tiefer Flüße
    Keinen Trunck erreichen kan
    Und mit Sehnsucht und Verdruß
    Wasser sehn und dursten muß.

    Deiner Schönheit reife Früchte
    Martern mich ja auch zu scharf,
    Denn sie sind nur Schaugerichte,
    Die mein Mund nicht kosten darf.
    O betrübter Appetit,
    Der verbothne Früchte sieht!

    Schilt dein zorniges Empfinden
    Mein verwegen Lüsternseyn,
    So vergieb den schönen
    Sünden,
    Denn sie sind hauptsächlich dein,
    Weil du gar so reizend bist,
    Daß man sich aus Lust vergißt.

    So ein feuerreich Gemüthe,
    Das die netten Glieder lenckt
    Und sowohl Verstand als Güte
    Unter Blick' und Küße mengt,
    Solches, sag ich, läst nicht zu,
    Daß man unempfindlich thu.

    Gleichwohl lern ich mich bescheiden
    Und begnüge mich daran,
    Wenn dein Bild mein stummes Leiden
    Nur im Traume lindern kan
    Und ich nachmahls auf den Tag
    Dir die Ehrfurcht zeigen mag.
    _____


    WILTU zürnen, liebstes Kind,
    Ach so zürne mit dem Glücke,
    Deßen Unrecht, Zorn und Tücke
    Unsrer Trennung Ursach sind;
    Zürne gar mit meinem Herzen,
    Das vorhin in Stücken bricht,
    Ich verbeiße gern die Schmerzen,
    Fluche nur der Liebe nicht!

    Fluche nur der Liebe nicht!
    Was dein zärtlich Fleisch erduldet,
    Hat sie warlich nicht verschuldet,
    Ob es gleich die Misgunst spricht.
    Mein Verhängnüß, nicht dein Küßen,
    Hat dich in den Gram gesezt,
    Der mein redliches Gewißen
    Zwar betrübt, doch nicht verlezt.

    Daß du mir als meine Braut
    Auf ein keusches Widerstreben
    Seele, Geist und Brust gegeben
    Und mir, was du hast, vertraut,
    Ist so wenig eine
    Sünde
    Als mein Kuß ein Judaskuß,
    Ob ich gleich von meinem Kinde
    Unverhoft entrinnen muß.
    _____


     

  • Klamer Eberhard Karl Schmidt (1746-1824)

    Prüfung des Küssens

    Meine fromme Mutter spricht:
    "Küssen, Küssen, Kind, ist
    Sünde!"
    Und ich armer Sünder finde
    Doch das Ding so
    sündlich nicht!

    Mord und Diebstahl, weiß ich wohl,
    Sind erschreckliche Vergehen:
    Aber Den will ich auch sehen,
    Der mir Das nachsagen soll.

    Meine Küsse stahl ich nie!
    Doris giebt von freien Stücken;
    Und ich seh's an ihren Blicken,
    Schöner macht das Küssen sie!

    Auch geschieht es wohl, das wir
    Uns vor Lust die Lippen beißen;
    Aber soll das Morden heißen?
    Gott bewahre mich dafür!

    Mutter, Mutter! Schwätzerei!
    Küssen
    Sünde? Wär's auch eine;
    Nun ich armer
    Sünder meine,
    Daß sie nicht zu lassen sey!
    _____


    Das Vergißmeinnicht
    An Eloisa

    Wenn du einst in neuem Liebesstrahle
    Wege gehst, die du vordem nicht gingst,
    Und für mich die fürchterliche Schale
    Des Vergessens an die Lippen bringst;
    Wenn dein Auge, das für mich nur glühte,
    Mir abwendig, einem Andern spricht,
    Dann dich mahnen mag die kleine Blüthe:
    Sünderin, vergiß ihn nicht!

    Wenn ein Jüngling, mächtiger und weiser,
    Doch nicht treuer, um dein Lächeln wirbt,
    Und du lächelst, und die Treue leiser
    Meinen Namen nennt, und dann erstirbt;
    Dann verbiet', o Mädchen, dann verbiete
    Jeder Thräne, die für mich noch spricht!
    Sprechen aber wird die kleine Blüthe:
    Sünderin, vergiß ihn nicht!

    Wenn in Blicken, die wie Funken stäuben,
    Der geliebte Glückliche nun praßt;
    Und nach kurzem mädchenhaften Sträuben,
    Dich sein voller Liebesarm umfaßt;
    Dann verbiet', o Mädchen, dann verbiete
    Jedem Seufzer, der für mich noch spricht;
    Sprechen aber wird die kleine Blüthe:
    Sünderin, vergiß ihn nicht!
    _____


     

  • Eulogius Schneider (1756-1794)

    Die Moral der Liebe
    (An Lina)

    Alles weiss ich zu geniessen,
    Weiss die Liebe zu versüssen,
    Weiss auch Alles zu entbehr'n,
    Was Gesetze mir verwehr'n.

    Wenn ich Dir ins Auge blicke,
    Dich an meinen Busen drücke,
    Sage: o wie lieb' ich Dich!
    Welche
    Sünde thue ich?

    Halbgewaltsam Dich umschlingen,
    Jezt Dir einen Kuss erzwingen,
    Jezt an Deinem Busen ruh'n,
    Ist das mehr, als Engel thun?

    Dir um Kinn und Wange tändeln,
    Freilich unter tausend Händeln,
    Freilich, wie von Ohngefähr,
    Wer verdammt's? - Der Stoiker.

    Dann mit einer Flut von Küssen
    Die begangne
    Sünde büssen,
    Und aufs neue sie begeh'n,
    Sei's nicht recht - es ist doch schön!
    _____


     


19./20. Jh.

 

  • Lisa Baumfeld (1877-1897)

    Sünde

    (Gemälde von Franz Stuck)
    Allein die Sünde ist unendlich reich ...
    (Loris)

    ... Ein weißes Weib lehnt in den dunklen Falten
    Mit steinig weißen, grau'nhaft schönen Gliedern,
    An die sich gleißend eine Schlange schmiegt ....
    Mit bleichem, sündhaft schönem Antlitz ...

    Aus seinen Zügen leuchtet, blaßroth schwellend,
    Ein wundersüßer Mund, der vieles sagt,
    Und lächelnd ... viel verschweigt ...
    In ihrem Aug', dem trunk'nen, zaubertiefen,
    Brennt sehnsuchtsfeucht ein Blick, der lockt und fängt
    Und schmeichelnd kost und tödlich wundet
    Und glühendheiß macht und den Sinn verwirrt ...

    Wer bist du, seltsam Weib?
    Was glüht in deinen Lippen?
    Was rauscht sirenengleich
    Aus deiner Augen Meer?

    »Mein Name ist der älteste hienieden.
    Ich bin im Hauch der starren Tuberose,
    Der schweren, die in weißen Gluten brennt ...
    Ich bin, wo tolle Rhytmen wirbeln
    Und Menschen lachend sich dem Klang hingeben
    Und sinnberauschet in den Tod sich wirbeln ...
    In allem Dufte, der dich trunken macht
    Und süß zu Tode küßt und duftet ...
    Bin im Accord, der brausend dich durchflutet,
    Und deine Seele streichelt und zerreißt,
    Dich elend macht und doch unsagbar glücklich!

    Mein Reich ist, wenn der silberweiße Mond
    Sein schimmernd Gift in Erdenwunden hinweint,
    Und Lieb' und Wahnsinn durch die Lüfte rasen ...
    In blassen schönen Frau'n kannst du mich fühlen.
    Ich weh' als Athem in des Mundes Gluten,
    Ich zuck' in ihrer Hand, die dich erbeben macht ...
    Ich bin im Duft der weichen Frauenhaare
    Und hab' an ihrer Brust, der kalten, dich durchfröstelt
    Und fiebre in dem Kuß, der dir das Herz versengt ...

    Komm', komm' zu mir! Ich weiß ein schönes Märchen
    Und weiß, dein Herz ist krank ... ich küsse dich gesund!
    In meinem Arm ist seliges Verbluten ...
    Komm', komm' zu mir! Ich weiß ein schönes Märchen ...
    _____


    Parfum Tubéreuse

    "Mon âme voltige sur les parfums ..." (Baudelaire)

    Ich will aus schwerem Duft und
    Sünden
    Ein süsses Zauberreich begründen.
    Und tödten will ich Schmerz und Seele.
    Und glücklich sein, wenn ich dich quäle!

    Sieh', droben die zitternden, grausamen Sterne,
    Die gähnende, schwindelnde, ewige Ferne,
    Und alles, was oft mich durchgraut und umflirrt,
    Und was die Gedanken zum Wahnsinn verwirrt -
    Es will mich erfassen, durchfiebern, umkrallen...

    O! lass' die Gardine, die rauschende, fallen!
    Und lehn' dich so träg' an den weiten Kamin
    Ge'nüber der Ottomane hin!
    Ich will mich in die Seide schmiegen,
    Den Kopf so müde seitwärts biegen,
    Wie du es liebst ...

    Zurückgelehnt.
    Ganz still und schmerzlich süss versehnt,
    Umhaucht von fliederheller Seide,
    Umzuckt von flackerndem Geschmeide,
    Berauscht von dem eig'nen berauschenden Leib ...
    Ganz Schönheit und Lächeln ... und Märchen und Weib ...

