Ford Madox Brown (1821-1893)
Romeo und Julia |
Romeo und Julia
Shakespeare - Romeo und Julia
(Ausschnitte)
1. Aufzug / 5. Szene
Romeo (tritt zu
Julien)
Entweihet meine
Hand verwegen dich,
O, Heil'genbild, so will ich's lieblich büßen.
Zwei Pilger, neigen meine Lippen sich,
Den herben Druck im Kusse zu versüßen.
Julia
Nein, Pilger, lege
nichts der Hand zu Schulden
Für ihren sittsam-andachtvollen Gruß.
Der Heil'gen Rechte darf Berührung dulden,
Und Hand in Hand ist frommer Waller Kuß.
Romeo
Hat nicht der
Heil'ge Lippen wie der Waller?
Julia
Ja, doch Gebet ist
die Bestimmung Aller.
Romeo
O, so vergönne,
theure Heil'ge, nun,
Daß auch die Lippen wie die Hände thun;
Voll Inbrunst beten sie zu dir: erhöre,
Daß Glaube nicht sich in Verzweiflung kehre.
Julia
Du weißt, ein
Heil'ger pflegt sich nicht zu regen,
Auch wenn er eine Bitte zugesteht.
Romeo
So reg' dich,
Holde, nicht, wie Heil'ge pflegen,
Derweil mein Mund dir nimmt, was er erfleht.
(er küßt sie)
Nun hat dein
Mund ihn aller Sünd' entbunden.
Julia
So hat mein Mund
zum Lohn sie für die Gunst?
Romeo
Zum Lohn die Sünd'?
O Vorwurf, süß erfunden!
Gebt sie zurück.
(küßt sie wieder)
Julia
Ihr küßt recht nach
der Kunst.
2. Aufzug / 2. Szene
Capulet's Garten
(Romeo kommt)
Romeo
Der Narben lacht,
wer Wunden nie gefühlt.
(Julie erscheint
oben an einem Fenster)
Doch still, was
schimmert durch das Fenster dort?
Es ist der Ost, und Julia die Sonne! -
Geh' auf, du holde Sonn'! ertödte Lunen,
Die neidisch ist, und schon vor Grame bleich,
Daß du viel schöner bist, obwohl ihr dienend.
O, da sie neidisch ist, so dien' ihr nicht.
Nur Thoren gehn in ihrer blassen, kranken
Vestalentracht einher: wirf du sie ab!
Sie ist es, meine Göttin! meine Liebe!
O, wüßte sie, daß sie es ist! -
Sie spricht, doch sagt sie nichts: was schadet das?
Ihr Auge red't, ich will ihm Antwort geben. -
Ich bin zu kühn, es redet nicht zu mir.
Ein Paar der schönsten Stern' am ganzen Himmel
Wird ausgesandt, und bittet Juliens Augen,
In ihren Kreisen unterdeß zu funkeln.
Doch wären ihre Augen dort, die Sterne
In ihrem Antlitz? Würde nicht der Glanz
Von ihren Wangen jene so beschämen,
Wie Sonnenlicht die Lampe? Würd' ihr Aug'
Aus luft'gen Höhn sich nicht so hell ergießen,
Daß Vögel sängen, froh den Tag zu grüßen?
O, wie sie auf die Hand die Wange lehnt!
Wär' ich der Handschuh doch auf dieser Hand,
Und küßte diese Wange!
Julia
Weh mir!
Romeo
Horch!
Sie spricht. O sprich noch einmal, holder Engel!
Denn über meinem Haupt erscheinest du
Der Nacht so glorreich, wie ein Flügelbote
Des Himmels dem erstaunten, über sich
Gekehrten Aug' der Menschensöhne, die
Sich rücklings werfen, um ihm nachzuschaun,
Wenn er dahin fährt auf den trägen Wolken,
Und auf der Luft gewölbtem Busen schwebt.
Julia
O Romeo! warum denn
Romeo?
Verläugne deinen Vater, deinen Namen!
Willst du das nicht, schwör' dich zu meinem Liebsten,
Und ich bin länger keine Capulet!
Romeo (für sich)
Hör' ich noch
länger, oder soll ich reden?
