Liebessonette ausländischer Dichter und Dichterinnen
(in deutscher Übersetzung)

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Michael Drayton (1563-1631)

(In der Übersetzung von Johann Gottlieb Regis und Otto Ludwig Heubner)



Idea

O Anker silberklar! an dem die schöne
Idea weilt, die all' mein Herz erwählt!
Du selig Bächlein, dess milchweisse Schwäne
Krystallen feiern, die ihr Blick beseelt,

Wo Zephyr, süss mit Myrrhenduft beschwinget,
Anmut'ge Nektartropfen niederweht,
Wo Nachtigall in Arden sitzt und singet
Auf thauumperltem, zartem Blumenbeet:

Sprich, wann du deine Fürstin siehst, o Bach;
Sieh, theure Magd, hier irrt' einst unverdrossen
Dein Schäfer; unter diesem Schattendach

Hat er für dich so manche Thrän' vergossen.
Du, Arden, bist mein Tempe lange schon,
Und, süsser Anker, du mein Helikon.
(S. 91)

Übersetzt von Johann Gottlieb Regis (1791-1854)

Aus: England und Amerika Fünf Bücher englischer
und amerikanischer Gedichte
von den Anfängen bis auf die Gegenwart
In deutschen Übersetzungen
Chronologisch geordnet mit litterarhistorisch-kritischen
Notizen und einer Einleitung
von Julius Hart
Minden i. W. J. C. C. Brun's Verlag 1885
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Einfälle

Und muß es sein, so laß uns küssend scheiden;
'S ist aus; erwarte nun nichts mehr von mir;
Ja ich mag gern, von Herzen gern es leiden,
Daß ich so ganz und gar bin frei von dir.

Leb' wohl auf ewig! Schwüre, seid vergessen!
Und wenn mal Eins das Andre wieder sieht,
In keiner Miene dann darf man es lesen,
Daß noch ein Fünkchen Lieb' im Herzen glüht.

Wenn so dem Liebeshort der Odem fliehet,
Sein Pulsschlag stockt, die heiße Zunge schweigt,
Bei seinem Todtenbett die Treue kniet,
Die Unschuld still den Blick zu Boden neigt;

Sieh, wenn ihn Alle haben aufgegeben,
Du könnt'st ihn wecken doch vom Tod zum Leben.
(S. 107)

Übersetzt von Otto Ludwig Heubner (1856)

Aus: Englische Dichter Eine Auswahl englischer Dichtungen
mit deutscher Übersetzung
von O. L. H ...r [Otto Ludwig Heubner]
Leipzig Verlag von Georg Wigand 1856

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Verbannt vom Himmel, fremd auf Erden, zog
In Noth und Schmach umher der Liebesgott;
Er, einer Göttin Sohn, und freundlos doch,
Erbettelt sich am Weg sein täglich Brod.

Ich menschenfreundlicher und frommer Mann
Kleidet' den Nackten und herbergt' den Gast,
Führt ihn zu meinem Tisch und nährt' ihn dran,
Mit Seufzern, Thränen, wie's nur für ihn paßt.

Doch treulos macht' er mir, zum Lohn dafür,
Mit meinem eignen Innern böses Spiel;
Mit ihm im Bunde stahl mein Herz er mir,
Und setzt' in Glut den Busen, sein Asyl:

Ja Freunde, wenn es so die Bettler treiben,
Kein Wunder dann, daß hart die Herzen bleiben.
(S. 107)

Übersetzt von Otto Ludwig Heubner (1856)

Aus: Englische Dichter Eine Auswahl englischer Dichtungen
mit deutscher Übersetzung
von O. L. H ...r [Otto Ludwig Heubner]
Leipzig Verlag von Georg Wigand 1856

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