    Die Ampel webt ihren blassrothen Schein,
    Das Feuer knistert so heimlich darein,
    Aus all den zärtlichen Falten quillt
    Ein lähmend süsser Hauch, und schwillt
    Die rothe Luft ... so eng, so heiss ...

    Du starrst mich trostlos an ... ich weiss!
    Mein Duft, und wie ich oft gelacht,
    Das hat dich so trostlos ... so elend gemacht!
    _____


     

  • Anna Behrens-Litzmann (1850-nach 1913)

    Der
    Sünden Sünde

    Wenn wir einmal der
    Sünden Sünde fänden
    Und trügen sie herbei von Haus zu Haus,
    Wir würden fremd ihr oft ins Auge blicken
    Und staunend fragen: "Also siehst du aus?"
    Mißtönend würde ihre Stimme klingen,
    Auch da, wo Gutes unter uns geschah,
    Und auch an Stätten würden wir sie finden,
    Die unser Auge einst als Tempel sah.

    Und wenn wir dann der
    Sünde Sünder bänden
    Und richteten für sie den Feuerstoß —
    Die Funken würden bis zum Himmel sprühen
    Und eine Flamme würd' es riesengroß.
    Und wenn die Asche still herniedersänke,
    Es stände eine Schar, erstarrt in Graun,
    Sie würde über tausend leere Häuser
    Und ungezählte Leichenstätten schaun.

    Dann aber würde sie die Hände falten
    Und tiefer Christi heilig Wort verstehn,
    Und wo sich Auge noch in Auge senkte,
    Nur Liebesmacht und Liebeswerben sehn.
    Doch ehe sie den Tempel noch errichtet,
    Dort Gottes Wort zu künden klar und rein,
    Die Erde stürzte über ihr zusammen
    Und würde nicht mehr Menschenerde sein.
    _____


     

  • Otto Julius Bierbaum (1865-1910)

    Und über dich hin warf mich die Wut der Liebe.

    Und unsre Lippen lasteten aufeinander,
    Wie alle schmerzlichen, sehnsuchtschmachtenden
    Sünden zweier Sterne,
    Die sich im wirbelnden Weltall treffen
    Und klagegellend sich umklammern.

    Oh du, du, du!
    _____


     

  • Clara Blüthgen (1856-1934)

    Nachklang

    Rose der Liebe, in Schuld entsprossen,
    in Qual erblüht, mit Thränen begossen,
    o laß an Deinem Duft mich berauschen -
    die Seligkeit sollt ich um Alltagsglück tauschen?
    Ich will kein langes, kein reuloses Glück,
    Vollwonne nur einen Augenblick.
    Mein heimliches Glück, einer andern geraubt,
    mein ist es dennoch, stolz heb ich das Haupt,
    von der Sitte verdammt, von der Welt getadelt,
    durch
    Sünde geächtet, durch Liebe geadelt.
    _____


     

  • Carl Busse (1872-1918)

    Traumbild

    Aus jenen tiefsten Tiefen meiner Seele,
    Wo längst begraben meine Toten ruhn,
    Hob sich dein Bild. Es kam ein dunkles Auge,
    Ein roter Mund und eine hohe Stirn,
    Auf die, sich wirrend schwarze Locken fielen.

    Du warst sehr jung, und deine junge Seele
    Und deinen jungen, blutdurchpulsten Leib,
    Du gabst sie mir, du gabst mir alles - alles.

    Einst schwand der Tag und sank am letzten Himmel,
    Und es ward Nacht, und es ward schwarz und dunkel,
    Kein Mensch war um uns. Wie in banger Furcht
    Drängte dein Leib sich dicht an mich heran.
    Er zitterte ... die schwüle Stille rings
    Durchtönte, kaum vernehmbar meinem Ohre,
    Dein Atmen und das Klopfen deiner Pulse.

    Du gabst dich hin in taumelndem Genuß,
    Und: "That ich
    Sünde?" fragten deine Lippen,
    Die sündhaft schönen, die blutrotgeküßten,
    "Sag, that ich
    Sünde?" ... Sieben Sterne gingen
    In hohem Glanze durch den Himmel hin,
    Weiß wie die Sterne war dein Mädchenantlitz.

    Ich strich die dunklen Locken aus der Stirn
    Und sah dich an. Ich mußte plötzlich weinen,
    Wie man um Blumen weint, die früh gebrochen,
    Ich schluchzte auf - um dich und nur um dich!
    "Sag, that ich
    Sünde?" fragtest du noch einmal
    Mit wehem Laut ... Die Nacht war schwer und still
    Und weiße Sterne schimmerten am Himmel
    Wie totenbleiche, frühgebrochne Blumen.
    - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
    Heut stieg dein Bild auf und es sank zurück
    Langsam und weinend in die tiefsten Tiefen,
    In jene Tiefen, wo die Toten ruhn.
    _____


     

  • Georg Busse-Palma (1876-1915)

    So mußt du sein ..

    Jung mußt du sein .. an fünfzehn Jahr vielleicht.
    Mit langem Haar, das ledig seiner Spangen
    Sich um dich schmiegt und bis zum Knöchel reicht,
    Als wär’s ein Mantel, den du umgehangen!

    Und diesen Mantel weich und welligbraun,
    Den müßten atmend weiße Hügel heben
    Und drüberher zwei dunkle Augen schaun,
    Die Freund dem Traum nur und noch fremd dem Leben.

    So möcht' ich dich und möcht' dich an mich ziehn
    Und brennend küssen in verschwiegnen Nächten.
    Den heißen Mund auf deinen kühlen Knien
    Und rings um mich das Dunkel deiner Flechten.

    Durch jede
    Sünde mußt du mit mir gehn,
    Doch wenn der Stunden Leidenschaft verglühte,
    Mir keusch und lächelnd auch ins Antlitz sehn
    Und mir verzeihn in großer Kindergüte ..

    So mußt du sein, die ich mir freien möcht'!
    Geb's Gott, ich find' dich noch in frühen Tagen.
    Denn früh schon altern die von Faust's Geschlecht,
    Die so wie ich zwei Seelen in sich tragen! ..
    _____


    Sehnsucht

    Schwingen schwüler Abendwinde
    Haben sie zu dir gebracht.
    Meine rote
    Sehnsuchtssünde
    Sieht dich nackend jede Nacht.

    Und dann wühlen ohne Ende
    Kühlung suchend sich ein Paar
    Schmaler fieberheißer Hände
    Ach im Traum nur! in dein Haar.

    Und dann pressen halbverschmachtet
    Lippen sich auf deinen Leib,
    Lippen, die den Tod verachtet
    Und jetzt betteln: sei mein Weib!

    Aber du in keuscher Kühle
    Ahnst noch nichts von solchem Schmerz.
    Moulin rouge, die rote Mühle
    Mahlt dich später, weißes Herz! — —
    _____


     

  • Carmen Sylva (1843-1916)

    Die Göttin

    Und ist die Liebe
    Sünde,
    Wer hat sie denn gemacht?
    Und ist es Höllenfeuer,
    Wer hat es denn entfacht?

    Und ist sie ungeberdig,
    Wer hat sie so gewollt?
    Und ist sie zu tyrannisch,
    Wer hat darob gegrollt?

    Die Lieb ist Trank und Speise,
    Die Lieb ist höchste Kraft,
    Die Lieb ist Göttergabe,
    Die Lieb ist Lebenssaft.

    Doch wehe, wer die Göttin
    In niedre Bahnen schleift!
    Sie sengt die frechen Hände,
    Die sie zu rauh gestreift.
    _____


     

  • Jakob Julius David (1859-1906)

    Entsühne mich

    Und ist ein Herz vom Wege abgeirrt -
    Im Buch der Bücher steht es so geschrieben -
    Ein jeder Fehl und jede
    Sünde wird
    Vergeben um ein starkes, volles Lieben.

    Und ward ein Mann vom Pfade je gedrängt
    Durch Fügung oder eigenes Erkühnen,
    Das Weib, das liebend ihn zuerst umfängt,
    Im Kusse darf's ihn priesterlich entsühnen.

    Du bist die Priesterin, das Heil. Wie lang
    Ersehnt' ich Dich, die längst mein Herz verkündigt -
    Umfasse mich! Ich bin so müd und schwank ...
    Entsühne mich! Ich habe viel gesündigt ...
    _____


     

  • Felix Dörmann (1870-1928)

    O sieh meine Seele verfaulen
    In Elend, Sünd' und Qual,
    O neige Dich erbarmend
    Zu mir ein einzig Mal.

    O lege Deine Hände
    Nur einmal weich und mild
    Auf meine heiße Stirne,
    Du reinstes Frauenbild.

    Dann wird sie von mir weichen -
    Die dumpfe Sinnengier,
    Aus Elend, Not und
    Sünde
    Schrei' ich empor zu Dir.
    _____


    Und wieder nah'n die düstern,
    Hohläugigen Geister der Nacht,
    Mit sinnbetörendem Flüstern
    Und prüfen gierig und lüstern
    Die alte, gewaltige Macht.