Julia
Dein Nam' ist nur
mein Feind. Du bliebst du selbst,
Und wärst du auch kein Montague. Was ist
Denn Montague? Es ist nicht Hand, nicht Fuß,
Nicht Arm noch Antlitz, noch ein andrer Theil.
Was ist ein Name? Was uns Rose heißt,
Wie es auch hieße, würde lieblich duften;
So Romeo, wenn er auch anders hieße,
Er würde doch den köstlichen Gehalt
Bewahren, welcher sein ist ohne Titel.
O Romeo, leg' deinen Namen ab,
Und für den Namen, der dein Selbst nicht ist,
Nimm meines ganz!
Romeo (indem er
näher hinzutritt)
Ich nehme dich beim
Wort.
Nenn' Liebster mich, so bin ich neu getauft,
Und will hinfort nicht Romeo mehr seyn.
Julia
Wer bist du, der
du, von der Nacht beschirmt,
Dich drängst in meines Herzens Rath?
Romeo
Mit Namen
Weiß ich dir nicht zu sagen, wer ich bin.
Mein eigner Name, theure Heil'ge, wird,
Weil er dein Feind ist, von mir selbst gehaßt.
Hätt' ich ihn schriftlich, so zerriss' ich ihn.
Julia
Mein Ohr trank
keine hundert Worte noch
Von deinen Lippen, doch es kennt den Tod.
Bist du nicht Romeo, ein Montague?
Romeo
Nein, Holde;
keines, wenn dir eins mißfällt.
Julia
Wie kamst du her? o
sag' mir, und warum?
Die Gartenmau'r ist hoch, schwer zu erklimmen;
Die Stätt' ist Tod! Bedenk' nur, wer du bist,
Wenn einer meiner Vettern dich hier findet.
Romeo
Der Liebe leichte
Schwingen trugen mich;
Kein steinern Bollwerk kann der Liebe wehren;
Und Liebe wagt, was irgend Liebe kann;
Drum hielten deine Vettern mich nicht auf.
Julia
Wenn sie dich sehn,
sie werden dich ermorden.
Romeo
Ach, deine Augen
drohn mir mehr Gefahr
Als zwanzig ihrer Schwerter; blick' du freundlich,
So bin ich gegen ihren Haß gestählt.
Julia
Ich wollt' um Alles
nicht, daß sie dich säh'n.
Romeo
Vor ihnen hüllt
mich Nacht in ihren Mantel.
Liebst du mich nicht, so laß sie nur mich finden,
Durch ihren Haß sterben wär' mir besser
Als ohne deine Liebe Lebensfrist.
Julia
Wer zeigte dir den
Weg zu diesem Ort?
Romeo
Die Liebe, die
zuerst mich forschen hieß.
Sie lieh mir Rath, ich lieh ihr meine Augen.
Ich bin kein Steuermann, doch wärst du fern
Wie Ufer, von dem fernsten Meer bespült,
Ich wagte mich nach solchem Kleinod hin.
Julia
Du weißt, die Nacht
verschleiert mein Gesicht,
Sonst färbte Mädchenröthe meine Wangen
Um das, was du vorhin sagen hörtest.
Gern hielt' ich streng auf Sitte, möchte gern
Verläugnen, was ich sprach: doch weg mit Förmlichkeit!
Sag', liebst du mich? Ich weiß, du wirst's bejah'n,
Und will dem Worte trau'n; doch wenn du schwörst,
So kannst du treulos werden; wie sie sagen,
Lacht Jupiter des Meineid's der Verliebten.
O, holder Romeo! wenn du mich liebst:
Sag's ohne Falsch! Doch dächtest du, ich sey
Zu schnell besiegt, so will ich finster blicken,
Will widerspenstig seyn, und Nein dir sagen,
So du dann werben willst: sonst nicht um Alles.
Gewiß, mein Montague, ich bin zu herzlich;
Du könntest denken, ich sey leichten Sinns.
Doch glaube, Mann, ich werde treuer seyn
Als sie, die fremd zu thun, geschickter sind.
