Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)
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Mihail Eminescu (1850-1889)
(In der Übersetzung
von Mite Kremnitz)
Sonette
I.
Die Zeit will mir die heil'ge Stund' entwenden,
Die längst vergangne, wo ich dich erschaute,
Doch liebend denk' ich immer an dich, Traute,
O Frau, mit großem Aug' und kühlen Händen!
Komm wieder! Lehre du mich süße Laute,
Laß deinen Blick mir warmes Leben spenden,
Laß unter ihm mein Dasein sich vollenden,
Entlocke neue Lieder meiner Laute!
Du weißt nicht einmal, wie mich deine Nähe
Beschwichtigt und ins tiefste Herz beglückt,
Wie wenn so still die Stern' ich aufgehn sehe;
Doch wenn dein kindlich Lächeln mich entzückt,
Erlischt mein Leben voller Schmerz und Wehe,
Erglüht mein Blick, bin ich dem Sein entrückt.
II.
Wenn ganz verklungen der Gedanken Saiten,
Umrauscht ein frommer Sang mich süß und sacht -
Dann ruf' ich dich! Hat meine Stimme Macht?
Wirst du hervor aus kalten Nebeln schreiten?
Wirst mild erhellen du das Schwarz der Nacht
Mit deinen Augen, den gebenedeiten?
Entsteig' dem Schatten längst vergangner Zeiten,
Komm wie der Traum, der einstmals dich gebracht!
Tritt leise auf, komm näher, nah' heran,
Neig' lächelnd auf mein Antlitz dich hernieder,
Ein Seufzer zeig' mir deine Liebe an.
Berühre mit der Wimper meine Lider,
Daß deine Nähe mich durchschauern kann -
Ewig verlorne Liebe, kehre wieder!
(S. 153-154)
übersetzt von Mite
Kremnitz (1852-1916)
Aus: Rumänische Dichtungen
Deutsch von Carmen Sylva
Mit Beiträgen von Mite Kremnitz
Dritte Auflage Bonn Verlag von Emil Strauß 1889
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