    O rette, Geliebte, rette!
    Hör' meinen verzweifelnden Schrei!
    Nicht schreckt sie die heilige Stätte,
    Sie schließen um mich ihre Kette,
    O hilf, o steh' mir bei!

    Auflodert das tollste Begehren,
    Der
    Sünden schlummernde Brunst,
    Bei ihrem Gifthauch schwären
    Der Seele Wunden und leeren
    Ins Hirn ihren krankhaften Dunst.

    Mein tiefes, keusches Lieben
    Die flammende Gier durchloht,
    Die reinen Gedanken entstieben,
    Und nichts ist zurück mir geblieben,
    Als wollustrasende Not.

    Sieh meine zuckenden Glieder, -
    Des Mundes blasigen Schaum;
    O neig' zu mir Dich nieder, -
    Hinweg das starre Mieder,
    Für meine Lippen Raum!

    Hinweg von Deinen Brüsten
    Das faltige Schleiergewand,
    Es ringt mein ganzes Gelüsten
    Nach keuschen, ungeküßten,
    Hinweg, hinweg Deine Hand!

    Ich fühle mein Aug' sich verglasen,
    Mein Leib verkohlt, verbrennt,
    Jetzt mußt Du mit mir rasen, -
    Mußt teilen meine Ekstasen,
    Der Seligkeit höchsten Moment.
    _____


    Sehnsucht

    Ich sehne mich nach einer Traumgestalt,
    Nach einem unberührten, keuschen Wesen,
    Das noch im Buch der
    Sünde nicht gelesen,
    Das Wollust nicht einmal im Geist umkrallt.

    In ihrer Seele müßte Mitleid wohnen
    Mit jedem Menschen und mit jedem Tier,
    Am allermeisten aber doch mit mir,
    In dem das Elend und die Marter thronen.

    Und wie vom übervollen Weinpokal
    Die goldnen Fluten achtlos niederschießen,
    Müßt' ihre Himmelsreinheit mich umfließen
    Und tilgen meiner Seele
    Sündenqual.
    _____


     

  • Gisela Etzel (1880-1918)

    Dein kleines Bild, das deine Hand mir malte
    Und du aus Ferne liebend mir geschickt,
    Ist mir nun mehr als unser Herr am Kreuze,
    Zu dem ich Gnade flehend aufgeblickt;

    Den ich um deinetwillen heiß beschworen,
    Dem ich um dich so tief ergeben war /
    Jetzt ist er meinem Herzen ganz verloren,
    Dein Bild, dein Bild nur steht auf dem Altar!

    Die Augen, die so tief an meinen tranken,
    Die Schläfe, die mein Finger sanft berührt,
    Die Brauen, die an meine Stirne sanken,
    Die Lippen, die im Kuß so süß verführt . . .

    Dies liebe Antlitz ist nun meine Sonne,
    Die jeden leeren Tag mit Glanz erfüllt.
    O
    Sünde! / Mehr als Christus und Madonne
    Ist mir, Geliebter, dieses kleine Bild!
    _____


     

  • Gustav Falke (1853-1916)

    Es darf nicht sein! Ich hab' ein liebes Weib
    und liebe Kinder. Meine Seele ringt.
    Ist's auch nicht
    Sünde, was sie niederzwingt,
    daß wie im Fieber schauern Herz und Leib,
    die Tage elend, meine Nächte schwer,
    schlaflos, oder von wilden Träumen krank -
    Es darf nicht sein! So grundlos wälzt kein Meer
    sich zwischen zwei getrennten Ufern hin,
    als ich von dir durch die geschieden bin,
    die älteres Recht auf Liebe, Treue, Dank,
    auf alles, was ich hab' und bin, ihr nennen.
    Würd' ich in ihrer Augen reinem Spiegel,
    den nie ein Argwohn trübt, mich wiederkennen,
    zerbräch ich die beschworenen heiligen Siegel,
    verriete sie und träte vor sie hin
    mit Schmeichelwort, ein andrer als ich bin,
    küßt' sie mit Lippen, d'rauf dein Kuß noch blühte,
    mit Worten, d'rin heimliche Glut noch glühte
    verstohlenen Glücks, das nicht ihr Glück, und legt'
    heuchelnd den Arm um die, die schwach und blaß
    mich täglich mahnt, daß sie von allem, was
    mich eh an ihr entzückt, den Kindern gab,
    und ihre ehrfurchtwürdige Armut trägt
    wie ein Fürstin, deren Altersstab
    der edle Stolz erfüllter Pflicht allein
    und ihres kleinen Volkes Liebe? Nein,
    es darf nicht sein! Doch meine Seele schreit
    laut auf in ihrem fürchterlichen Streit.
    Ist's auch nicht
    Sünde, weil es Liebe ist,
    nicht Sinnengier, die schlangenzähnig frißt -
    Mein Tag ist elend, meine Nächte schwer,
    schlaflos oder von wilden Träumen krank,
    und
    Sünde kann es werden, nackt und blank.
    Ach, süßes Lieb, ich liebe dich so sehr.
    _____


     

  • Karoline von Fidler (1801-1874)

    Liebe

    Die Lieb' ist Alles! Wer zu lieben weiß,
    Der kennt des Daseins einzig werthen Preis;
    In ihm ist Gott - er hat das Licht, die Kraft,
    Er hat den Glauben und die Wissenschaft!

    Wer liebt, der lebt, und giebt des Lebens Lust
    All' dem, was er umschließt mit warmer Brust;
    Er theilet aus - sieht seinen Schatz nicht an,
    Er weiß es, daß er endlos geben kann.

    Die Liebe hat nicht Zweifel, hat nicht Noth,
    Die
    Sünde kennt sie nicht, kennt nicht den Tod -
    Die Lieb' ist ewig! - und darum allein,
    Weil ich geliebt, werd' ich unsterblich sein!
    _____


     

  • Karl Ferdinand von Fircks (1828-1871)

    Ich hab' nach dir gerufen

    Ich hab' um dich gebetet
    Aus tiefem Jammer und Weh,
    Ich hab' nach dir gerufen,
    Laut von des Liedes Höh',

    Ich hab' nach deinem Fußtritt
    Gespäht im Sand der Welt,
    Horchend auf deine Stimme
    Durchirrt' ich des Lebens Feld,

    Und heimlich bei meinen
    Sünden
    In meines Herzens Schrein,
    Da hielt ich zukunftahnend
    Ein Plätzchen für dich rein.
    _____


     

  • Johann Georg Fischer (1816-1897)

    Fürbitte

    Weil du so rührend standst vor mir,
    Vergaß ich das Gebet ob dir;
    Ach daß das Weib so wohl gefällt!
    So kam die
    Sünde in die Welt.

    Denn weil dich Gott so schön gemacht,
    Hab' ich nicht mehr an ihn gedacht,
    Und dennoch war er stets vor mir,
    Wenn ich bewundernd stand vor dir.

    Nun bete du, geliebte Huld,
    Für mich, ob himmlische Geduld
    Um deinetwillen mir vergibt,
    Der über Alles dich geliebt.
    _____


     

  • Cäsar Flaischlen (1864-1920)

    Sünde

    Wir hatten uns lieb und wir wussten es beide
    und der Strand lag still und abendeinsam . . .
    ein alter Fischer nur war um den Weg und flickte Netze . .
    und wir sahen den Schwalben zu, wie sie hoch
    am Hang ihre Nester umflogen . .
    und saßen am Feldrand und sahen in die Dämmerung
    und keines fand mehr, was zu sagen ...

    Und immer wundersamer wurden deine Augen
    und immer ungeduldiger zerrte der Wind dein blondes Haar auf
    und immer sehnsüchtiger ward unser Schweigen ...
    und wir hatten uns lieb und wussten Alles und wussten,
    dass es der letzte Tag für Monate war und vielleicht für immer
    und dass wir niemand etwas nähmen
    und wir haben uns . . nicht geküsst!

    War das nicht
    Sünde ? war das nicht . . dumm ?
    _____


     

  • Else Galen-Gube (1869-1922)

    Sel'ger Tausch

    Mit stolz erhobnem Haupte kann ich gehn,
    denn meinen Nacken beugte nie die
    Sünde,
    nie blickt ich in des Lasters tiefe Gründe,
    kann jedem Menschen frei ins Antlitz sehn!

    Und doch – bei Gott – ich gäb voll Freudigkeit
    all meinen Stolz für eine heiße Stunde
    in deinem Arm, an deinem roten Munde
    und wäre selig bis in Ewigkeit.
    _____


    Verbotene Früchte

    Sag, weißt du es wirklich nicht, mein Kind,
    wie süß die verbotenen Früchte sind?
    Im Garten der Jugend siehst du sie prangen,
    wo sie an goldenen Zweigen hangen.
    Für jeden sind sie leicht zu erreichen,
    der Mut hat, von der Herde zu weichen
    zum Pfad, der zu irdischen Wonnen führt - -
    Sag, hab ich nicht deinen Wunsch geschürt,
    auch vom verbotenen Apfel zu kosten?
    Willst lieber zu Hause sitzen und rosten,
    in Ehren ein altes Jüngferlein werden?
    Glaub mir, es lohnten die Götter auf Erden
    noch keinem die Tugend,
    und schön ist die Jugend ……..
    Genieße, was dir das Leben beut,
    es kommt der Tag, wo dich nichts so reut
    als ungestillt gebliebenes Verlangen,
    Liebessünden – nicht begangen.
    _____


     

  • Hermann von Gilm (1812-1864)

    Ostern

    Doch es naht der Ostertag,
    Naht, wo die Verwesung drohte,
    Naht mit schöpfendem Gebote,
    Und es grünt der Sarkophag;
    Frühling, wecke mir die Todte!
    Bring die Rose mir, die rothe,
    Die auf ihrer Wange lag!