Auch ich, bekenn' ich, hätte fremd gethan,
Wär' ich von dir, eh' ich's gewahrte, nicht
Belauscht in Liebesklagen. Drum vergieb!
Schielt diese Hingebung nicht Flatterliebe,
Die so die stille Nacht verrathen hat.
Romeo
Ich schwöre,
Fräulein, bei dem heil'gen Mond,
Der silbern dieser Bäume Wipfel säumt . . .
Julia
O, schwöre nicht
beim Mond, dem Wandelbaren,
Der immerfort in seiner Scheibe wechselt,
Damit nicht wandelbar dein Lieben sey!
Romeo
Wobei denn soll ich
schwören?
Julia
Laß es ganz.
Doch willst du, schwör' bei deinem edlen Selbst,
Dem Götterbilde meiner Anbetung!
So will ich glauben.
Romeo
Wenn die
Herzensliebe . . .
Julia
Gut, schwöre nicht.
Obwohl ich dein mich freue,
Freu' ich mich nicht des Bundes dieser Nacht.
Er ist zu rasch, zu unbedacht, zu plötzlich;
Gleicht allzusehr dem Blitz, der nicht mehr ist,
Noch eh' man sagen kann: es blitzt. - Schlaf' süß!
Des Sommers warmer Hauch kann diese Knospe
Der Liebe wohl zur schönen Blum' entfalten,
Bis wir das nächste Mal uns wiedersehn.
Nun gute Nacht! So süße Ruh' und Frieden,
Als mir im Busen wohnt, sey dir beschieden.
Romeo
Ach, du verlässest
mich so unbefriedigt?
Julia
Was für
Befriedigung begehrst du noch?
Romeo
Gieb deinen treuen
Liebesschwur für meinen.
Julia
Ich gab ihn dir,
eh' du darum gefleht;
Und doch, ich wollt', er stünde noch zu geben.
Romeo
Wollt'st du ihn mir
entziehn? Wozu das, Liebe?
Julia
Um unverstellt ihn
dir zurückzugeben.
Allein, ich wünsch, was ich habe, nur.
So grenzenlos ist meine Huld, die Liebe
So tief ja wie das Meer. Je mehr ich gebe,
Je mehr auch hab' ich: beides ist unendlich.
Ich hör' im Haus Geräusch; leb' wohl, Geliebter.
(Die Wärterin
ruft hinter der Szene)
Gleich, Amme!
Holder Montague, sey treu!
Wart' einen Augenblick: ich komme wieder.
(sie geht
zurück)
Romeo
O sel'ge, sel'ge
Nacht! Nur fürcht' ich, weil
Mich Nacht umgiebt, dies alles sey nur Traum,
Zu schmeichelnd süß, um wirklich zu bestehn.
(Julia erscheint
wieder am Fenster)
Julia
Drei Worte, Romeo,
dann gute Nacht!
Wenn deine Liebe, tugendsam gesinnt,
Vermählung wünscht, so laß mich morgen wissen
Durch Jemand, den ich zu dir senden will,
Wo du und wann die Trauung willst vollziehn.
Dann leg' ich dir mein ganzes Glück zu Füßen,
Und folge durch die Welt dir als Gebieter. -
(Die Wärterin
hinter der Szene: Fräulein)
Ich komme;
gleich! - Doch meinst du es nicht gut,
So bitt' ich dich . . .
(Die Wärterin
hinter der Szene: Fräulein)
Im Augenblick:
ich komme! -
. . . Hör' auf zu werben, laß mich meinem Gram!
Ich sende morgen früh -
Romeo
Beim ew'gen Heil -
Julia
Nun tausend gute
Nacht! (geht
zurück)
Romeo
Raubst du dein
Licht ihr, wird sie bang durchwacht.
Wie Knaben aus der Schul' eilt Liebe hin zum Lieben,
Wie Knaben an ihr Buch wird sie hinweg getrieben
(er entfernt
sich langsam)
(Julia erscheint wieder am Fenster)
Julia
St! Romeo, st! O
eines Jägers Stimme,
Den edlen Falken wieder herzulocken!
Abhängigkeit ist heiser, wagt nicht laut
Zu reden, sonst zersprengt' ich Echo's Kluft,
Und machte heis'rer ihre luft'ge Kehle
Als meine, mit dem Namen Romeo.