    Bring die Rose blendend weiß,
    Die mir ihren Nacken malte,
    Bring das Licht, das sie umstrahlte,
    Das ich nicht zu nennen weiß!
    Nimm in deinen Arm und halte
    Mir an deiner Brust die Kalte
    Und küß ihr die Lippe heiß!

    Aber kann dein warmer Hauch
    Nur die Flur mit Blumen decken,
    Nur die lieben Veilchen wecken,
    Aber nicht die Todten auch ...
    Frühling, deine blüh'nden Hecken,
    Gib die Leiche zu verstecken,
    Mir den schönsten Rosenstrauch!

    Deine Thränen lau und mild
    Rieselnd über deine Wangen,
    Tropfen, die in Blumen hangen,
    Fallen auf das bleiche Bild,
    Bis der Arme heimgegangen,
    Der der Liebe Glutverlangen
    Schwärmend einst für
    Sünde hielt.
    _____


     

  • Sidonie Grünwald-Zerkowitz (1852-1907)

    »In Andrer
    Sünde einwilligen«

    Warum sich's küßt auf dem Waldessteig
    So mutig im nächtlichen Dunkel,
    Wenn durch das gespenstige Waldgezweig
    Bricht leise der Sterne Gefunkel?

    Der Liebe kommt der Mut zum Kuß
    Erst, wird sie belauscht nur von oben -
    Und Lieb', die das Menschenaug' scheuen muß,
    Sie fühlt sich nachts so erhoben!

    Mir ist, wenn ich zu den Sternen blick',
    Die verständnisinnig mich grüßen,
    Als ob sie mir sagten: »Dein Liebesglück
    Nicht zu stören, die Augen wir schließen,

    Und wir blicken aus halb nur geöffnetem Lid
    Hinab, daß furchtlos sich finde
    Die Liebe, die den Tagesstrahl flieht; -
    Wir will'gen in ihre -
    Sünde
    _____


     

  • Georg Heym (1887-1912)

    Die
    Sünde wider den Geist

    Einmal nur sah ich dich
    In einer schwarzen Menschenmenge.
    Einmal nur sahst du mich.
    Wir waren größer als die Kleinen,
    Größer um Haupteslänge.
    Sie sahen alle auf zu uns,
    Wie trunken
    Wir ineinander schauten.
    Da stießen sie sich
    An die Ellenbogen
    Und lachten frech
    Und scharten sich
    Und rissen dich
    Und bald warst du versunken
    Und roter tauchte
    In Abendglut die enge Gasse,
    Wie Höllenfeuer anzuschaun.

    Noch einmal aus der schwarzen Masse
    Wandst du dich.
    In deinem Blicke
    War ein Schrei:
    Ich müßte enden deine Schmerzen,
    Mit starken Armen
    Zu dir dringen
    Und dich halten
    Gegen alle Gewalten.
    Doch ich blieb stumm.
    Da schriest du auf in deinem Schmerz:
    "So werde ich dir nie verzeihn,
    Niemals in alle Ewigkeit!"
    Und deine stahlharten
    Augen starrten bang
    Wie Schwerter des Gerichts
    Am jüngsten Tag mich an.
    Da schwandst du hin.
    Ich konnte nicht zu dir,
    So sehr es in mir rang.
    Mich hielt ein fluchbeladner Bann.
    Bleichschwer um deine Glieder hingen
    Ketten aus zuckenden Herzen.
    _____


    Absolution

    Bin der Liebsten nachgeschlichen
    Durch die dunkle Kirchenpforte.
    War sonst selten, ach recht selten
    An dem düstren, heilgen Orte.

    Im Stuhle saß ein alter Mönch.
    Dem trug sie ihre
    Sünden vor.
    Ach, ihre lieben, jungen
    Sünden
    Sagt' sie dem Greise in das Ohr.

    Der Priester macht' ein bös Gesicht
    Ob soviel
    Teufelssünden.
    Sosehr sie weint' und schluchzte auch,
    Er mocht sie nicht entbinden.

    Da trat ich hinter ihr herfür.
    Der Pfaffe fiel vor Schreck vom Stuhl.
    Als ich sie trug zur lichten Tür,
    Wünscht' er sie in den Höllenpfuhl.

    Ein staubges Heiligenbild fiel um
    Ob unserm großen Frevel.
    Als ich die Tür ins Schlosse warf,
    Da stank es gar nach Schwefel.

    Doch draußen in dem Sonnenlicht
    Da küßt ich auch mein Mädchen schon
    Und gab der lieben
    Sünderin
    Mit einem Kuß Absolution.
    _____


     

  • Angelika von Hörmann (1843-1921)

    Aufs Neu' beginnt, wenn ich allein,
    Das alte Spiel, die alte Pein:
    Des Zweifels finstere Gewalten
    Mit ihren wechselnden Spukgestalten
    Versuchen mit allen Ränken und Listen
    Ins bange Herz sich einzunisten
    Und steigen empor so drohend und schwer,
    Wie vor den Mond ein Nebelmeer,
    Bis deines Bildes lichte Pracht
    Versinkt im dunklen Schoß der Nacht.

    Doch wenn dein Blick mich wieder trifft,
    Und les' ich seine klare Schrift,
    So ist's, als brächen Morgenstrahlen
    Allsiegend durch die Hülle der Qualen.
    Was heimlich wob in des Herzens Gründen,
    Erscheint mir als die ärgste der
    Sünden
    Und brennende Scham färbt mein Gesicht; -
    Du aber fühlst und ahnst es nicht,
    Daß meine Seele in Reueglut
    Stumm vor dir kniet und Buße thut.
    _____


    Seltsame Welt

    Zwei, sich so fremd im Herzensgrund,
    Daß nichts die Kluft kann überbrücken,
    Die müssen sich die Hände drücken
    Und heuchelnd legen Mund an Mund,
    Und wehe, wer sich frech entschlüge
    Der strengen Satzung heil'ger Lüge!

    Wo aber Seel' zu Seele spricht
    Und drängt zu ruhen Herz an Herzen,
    Die müssen meiden sich mit Schmerzen
    Und senken selbst der Augen Licht,
    Damit kein Strahl sie weiter künde
    Der reinsten Liebe schöne
    Sünde.
    _____


     

  • Maria Janitschek (1859-1927)

    Hurrah, heil!

    Rote Locken umflattern mein Angesicht,
    hüpfende Flammen.
    Hurrah, heil!

    Meine schlanken Hüften umgürtet ein Schleier;
    wer ihn löst, erblindet.
    Hurrah heil!

    Brennender Mohn und blaublumiges Giftkraut
    sprießt unter meinen Fersen auf.
    Hurrah, heil!

    Meine Lippen sind heiß wie der Schrei der Lust,
    süß wie weinende
    Sünde.
    Hurrah, heil!

    Feuer ist mein Hauch, mein Nein der Tod,
    mein Ja die wiehernde Hölle.
    Hurrah, heil!

    Weißt du, weißt du, wer ich bin?
    es rauchen die Wälder vor mir,
    und die Himmel betrinken sich in meinem Laut:
    ich bin die Liebe!
    _____


     

  • Alma Johanna Koenig (1887-1942)

    Die Häßliche an die Schönheit

    Schön bist du, Mädchen, - wie die
    Sünde schön ist,
    während ich häßlich bin wie die Weisheit.
    Denn wär Weisheit häßlich nicht - wär sie dann weise?
    Töricht wäre sie, grausam und glücklich,
    Mädchen, - wie du!

    Schön bist du, Mädchen, - bliebest du's ewig!
    Denn wie trügst du's, nähme man dir den Liebsten,
    und du wärst nicht schön mehr, und nicht mehr glücklich
    und wärst doch auch weise nicht,
    Mädchen, - wie ich.

    _____


     

  • Gustav Kühne (1806-1888)

    Beichten möcht' ich meine
    Sünden,
    Beugen tief mein Herz vor Dir,
    Laß mich jenseits Gnade finden,
    Sühn' und Frieden für und für.

    Laß im dunkeln Weltgetriebe,
    Will mir schwinden Kraft und Muth,
    Laß mich seh'n auf Deine Liebe,
    Nimm mich still in Deine Hut.

    Mußtest Du gen Himmel steigen?
    Ließest Deine Kinder hier.
    Mußt Du dulden, mußt Du schweigen
    Selbst an Gottes Himmelsthür?

    Wolltest Wohnung uns bereiten,
    Die Dich suchen nah und fern,
    In des Himmels Seligkeiten,
    Auf des Himmels schönstem Stern?

    Halte Wache an der Pforte,
    Wo Du Deine Palme schwingst,
    Dir und uns zum sichern Porte,
    Wenn Du uns herüberwinkst!
    _____


     

  • Heinrich Leuthold (1827-1879)

    Katechetisches

    "O du glaubst wohl nicht an Heilige!
    Denn auf deiner Stirn, der bleichen,
    Zuckt ein Zug hier, wie ein dunkel,
    Gottesläugnend Fragezeichen.

    Glaubst wohl auch nicht, daß der Ablaß
    Menschen rein von
    Sünden wasche,
    Zweifelst gar wohl am Catino
    Und des Täufers heil'ger Asche?"

    ""Laß, mein süßes Kind, die Heiligen
    Und des Glaubens Hieroglyphe,
    Laß mir die von deutschen Dichtern
    Längst behandelten Motive!

    Den Catino und des Täufers
    Asche - laß mir all' den Plunder!
    Doch ich bitte dich, erkläre
    Lieber mir ein größer Wunder:

    Wie ich, arm, verkannt und traurig
    Als ein Bettler kam aus Norden,
    Und nun plötzlich reich und glücklich
    Wie ein König bin geworden;

    Wie ich, der an tausend Wunden
    Litt, nun plötzlich neugeboren
    Wieder mich durch dich gefunden,
    Als ich selbst mich gab verloren.""
    _____


     

  • Alfred Lichtenstein (1889-1914)

    Trauriges Lied

    Jetzt geh ich wieder zwischen Tagen, Tieren,
    Gestein und tausend Augen und Getön -
    Der Fremdeste. Ich mußte dich verlieren ...
    Dein
    Sündenleib, Maria, war so schön -

    Jetzt such ich wieder zwischen Tagen, Tieren,
    Gestein und Lärm vergeblich deine Spur.
    Jetzt weiß ich auch: ich mußte dich verlieren ...
    Ich fand nicht dich - dein Name war es nur -
    _____


     

  • Thekla Lingen (1866-1931)

    Ohnmacht

    Du Ungeheuer,
    Zehrend Feuer du!
    Was streckst du lechzend deine Zunge aus?
    Hinweg -
    Ich will dir nicht zu Willen sein!
    Sieh, wie sie locken mit den heissen Blicken,
    Sieh, wie sie suchend ihre Finger spreizen,
    Mit kundiger Hand den Gürtel mir zu lösen -
    Und siedend steigen Wünsche in mir auf!
    Ich sinke hin,
    Ich muss in Schmach vergehn! ...
    O, welche Kraft hat dich mir eingegeben,
    Und welche Macht hat
    Sünde dich genannt! -
    Und ist's denn
    Sünde,
    Was so heiss und mächtig
    In meinen Adern nach Befreiung schreit -
    Wohlan, Natur,
    Dich ruf ich klagend an!
    Was gabst du mir den Bau der schlanken Glieder,
    Der Lippen Rot, des Nackens Lilienweiss,
    Der Augen Leuchten und des Mundes Lächeln,
    Ein Herz, das mit gewaltigen Schlägen pochend
    In junger Brust vor Lust und Wonne jauchzt -
    Wenn du mir nicht der Keuschheit kühles Siegel
    Als stumme Wehr auf meine Stirn gedrückt! ...
    So muss ich trauern ob der reichen Gaben,
    Die überfliessend Gram um mich verbreiten
    Gleich jenem Trank, der perlenüberschäumend
    Zur Lache ward auf reichbesetzter Tafel,
    Den nimmersatten Fliegen näschige Speise ...
    Du wusstest Mass zu halten nicht,
    Du Weise, -
    Und dein Geschöpf soll weiser sein als du! ...
    So werf ich blutend meine Waffen hin,
    Genug der Qual -
    Ich will nicht stärker sein, als du mich machtest!
    Nimm deinen Sieg!
    Schweigend knie ich nieder
    Und beug' mein Haupt und weine still -
    Ein Weib ...
    _____


    Müde

    Hab so wund gelaufen meine Füsse
    Auf dem weiten Wege nach dem Glück -
    Lachend lief ich aus, um es zu suchen,
    Schlich nach Haus mit thränenschwerem Blick.

    Sah wohl wunderseltsam lichte Blumen,
    Sah sie wohl an meinem Wege stehn,
    Habe sie mit raschem Fuss zertreten,
    Musste eilen, musste weitergehn.

    Weitergehn, die eine nur zu finden,
    Die in trügerischer Ferne winkt
    Und mit ihren buhlerischen Düften
    Unser Herz zur Schuld und
    Sünde zwingt.

    Hab so wund gelaufen meine Füsse
    Auf dem weiten Wege nach dem Glück -
    Lachend lief ich aus, um es zu suchen,
    Kam so müde, kam so still zurück ...
    _____


    Versuchung

    Man hatte getollt und gelacht -
    Es war nach Mitternacht.
    Da gingen sie nach Haus,
    Die Kerzen brannten aus.
    Dunkel war es und leer,
    Dunkel und schwer -
    Sie blieb allein
    Bei eines Lichtes Flackerschein.
    Und auf der nächtlichen Gasse ein Mann
    Starrt zu dem schimmernden Fenster hinan.
    - Wie sprach er: "Bist du mein,
    So zeige mir deines Lichtes Schein;
    Bist du es nicht,
    So lösch aus dein Licht!"
    - Lösch aus dein Licht? …
    Was zögerst du junges Weib?
    Bebt vor der
    Sünde dein Leib?
    Was bebst du zurück?
    Öffne die Thür dem Glück,
    So erstrahlen mit einem Mal
    Tausend Kerzen in deinem Saal,
    Willst du folgen der Pflicht,
    So lösch aus dein Licht.
    - Lösch aus dein Licht? …
    Und auf der nächtlichen Gasse der Mann
    Starrt zu dem schimmernden Licht hinan.
    Schon drängt der Zeiger die Zeit,
    Und ihre Seele schreit,
    Schreit nach Glück,
    Schreit nach lebendigem Glück.
    Schreit in lebendiger Qual:
    "Einmal, nur ein einzig Mal
    An Licht und Freude satt mich trinken!"
    Zum Fenster hob sie ihr Licht empor -
    Da schlug ein Wort an ihr Ohr:
    "Mutter, lösch aus dein Licht!"
    Da hat sie verhüllt ihr Gesicht - -
    - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
    Und auf der nächtlichen Gasse der Mann
    Starrt zu dem schwarzen Fenster hinan.
    _____


    Notwendigkeit

    Wenn er mir schweigend liegt zu Füssen
    Und jäh nach meinen Händen greift,
    Und ach! mit sehnsuchtschweren Küssen
    Mir meine kalten Finger streift,

    Dann fühl ich langsam mich durchdrungen
    Von jener wunderstarken Kraft,
    Die mich in seinen Arm gezwungen
    Und höchste Menschenwonne schafft.

    Dann frag' ich nicht, ob Recht, ob
    Sünde -
    So ist es und so muss es sein!
    Und jubelnd, Liebster, ich dir künde:
    Dein bin ich, dein und immer dein!
    _____

     

  • Hermann Lingg (1820-1905)

    Tannhäuser

    Frau Venus, Frau Venus,
    O laß mich gehn geschwinde!
    Du bist so schön, so fein und schön,
    Ich muß zum Jagen auf die Höh'n,
    O laß mich gehn geschwinde,
    Frau Venus, Frau Venus,
    Du allerschönste
    Sünde.

    Tannhäuser, Tannhäuser,
    Wer wird so früh schon jagen?
    Komm, setze dich zu mir ins Grün,
    Die Veilchen und Reseden blühn,
    Ich will dir etwas sagen,
    Tannhäuser, Tannhäuser,
    Wer wird so früh schon jagen?

    Frau Venus, Frau Venus,
    Ich darf nicht mit dir kosen,
    Ich muß nach meinen schlanken Reh'n,
    Nach meinen schnellen Hunden sehn,
    Ich darf nicht mit dir kosen;
    Frau Venus, Frau Venus,
    Wer bricht dir denn die Rosen?

    Tannhäuser, Tannhäuser,
    Es hat so sehr nicht Eile,
    Du schießest heute noch genug,
    Laß doch dem Vogel seinen Flug
    Noch eine kleine Weile!
    Tannhäuser, Tannhäuser,
    Wer macht denn dir die Pfeile?

    Frau Venus, Frau Venus,
    O laß dein süßes Locken,
    Du bist so schön, so zart und weiß,
    Es pocht mein Herz so laut und heiß,
    Ich bin so sehr erschrocken -
    Frau Venus, Frau Venus,
    Wer flicht denn deine Locken?

    Tannhäuser, Tannhäuser,
    Wie glühn dir doch die Wangen! -
    Die Locken flecht' ich selbst mir ein,
    Und löse sie, und fange drein,
    Die von mir heimverlangen;
    Tannhäuser, Tannhäuser,
    Und du bist auch gefangen.
    _____


     

  • Hermann Löns (1866-1914)

    Die mich liebt

    Sie, die mich liebt, wo finde
    Ich sie, die träumt von mir,
    Bußopfer oder
    Sünde,
    Was führt mich hin zu ihr?

    Sie, die mich liebt, ich gehe
    Vielleicht an ihr vorbei,
    Träum’ von ihr und verstehe
    Nicht ihren Hungerschrei?

    Sie, die mich liebt – wir werden
    Vielleicht uns niemals sehn,
    Mein letzter Hauch auf Erden
    Wird sie vielleicht umwehn?