Romeo
(umkehrend)
Mein Leben ist's,
das meinen Namen ruft.
Wie silbersüß tönt bei der Nacht die Stimme
Der Liebenden, gleich lieblicher Musik
Dem Ohr des Lauschers!
Julia
Romeo!
Romeo
Mein Leben?
Julia
Um welche Stunde
soll ich morgen schicken?
Romeo
Um neun.
Julia
Ich will nicht
säumen; zwanzig Jahre
Sind's bis dahin. Doch ich vergaß, warum
Ich dich zurückgerufen.
Romeo
Laß hier mich stehn,
derweil du dich bedenkst.
Julia
Auf daß du stets
hier weil'st, werd' ich vergessen,
Bedenkend, wie mir deine Näh' so lieb.
Romeo
Auf daß du stets
vergessest, werd' ich weilen,
Vergessend, daß ich irgend sonst daheim.
Julia
Es tagt beinah, ich
wollte nun, du gingst;
Doch weiter nicht, als wie ein tändelnd Mädchen
Ihr Vögelchen der Hand entschlüpfen läßt,
Gleich einem Armen in der Banden Druck,
Und dann zurück ihn zieht am seidnen Faden;
So liebevoll mißgönnt sie ihm die Freiheit.
Romeo
Wär' ich dein
Vögelchen!
Julia
Ach wärst du's,
Lieber!
Doch hegt' und pflegt' ich dich gewiß zu Tod.
Nun gute Nacht! So süß ist Trennungswehe,
Ich rief' wohl gute Nacht, bis ich den Morgen sähe.
(sie geht
zurück)
Romeo
Schlaf wohn' auf
deinem Aug', Fried' in der Brust!
O wär' ich Fried' und Schlaf, und ruht' in solcher Lust!
Ich will zur Zell' des frommen Vaters gehen,
Mein Glück ihm sagen, und um Hülf' ihn flehen.
(ab)
3. Aufzug / 2. Szene
(Ein Zimmer in
Capulets Hause)
(Julia tritt auf)
Julia
Hinab, du
flammenhufiges Gespann,
Zu Phöbus' Wohnung! Solch ein Wagenlenker,
Wie Phaeton jagt euch gen Westen wohl,
Und brächte gleich die wolkige Nacht herauf. -
Verbreite deinen dichten Vorhang, Nacht!
Du Liebespflegerin! Damit das Auge
Der Neubegier sich schließ', und Romeo
Mir unbelauscht in diese Arme schlüpfe. -
Verliebten gnügt zu der geheimen Weihe
Das Licht der eignen Schönheit; oder wenn
Die Liebe blind ist, stimmt sie wohl zur Nacht. -
Komm, ernste Nacht, du züchtig stille Frau,
Ganz angethan mit Schwarz, und lehre mir
Ein Spiel wo jedes reiner Jugend Blüte
Zum Pfande setzt, gewinnend zu verlieren!
Verhülle mit dem schwarzen Mantel mir
Das wilde Blut, das in den Wangen flattert,
Bis scheue Liebe kühner wird, und nichts
Als Unschuld sieht in inn'ger Liebe Thun.
Komm, Nacht - Komm, Romeo, du Tag in Nacht!
Denn du wirst ruhn auf Fittigen der Nacht
Wie frischer Schnee auf eines Raben Rücken. -
Komm, milde liebevolle Nacht! Komm, gieb
Mir meinen Romeo! Und sterb' ich einst,
Nimm ihn, zertheil' in kleine Sterne ihn:
Er wird des Himmels Antlitz so verschönen,
Daß alle Welt sich in die Nacht verliebt,
Und niemand mehr der eitlen Sonne huldigt. -
Ich kaufte einen Sitz der Liebe mir,
Doch ach! besaß ihn nicht; ich bin verkauft,
Doch noch nicht übergeben. Dieser Tag
Währt so verdrießlich lang mir, wie die Nacht
Vor einem Fest dem ungeduld'gen Kinde,
Das noch sein neues Kleid nicht tragen durfte.