    Sie, die mich liebt – am Ende
    Ein Traum, der bald zerstiebt,
    Eine selbsterfundene Legende
    Von jener, die mich liebt.
    _____


    Maiandacht

    Von dem Dom acht Glockenschläge schallen,
    Aus den Fenstern flimmert Kerzenglanz,
    Tausend hübsche kleine Mädchen wallen
    Nach dem Dom mit Buch und Rosenkranz.

    Tausend hübsche stramme Burschen warten
    An der Kirchtür und flüstern leis:
    Schätzchen, um halb neun im städt’schen Garten!
    Tausend Mündchen flüstern: Ja, ich weiß!

    Drinnen senken sich die hübschen Köpfchen,
    Und das Knie das Kirchenpflaster küßt,
    Unter all den Löckchen und den Zöpfchen
    Kein Gedanke bei der Predigt ist.

    "Gott sei Dank! Die Predigt ist zu Ende,"
    Schnell nach draußen strömt der bunte Hauf,
    Und des Schloßparks breite Laubgelände
    Nehmen die verliebten Pärchen auf.

    Welch ein Küssen, Drücken, süße
    Sünden!
    Selbst das frommste Herzchen wird gerührt –
    Kalter Himmel, deine Schrecken schwinden,
    Und die heiße Hölle triumphiert.
    _____


     

  • Emerenz Meier (1874-1928)

    Die gereifte Eva

    Im weiten Gebiet der Liebe
    Blüht auch ein Wunderbaum,
    Darunter die Eva träumet
    Den wonnigsten Lebenstraum.

    Dem Gatten, den Kindern ferne,
    Nicht jung, doch schöner denn je,
    Hat sie einen Knaben gerne,
    Entsandt ihr aus Himmelshöh'.

    Die köstlichste Unschuldsblüte,
    Das süßeste Maienlicht, -
    Sie beuget sich zu ihm nieder
    Und zieht ihn ans Herz und spricht:

    "Was war mir die erste Liebe!
    Was war mir der reife Mann!
    Was sind mir tausend Männer,
    Mit Tigerfellen umtan! -

    Dich liebe ich, holde Knospe,
    So zitternd und so zart,
    Für dich sterb' ich tausend Tode,
    Du bist mir die rechte Art."

    Und Eva selig vergessend
    Den ersten
    Sündenfall,
    Sie sündigt nach Gottes Ratschluß
    Zum zweiten- und schönstenmal.
    _____


     

  • Stephan Milow (1836-1915)

    Weiß ich's, kann ich's ahnen,
    Wo sie herkommen
    All die hellen Sterne,
    Die dort oben funkeln?
    All die bunte Pracht,
    Die um uns erblüht?
    Weiß ich's? kann ich's ahnen,
    Wo sie hergekommen
    All die heißen Gluten,
    Die mein Herz durchwogen?
    Und warum so ganz
    Ich in dich versunken?

    Grundlos ist das All,
    Grundlos ist die Liebe.
    Nennst du's Lästerung,
    Nennst du's schwere
    Sünde,
    Solches auszusprechen?
    Nein! das ist nur Demuth,
    Ist nur die Erkenntniß,
    Daß am Heiligsten
    Wir nicht deuteln dürfen;
    Sondern einzig staunen,
    Einzig selig fühlen,
    Daß es ist!
    Grundlos ist das All,
    Reich in Farben prangend;
    Grundlos ist die Liebe,
    Überreich beglückend,
    Und so sei nur dies
    Unsers Herzens Glaube:
    Daß in jenen Tiefen,
    Die kein Auge aufdeckt,
    Aus derselben Quelle
    Beide ewig sprudeln.
    _____


    Mädchen, laß dir rathen:
    Hüte dich vor der Liebe!
    Sie schmeichelt so hold,
    Mit kindlichem Antlitz lächelnd,
    Sie nimmt dich so sanft gefangen,
    Daß du dich nur besser dünkst
    Und gefeit und im heiligen Rechte
    Vor Gott und der Welt
    Mit deinem Himmel im Herzen;
    Doch hüte dich vor der Liebe!
    Das eben macht sie dämonisch,
    Daß sie dir alles verklärt,
    Dich hebt und beflügelt
    Und selig mit allem versöhnt,
    Derweil du ahnungslos
    Die Schuld in Innersten hegst.
    Und trittst du, wohin du nicht sollst,
    Die lockende Süße zu kosten,
    Und dämmert dir leis das Gefühl,
    Daß du der
    Sünde verfällst;
    So kannst du's in deinem Entzücken
    Nicht fassen und rufst, dich entlastend:
    Ach, das ist lauter Liebe!
    Sie aber zieht dich weiter,
    Stets weiter mit Zaubergewalt
    Bis in den tiefsten Abgrund,
    Von wo kein Pfad zurückführt,
    Draus keine Sühne erlöst,
    Und händeringend klagst du:
    Ach, das war lauter Liebe!
    _____


    Du herrliches Menschenbild,
    Schön aufgesprossen
    In lieblicher Anmuth,
    Voll blühenden Reizes:
    Dein ist das Glück,
    Dein ist die Freude!
    So lebe, so liebe!
    Du bist, wie herniedergesandt,
    Daß du die Welt durchflatterst
    Und selig unbefangen
    Dir pflückst, was immer dich freut.
    O glaub' es, alles rings,
    Was hold und süß und bestrickend
    Was dir ein Lächeln der Lust
    Vermag auf die Lippe zu locken,
    Es ist für dich,
    Und alles schmückt dich,
    Was dir zu lauterem Schlag
    Das Herz bewegt.
    Denn wisse: Geschöpfe gibt's,
    In welchen so schön und herrlich
    Das Leben zur Blüte drängt,
    Daß ihnen nur Eines Gebot:
    Sich ganz und voll zu geben
    In jeder Minute.
    So lebe, so liebe!
    Du kannst nichts Höhres vollbringen,
    Du kannst nicht entzückendes Lob
    Rings wecken in allen Herzen,
    Als da du dich auslebst.
    Kein zages Bedenken!
    Kein Wort von
    Sünde!
    Du sündigtest? Sei's!
    Ich aber weiß es:
    Du bist in der
    Sünde
    So hold unschuldig,
    Wie's keine noch war,
    Die fehllos gewandelt.
    _____


    Wie süß auch bist du,
    Wenn dies und das
    An dir mir mißfallen
    Und ich dir deine Schuld
    Vorrücke ohn' Erbarmen!
    Du suchst nichts von dir zu wälzen,
    Du sagst mir nicht schmeichelnd und heuchelnd:
    Ich bin nicht gar so schwarz,
    Wie du mich malst, mein Liebster!
    Du senkst nur demuthsvoll
    Dein schönes Auge;
    Du duldest meine Geißel,
    Wie eine
    Sünderin,
    Und schmiegst dich vor mir nieder,
    So sanft und willenlos,
    So zauberisch bestrickend
    In deiner stummen Zerknirschung,
    Daß rasch an die Brust ich dich ziehe
    Und unter flammenden Küssen
    Freispreche tausend Mal.
    _____


    Weißt du, Liebste, was Ruhm verdient?
    Was schön und voll,
    Was herrlich leben heißt?
    Nur Eines lieben,
    Und weltvergessen
    Und allem entflohn,
    Was and're befängt,
    Mit ganzer Seele
    In Einem aufgehn. -
    Weißt du, Liebste, was Schmach und
    Sünde?
    Nur Eines lieben,
    Nur stets an einem Munde hangen,
    In eines Wesens Auge aufgehn,
    Und alles vergessen
    Und allem entfliehn,
    Was ernst und gebietend
    Die Welt von uns fordert
    Als Theil an der großen Arbeit
    Der vorwärts ringenden Menschheit.
    _____


     

  • Alfred Mombert (1872-1942)

    Morgengebet

    Der Morgen dämmert. Ich kam nachhause.
    Ich sitze im Lehnstuhl. Die Lampe glüht ...

    Wie schön du warst, o
    Sünde!
    Im spanischen Wurf.
    Im weißen Nachtkleid.
    Schlummernd ...
    Lieblos!
    Und ich sehe nicht mehr, die mich lieben,
    sehe die Welt nicht mehr,
    sehe nur dich ...

    Weiß jetzt, wie das ist:
    Meine Seele hab' ich geküßt!
    Du bist meine Seele, die vor mir steht,
    leibhaft sichtbar.
    Schön, o schön!
    ohne Liebe - nur schön,
    ganz schön ...

    Tränen!
    Und ich falte die Hände und bete,
    bete für deine Schönheit
    und meine Seele.
    Für zwei Götter.
    _____


     

  • Eduard Mörike (1804-1875)

    Peregrina

    Der Spiegel dieser treuen, braunen Augen
    Ist wie von innerm Gold ein Widerschein;
    Tief aus dem Busen scheint ers anzusaugen,
    Dort mag solch Gold in heilgem Gram gedeihn.
    In diese Nacht des Blickes mich zu tauchen,
    Unwissend Kind, du selber lädst mich ein -
    Willst, ich soll kecklich mich und dich entzünden,
    Reichst lächelnd mir den Tod im Kelch der
    Sünden!
    _____


     

  • Erich Mühsam (1878-1934)

    Nun endlich stehst du weiß und nackt
    vor süßen
    Sünden zitternd hier -
    und meines Pulsschlags wilder Takt
    schlägt rasend an die Sinne dir.
    Und meine Augen halten dich
    wie straffe Seile fest umspannt. -
    In meinen Willen hab' ich dich
    nach langem Werben nun gebannt.
    Dein Weinen schürt die Fibern mir -
    dein keuscher Widerstand wird matt. - -
    Ich packe dich - und meine Gier
    frißt sich an deiner Reinheit satt.
    _____


     

  • Clara Müller-Jahnke (1860-1905)

    Auf meinen Lippen brennt dein Kuß,
    er brennt wie Feuer und
    Sünde,
    er brennt wie himmlischer Hochgenuß
    und macht mich zum schwachen Kinde.

    Viel wilde Rosen erblühn und glühn
    und glühn und verwelken am Hage -
    und der Wald ist duftig, der Wald ist grün
    am leuchtenden Julitage . . . . .

    Vom Meer herauf die Sonne grüßt,
    Tautropfen am Riedgras beben: - -
    wir haben uns kaum Willkommen geküßt
    und sollen uns Abschied geben!

    Und gehen sollst du, geliebter Mann,
    mit all' dem zitternden Bangen,
    mit der ungelöschten Glut hindann -
    und durften uns kaum umfangen.

    Wie lange währt es, so schwillt der Wein,
    im Felde die Sicheln klingen;
    all', was da blühte im Sonnenschein,
    wird reifen und Früchte bringen.

    Die Luft wird kühl, und das Laub verdorrt,
    Schnee liegt auf Hängen und Hagen . . . ..
    wir aber werden von Ort zu Ort
    die zehrenden Gluten tragen.
    _____


     

  • Hermann Oelschläger (1839-1908)

    Ob du daran wirst Wohlgefallen tragen,
    Wenn ich dein Lob vor aller Welt verkünde?
    Ich weiß es nicht; doch eh' ich es ergründe,
    Beginn' ich schon und will nicht länger fragen.

    Unmöglich kannst du ja zu zürnen wagen
    Und es ein Unrecht nennen oder
    Sünde,
    Wenn ich an deinem Anblick mich entzünde -
    Dem Dichter kann das Schöne nur behagen.

    Und du bist schön! Schön wie das Licht der Sterne,
    Schön wie der Rose kaum erblühte Pracht,
    Schön wie ein Frühlingsahnen aus der Ferne.

    Und alle diese nahm ich schon in Acht:
    Von Rosen sang ich und vom Frühling gerne,
    Wie hätt' ich preisend nicht auch dein gedacht?
    _____


     

  • Hermione von Preuschen (1854-1918)

    Warum?

    Warum erblüht aus toten Schründen,
    was doch vergehn und sterben muß?

    Was schreit mein Herz nach süßen
    Sünden
    und lechzt nach niegeküßtem Kuß -
    warum?
    _____


     

  • Karl Reinhard (1769-1840)

    An Karla

    Ich liebe dich! Wie soll diess Herz es hehlen?
    Es lebt nur noch in deinem Sonnenlicht!
    Ich würde länger noch mich sprachlos quälen,
    Und doch verschwieg' ich das Verbrechen nicht.

    Vermöcht' ich auch, mit Worten nicht zu fehlen,
    Sind denn diess Ach, die Thrän' im Angesicht,
    Die Seufzer, die sich meiner Brust entstehlen,
    Nicht auch ein Hochverrath an deiner Pflicht?

    Du wirst sie selbst an dem Verräther rächen!
    Sieh, er gesteht die
    Sünde knieend ein.
    Er büsst verdient; doch kann er nichts bereun!

    Dein Blick wird ihm das Todesurtheil sprechen.
    Und darfst du Gnade nicht für Recht verleihn,
    So fleht er nur, ihm bald den Stab zu brechen!
    _____


     

  • Anna Ritter (1865-1921)

    Ich glaub', lieber Schatz ...

    Unter den blühenden Linden -
    Weißt du's noch?
    Wir konnten das Ende nicht finden,
    Erst küßtest du mich,
    Und dann küßte ich dich -
    Ich glaub', lieber Schatz, es war
    Sünde,
    Aber süß, aber süß war es doch!

    Der Vater rief durch den Garten -
    Weißt du's noch?
    Wir schwiegen ... der Vater kann warten!
    Erst küßtest du mich,
    Und dann küßte ich dich:
    Ich glaub', lieber Schatz, es war
    Sünde,
    Aber süß, aber süß war es doch.
    _____


     

  • Hugo Salus (1866-1929)

    Die Ähren

    Der Abend war selbst wie ein Wunder der Liebe,
    Sie gingen umschlungen und stumm vor Liebe
    Aus den Feldern dem träumenden Dorfe zu.

    Sie lehnte sich wärmer an ihn. Sie sagte,
    So still, als wenn der Abendwind klagte:
    "Im Korn, das war doch eine
    Sünde, du!"

    Er löst seine Hand und Wange von Wange:
    "Und nennst du's
    Sünde, daß ich dich umfange,
    So liebst du mich nicht und liebst mich nicht!"

    Da schaut sie empor zu dem Zornigen, Wilden
    Und sieht mit erschrockenen, hilflosen, milden
    Augen dem Liebsten ins Angesicht;

    Und lächelt in Thränen und löst die bleichen,
    Bebenden Lippen und sagt mit weichen
    Worten zum Liebsten: "Das sagst du mir?!"

    Und schlingt den Arm um den trotzigen Knaben:
    "Daß wir das Korn so zerbrochen haben,
    Das war eine
    Sünde. Das sag' ich dir."
    _____


    Weißer Nacken

    Ein Saal voll Beethovenergriffenheit.
    Ich fühl's, wie allen rings das Aug sich feuchtet,
    Wie aus den Seelen ihr den Alltag scheuchtet,
    Wie ihr jetzt alle fromme Dichter seid.

    Und doch, so einsam ihr euch alle deuchtet,
    Ich seh entzückt, zum Küssen nah, doch weit,
    Wie vor mir warm und weich, aus dunklem Kleid,
    Ein Schnee im Mondschein, weiß ein Nacken leuchtet.

    Ein Frauenhals, so hold und heiß verlockend,
    Mein
    Sünderherz, im warmen Busen stockend,
    Nicht höchste Kunst kann jetzt dein Glühn verwehn.

    Ihr Lauscher rings, die jetzt der Rhythmus adelt,
    Lauscht, lauscht! Ich trag's, wenn ihr mich tadelt!
    Mich laßt nur schaun und ganz im Schaun vergehn ...
    _____


     

  • Julia Virginia Scheuermann (1878 - nach 1936)

    War's
    Sünde? –

    – – – Auf dem Canale grande war es –
    In einer märchenschönen Mainacht Prangen.
    Lind schmeichelnd floss die Nachtluft um die Glieder
    Vom Ufer Tassos alte Weisen klangen
    So leis, so leis.

    Wir beide sachte gleitend in der Gondel –
    Mondlichteswellen wogten uns entgegen.
    Die buhlten zärtlich mit den feuchten Fluten.
    Und alles flimmerte im Strahlenregen
    So weiss, so weiss.

    War's
    Sünde, dass in all der grossen Schöne
    Sich unsrer stummen Sehnsucht Flügel spannten?
    Und dass – berauscht vom Taumeltrank des Lebens –
    Die roten Lippen ineinanderbrannten
    So heiss, so heiss? –
    War's
    Sünde? – – – – – – – –
    _____


     

  • Carl Sternheim (1878-1942)

    Kann dich nimmer wiederfinden;
    Wo bist du liebes Bildchen hin?
    Liebes Bildchen komm doch wieder.

    In dem wirren Aufundnieder
    Find ich nur den einen Sinn:
    Dich und unsre süßen
    Sünden.
    _____


     

  • Francisca Stoecklin (1894-1931)

    Geliebter

    Laß dich wieder, und immer wieder
    mit meinen Worten umarmen.
    Laß sie um dich legen,
    wie du um mich hüllst
    den Mantel,
    wenn wir an kühlen Herbstabenden
    über die Felder gehn,
    wo sich die Nebel
    silbern schon senken,
    und der Wind die Gräser bewegt.

    Ziellos irrte ich
    auf der großen Erde,
    bedrängt und verführt
    von Dunklem
    und schillernden
    Sünden.
    Da gingst du auf
    meines Schicksals Sonne.
    Dein Licht milderte
    alles Harte und Schwere,
    verinnigte jede Lebensstunde,
    alle Wesen und Dinge,
    Schmerzen und Seligkeit.
    Denn du einst
    die Zartheit der Freundin
    mit des Jünglings
    beschützender Kraft.
    Lächelnde Blume bist du
    und weisende Fackel.
    - Und dein Mund sagt,
    daß auch ich Schwache
    dir schön bin.
    _____


    Alles, was ich habe, will ich dir schenken,
    Alles was ich denke, will ich dir denken,
    Ich will dich lieben in allen Dingen,
    Meine schönsten Worte will ich dir singen,
    All meine Schmerzen und
    Sünden will ich dir weinen.
    Meiner Seligkeit Sonnen werden dir scheinen.
    Was ich bin, will ich dir sein.
    _____


    An den fernen Freund

    Seitdem du mich verließest, denke ich dich immer.
    Wenn ich die Augen schließe, sehe ich dein Bild ...
    So nah und wirklichschön als ob kein Raum uns,
    Keine Städte trennten.
    Bei meiner Kerze sanftem Schimmer
    Trittst du ganz leise, leise in das Zimmer ...
    Um deine Lippen schwebt ein Lächeln kindlich mild.