(Die Wärterin
mit einer Strickleiter)
Da kommt die
Amme ja: die bringt Bericht;
Und jede Zunge, die nur Romeo'n
Beim Namen nennt, spricht so beredt wie Engel.
3. Aufzug / 5. Szene
(Romeo und Julia
zeigen sich oben auf dem Altan)
Julia
Willst du schon
gehn? Der Tag ist ja noch fern.
Es war die Nachtigall, und nicht die Lerche,
Die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang;
Sie singt des Nachts auf dem Granatbaum dort.
Glaub', Lieber, mir: es war die Nachtigall.
Romeo
Die Lerche war's
die Tagverkünderin,
Nicht Philomele; sieh den neid'schen Streif,
Der dort im Ost der Frühe Wolken säumt.
Die Nacht hat ihre Kerzen ausgebrannt,
Der muntre Tag erklimmt die dunst'gen Höhn;
Nur Eile rettet mich, Verzug ist Tod.
Julia
Trau' mir, das
Licht ist nicht des Tages Licht,
Die Sonne hauchte dieses Luftbild aus,
Dein Fackelträger diese Nacht zu seyn,
Dir auf dem Weg' nach Mantua zu leuchten;
Drum bleibe noch: zu gehn ist noch nicht Noth.
Romeo
Laß sie mich
greifen, ja, laß sie mich tödten!
Ich gebe gern mich drein, wenn du es willst.
Nein, jenes Grau ist nicht des Morgens Auge,
Der bleiche Abgang nur von Cynthia's Stirn.
Das ist auch nicht die Lerche, deren Schlag
Hoch über uns des Himmels Wölbung trifft.
Ich bleibe gern; zum Gehn bin ich verdrossen. -
Willkommen, Tod! hat Julia dich beschlossen. -
Nun, Herz? Noch tagt es nicht, noch plaudern wir.
Julia
Es tagt, es tagt!
Auf! eile! fort von hier!
Es ist die Lerche die so heiser singt,
Und falsche Weisen, rauhen Mißton gurgelt.
Man sagt, die Lerche Harmonie sey süß;
Nicht diese: sie zerreißt die unsre ja.
Die Lerche, sagt man, wechselt mit der Kröte
Die Augen; möchte sie doch auch die Stimme!
Die Stimm' ist's ja, die Arm aus Arm uns schreckt,
Dich von mir jagt, da sie den Tag erweckt.
Stets hell' und heller wird's: wir müssen scheiden.
Romeo
Hell? Dunkler stets
und dunkler unsre Leiden!
(Die Wärterin
kommt herein)
Wärterin
Fräulein!
Julia
Amme?
Wärterin
Die gnäd'ge Gräfin
kömmt in Eure Kammer;
Seyd auf der Hut; schon regt man sich im Haus.
(Wärterin ab)
Julia (das
Fenster öffnend)
Tag, schein'
herein! und Leben flieh hinaus!
Romeo
Ich steig' hinab:
laß dich noch einmal küssen.
(Er steigt
hinab)
Julia (ihm
nachsehend)
Freund! Gatte!
Trauter! bist du mir entrissen?
Gieb Nachricht jeden Tag zu jeder Stunde!
Schon die Minut' enthält der Tage viel.
Ach! so zu rechnen bin ich hoch in Jahren,
Eh' meinen Romeo ich wiederseh'.
Romeo (unten)
Leb' wohl! Kein
Mittel lass' ich aus den Händen,
Um dir, du Liebe, meinen Gruß zu senden.
Julia
O denkst du, daß
wir je uns wiedersehn?
Romeo
Ich zweifle nicht,
und all' dies Leiden dient
In Zukunft uns zu süßerem Geschwätz.
Julia
O Gott! ich hab'
ein Unglück ahnend Herz.
Mir däucht, ich säh' dich, da du unten bist,
Als lägst du todt in eines Grabes Tiefe,
Mein Auge trügt mich, oder du bist bleich.
Romeo
So Liebe, scheinst
du meinen Augen auch.
Der Schmerz trinkt unser Blut. Leb' wohl! leb' wohl!
(ab)
5. Aufzug / 3. Szene
Romeo
(...)
- O mein Herz! mein Weib!
Der Tod, der deines Odems Balsam sog,
Hat über deine Schönheit nichts vermocht.
Noch bist du nicht besiegt: der Schönheit Fahne
Weht purpurn noch auf Lipp' und Wange dir;
Hier pflanzte nicht der Tod sein bleiches Banner. -
Liegst du da, Tybalt, in dem blut'gen Tuch?
O, welchen größern Dienst kann ich dir thun,
Als mit der Hand, die deine Jugend fällte,
Deß Jugend, der dein Feind war, zu zerreißen?
Vergieb mir, Vetter! - Liebe Julia,
Warum bist du so schön noch? Soll ich glauben -
Ja, glauben will ich (komm, lieg' mir im Arm!)
Der körperlose Tod entbrenn' in Liebe,
Und der verhaßte, hagre Unhold halte
Als seine Buhle hier im Dunkeln dich.
Aus Furcht davor will ich dich nie verlassen,
Und will aus diesem Pallast dichter Nacht
Nie wieder weichen. Hier, hier will ich bleiben
Mit Würmern, so dir Dienerinnen sind.
O, hier bau' ich die ew'ge Ruhstatt mir,
Und schüttle von dem lebensmüden Leibe
Das Joch feindseliger Gestirne. - Augen,
Blickt euer Letztes! Arme, nehmt die letzte
Umarmung! und, o Lippen, ihr, die Thore
Des Odems, siegelt mit rechtmäß'gem Kusse
Den ewigen Vertrag dem Wucherer Tod,
Komm, bittrer Führer! widriger Gefährt'!
Verzweifelter Pilot! Nun treib' auf einmal
Dein sturmerkranktes Schiff in Felsenbrandung!
Dies auf dein Wohl, wo du auch stranden magst!
Dies meiner Lieben! -
(er trinkt)
- O wackrer Apotheker,
Dein Trank wirkt schnell. - Und so im Kusse sterb' ich.
(er stirbt)
(...)
Julia
(erwachend)
O Trostesbringer!
wo ist mein Gemahl?
Ich weiß recht gut noch, wo ich sollte seyn,
Da bin ich auch. - Wo ist mein Romeo?
(Geräusch von
Kommenden)
Lorenzo
Ich höre Lärm. -
Kommt, Fräulein, flieht die Grube
Des Tod's, der Seuchen, des erzwungnen Schlafs;
Denn eine Macht, zu hoch dem Widerspruch,
Hat unsern Rath vereitelt. Komm, o komm!
Dein Gatte liegt an deinem Busen todt,
Und Paris auch; komm, ich versorge dich
Bei einer Schwesterschaft von heil'gen Nonnen.
Verweil' mit Fragen nicht; die Wache kömmt.
Geh', gutes Kind!
(Geräusch hinter der
Szene)
Ich darf nicht länger bleiben.
(ab)
Julia
Geh' nur,
entweich'! denn ich will nicht von hinnen. -
Was ist das hier? Ein Becher, festgeklemmt
In meines Trauten Hand? - Gift, seh' ich, war
Sein Ende vor der Zeit. - O Böser! alles
Zu trinken, keinen güt'gen Tropfen mir
Zu gönnen, der mich zu dir brächt'? - Ich will
Dir deine Lippen küssen. Ach, vielleicht
Hängt noch ein wenig Gift daran, und läßt mich
An einer Labung sterben.
(sie küßt ihn)
Deine Lippen
Sind warm. -
Wächter (hinter
der Szene)
Wo ist es, Knabe?
Führ' uns.
Julia
Wie? Lärm? - dann
schnell nur.
(sie ergreift
Romeo's Dolch)
O willkommner
Dolch!
Dies werde deine Scheide.
(ersticht sich)
Roste da
Und laß mich sterben.
(sie fällt auf
Romeo's Leiche, und stirbt)
Aus: Shakespeare's
dramatische Werke
Übersetzt von August Wilhelm von Schlegel [1767-1845]
ergänzt und erläutert von Ludwig Tieck
Neunter Theil (Cymbeline / Liebes Leid und Lust
Romeo und Julia / Macbeth)
Berlin bey G. Reimer 1833
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