    Dann leg ich meine Hände zart an deinen Körper.
    Dann küß ich innig deinen weichen roten Mund.
    Dann sag ich schweigend dir die letzten Dinge.
    Dann bin ich ganz in dir und du in mir.
    Dann kann uns nichts mehr trüben, nichts mehr trennen,
    Weil wir nur eine Liebe, eine Seele, eine Wolke sind.
    Zwei Lichter, die in einen Himmel brennen.
    Ein Baum, ein Stern, der gute Abendwind.

    Dann sind wir
    sündenlos und weise.
    Dann ist kein Raum und keine Zeit.
    Dann schweben wir so süß erfüllt und leise
    In Gottes Urunendlichkeit.
    _____


     

  • Kurt Tucholsky (1890-1935)

    Erinnerung

    Wie tanzt durch meine Träume Josephine!
    Das gute Kind! wie war sie dick und rund!
    In luftiger Seide und sonst sine-sine,
    so satt, so frisch und so gesund!

    Sie neigt sich und sie spricht: "Weißt du noch, Junge?
    Die Havel blitzt, es rauscht der Wind im Schilf,
    es gibt Tomaten, Eier, Pökelzunge,
    du stopfst, bis du nur hauchst: Luft, Samiel, hilf!

    Und dann das Band und dann ein Schlaf im Freien!
    und immer dieses helle, weiße Licht!
    Ich glaub, du, das war
    Sünde mit uns zweien -
    wir liebten uns, und das, das darf man nicht!"

    Sprachs und verschwand. Durch graue Gaseschleier
    der Zigarette schau ich in die Luft -
    Ja damals! Damals gabs noch Spiegeleier
    und Butter und den warmen Bratenduft ...

    Dahin, dahin. Ich seh auf den Kalender:
    Eins, neun, eins, acht! wir haben unser Heer,
    wir haben Belgien und Serbien als Pfänder -
    doch das ist weg ... und kommt nicht mehr.
    _____


     

  • Anton Wildgans (1881-1932)

    Doch auch in anderm warst Du mir schon nah:
    Es waren Nächte, da ich Dich versäumte,
    Bei irgend einem Weibe lag und träumte,
    Es wär' nicht dieses und schon Du seist da.

    Und wenn dann das Vermeintliche geschah
    Und jener Leib sich jäher Lust aufbäumte,
    Warst immer Du es, der mein Blut aufschäumte,
    Du Garten Eden und mein Golgatha.

    Denn wenn ich dann zur Wirklichkeit erwacht,
    Stand mit dem Schwert, von Gottes Zorn entfacht,
    Der Engel da im fahlen Morgendämmern.

    Da las ich ihm gepeinigt vom Gesicht:
    "Dies war nur
    Sünde!" – denn Du warst es nicht –
    Und hörte fern ein Kreuz zusammenhämmern.
    _____


    Denn
    Sünde ist, wenn einer sich vergibt,
    Sein Pfund verzettelnd, statt es aufzusparen,
    Und seinen Träumen aus der Sehnsucht Jahren
    Wohlfeile Wirklichkeiten unterschiebt.

    Und
    Sünde ist, wenn der, in dem es liebt,
    Aus geiler Sucht nach fleischlichem Erfahren
    Hingeht, mit einem Weibe sich zu paaren,
    Wie man zwei Tiere zu einander gibt.

    Ihm ist verhängt, daß ihm das Aug' verblindet
    Vom Anblick dessen, was sich leicht gewöhnt,
    Und daß die Stimme, wenn sie einmal tönt,

    Die zögernde von einst, ihn nicht mehr findet,
    Weil er, schon längst entgöttert und entkindet,
    Idol und Stimme frühen Traums verhöhnt.
    _____


     

  • Stefan Zweig (1881-1942)

    Die Nacht der Gnaden
    Ein Reigen Sonette

    I.
    Ein schwarzer Flor umkränzte die Gelände.
    Wie Boote segelten am Himmelsmeer
    Die letzten lauen Abendwolken her
    Und gossen Schattenschleier um die Wände.

    Das Zimmer dunkelte. Die heißen Hände
    Der beiden lagen willenlos und schwer
    In ihrem Schoß und suchten sich nicht mehr.
    Die leeren Worte waren längst zu Ende.

    Sie bebten beide. Und ein Schweigen kam
    Mit banger Schwüle. Er hielt sie umfangen
    Und flehte ohne Wort: "Sei mein! Sei mein!"

    Sie zitterte. Die Blüte junger Scham
    Wuchs purpurn über ihre blassen Wangen,
    Und Tränen stammelten: "Es darf nicht sein."


    II.
    Da ließ er sie: "Ich will dich nicht betören.
    Sei du nur mein, wenn du es längst schon bist.
    Nicht eine Gabe sollst du mir gewähren,
    Gib mir nur das, was lang mein eigen ist.

    Sei mein, so wie sich mit den Sternenchören
    Der Himmel flutend in die Nacht ergießt,
    Und Seligkeiten werden uns gehören,
    Durch die der Strom der Ewigkeiten fließt.

    Willst du den Kelch der
    Sünde nicht nur nippen
    Und ganz dein Sein an eine Nacht verschwenden,
    So wird bis an die Grenze deiner Tage

    Ein Leuchten sprühn von ungeahnten Bränden
    Aus dieser Nacht!" - Wie eine bange Klage
    Umfing ein zartes Lächeln ihre Lippen:


    III.
    "Was alle andern Schmach und
    Sünde nennen,
    Wär mir ein Pfad zu lichten Seligkeiten,
    Wenn nur auf meinem Mund, dem schmerzgeweihten,
    Die roten Male deiner Küsse brennen.

    Doch du bist Horcher in die Ewigkeiten,
    Von denen mich die dunklen Wolken trennen.
    Mich ließ nur Sehnsucht meine Jugend kennen
    Und nicht die Träume, die zum Lichte leiten.

    Drum will ich mich nicht deinem Willen senken,
    Ob auch ein jeder Puls in meinen Gliedern
    Mit seiner Sehnsucht dir schon angehört.

    Ich bin zu arm, dir Liebe zu erwidern,
    Und bin zu stolz, um Armut zu verschenken,
    Denn sieh: Ich weiß, ich bin nicht deiner wert!"


    IV.
    Da sprach er sanft - und wie von Orgeldröhnen
    War seine Stimme wundersam bewegt -:
    "Wer so wie du den Glanz der Güte trägt,
    Ist auserwählt, ein Leben licht zu krönen.

    Oh fühlst du nicht, wie in verwandten Tönen
    In uns der rasche Takt des Blutes schlägt
    Und wilde Flamme in der Tiefe regt,
    Um sich in unserm Einklang zu versöhnen?

    Ich glüh in dir, du glühst in meinem Leben,
    Zu neuer Einheit drängt dein junger Schoß
    Und will den Ewigkeiten sich vermählen.

    Sei mein! Erst wenn uns übermächtig groß
    Die Schauer eigner Schöpfungslust durchbeben,
    Rauscht eine Welt in unsern freien Seelen."


    V.
    So sprach er glühend. Und sie beide standen
    Im Bann des Blutes, wortlos wie verzagte
    Verlorne Pilger nah den lichten Landen,
    Wo schon das Frührot der Erfüllung tagte.

    Dann kam ein Seufzen ... als ob Weinen klagte ...
    Ein Knistern wie von sinkenden Gewanden ...
    Ein banger Ruf ... Und als sein Auge fragte,
    Ob sie der Sehnsucht wildes Wort verstanden,

    Ward jählings Glanz in seinen Blick getragen,
    Wie Glanz von Firnen ... Aus dem Dunkel blühte
    Gleich einer Lilie schlank und nackt ihr Leib.

    Da schwieg sein Herz. Er wußte nicht zu sagen,
    Wie ein Gebet durchdrang ihn ihre Güte,
    Und diese Nacht ward sie ihm Gott und Weib.


    VI.
    Ihm aber war in dieser Nacht der Gnaden,
    Als fühlte er die Welt zum erstenmal.
    Er sah die Sterne auf beglänzten Pfaden
    Wie Boten wandeln durch den Himmelssaal,

    Sah weit das Leuchten über den Gestaden,
    Der Morgenröte purpurblassen Strahl,
    Fühlte die Winde, wie sie duftbeladen
    Sich wiegten in den Wipfeln ohne Zahl,

    Sah Frucht und Blüte über den Geländen
    Und Saat und Segen. Erst in dieser Nacht
    Ward ihm das Wunder aller Schöpfung wahr.

    Und wie ein Kind, das in die Welt erwacht,
    Nahm er aus diesen milden Frauenhänden
    Die neue Pracht, die längst sein eigen war.
    _____


     


 

 

 

zurück zum Verzeichnis

zurück zur Startseite