Liebessonette ausländischer Dichter und Dichterinnen
(in deutscher Übersetzung)

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




John Keats (1795-1821)

(In der Übersetzung von Gisela Etzel)



An -

Wär ich von ritterlichem Wuchs, vielleicht
Wär meinem Weh ein Widerhall erwacht
Und hätte wohl dein Herz in Glut entfacht,
Daß es mir selbst die Waffen überreicht.

Doch ach, ich bin kein Held, dem alles weicht,
Und meine Brust schirmt keine Panzerpracht;
Kein Schäfer bin ich, dem ein Mädchen lacht,
Und dessen Mund erzittert und erbleicht.

Und muß dich dennoch lieben - süß dich nennen,
Viel süßer noch als Hybla's Rosenbecher,
Wenn sie von Tau gefüllt fast überrinnen.

Ach, dieser Tau! Ich will, ich muß ihn kennen!
Erscheine Mond! Mach mich zum seligen Zecher!
Mit Spruch und Zauber muß ich ihn gewinnen!
(S. 78)
_____



An G. A. W.

Nymphe des Lächelns mit gesenkten Blicken,
In welchen glanzverklärten Tagesstunden
Sei deiner Lieblichkeit der Kranz gewunden:
Wenn süße wirre Reden dich verstricken -

Wenn du in himmelheiterem Verzücken
Gedanken lebst - wenn du so ungebunden
Hintanzest durch des Gartens Sonnenstunden
Und hundert Blumen dir Willkommen nicken?

Oder wenn du gebannt in süßem Lauschen
Die Rosenlippen teilst? - Wie darf ich fragen!
Ein Schönstes gegen Schönstes umzutauschen,

Wär Torheit nur. Ich könnte dann auch sagen,
Welche der Grazien in Apolls Geleit
Die erste sei an holder Lieblichkeit.
(S. 80)
_____



Auf ein Bild des Leander

Ihr sittsam süßen Mädchen, kommt gegangen,
Senkt unter Wimpern blasser Augenlider
Demütig keuschen Blick zur Erde nieder
Und haltet milde Hand von Hand umfangen,

Als könntet ihr bestürzt nur und mit Bangen
Ein Opfer eurer Schönheit sehn, das nieder
In nasse Nacht sinkt: niemals löst ihn wieder
Die junge Liebe ais den Wogenschlangen.

Leander ist's, der sich zu Tode müht.
Ohnmächtig lächeln noch die matten Lippen
Den letzten Kuß, den Sturm zu Hero trug.

O schrecklich! Seht, wie seine Kraft versprüht.
Sein Leib löscht aus wie Leuchten zwischen Klippen,
Aufperlt der Liebe letzter Atemzug.
(S. 88)
_____



Wenn Furcht mich faßt, mein Dasein könne enden,
Noch eh' die Feder, was mein Hirn erdachte,
In Schrift, in Büchern wußte zu vollenden,
Das reife Korn in volle Speicher brachte -

Wenn wolkengleich tief seltsame Legenden
Der Nacht besterntes Antlitz überfließen,
Und ich es weiß, daß nie mit Zufallshänden
Das Glück mir hilft, ihr Bild in Form zu gießen -

Und wenn ich fühle, Schönste du von allen,
Daß nur die flüchtige Stunde uns umfängt,
Daß nie mein Herz in jenen Zauberfallen

Gedankenloser Liebe träumend hängt -
Dann steh ich einsam vor den Ewigkeiten,
Bis Ruhm und Liebe in ein Nichts entgleiten.
(S. 90)
_____



An eine Dame
(flüchtig gesehen in Vauxhall)

Fünf Jahre ebbt das träge Meer der Zeit,
Und langsam rann der feine Stundensand,
Seit du den Handschuh zogst von weißer Hand
Und ich mich fing in deiner Lieblichkeit.

Und dennoch: schau ich auf zum Sternenlicht,
So zeigt Erinnrung deiner Augen Glanz,
Und seh ich rosiger Rosen zarten Kranz,
Denkt meine Seele nur an dein Gesicht.

Kein Knospenschwellen kann mein Auge sehen,
Ohn' daß mein töricht Ohr sich neigt und lauscht,
Um deines Mundes Worte zu verstehen.

So wird in jedes Glück dies Deingedenken
- Wie tiefre Lust, die inniger berauscht -
Den süßen Stachel seiner Schmerzen senken.
(S. 91)
_____



An Fanny

Ich schreie: hab Erbarmen! - Mitleid! - Liebe!
Liebe, die sich erbarmt und die nicht quält,
Beständige, arglose, offene Liebe,
Die, makellos, sich keine Maske wählt.

O gib dich ganz! Sei mein - sei meinem Flehen!
Gestalt und Antlitz - süßer kleiner Mund -
Himmlische Augen, Hände, die verstehen,
Der warmen Brüste freudevolles Rund, -

Gib deine Seele - gib dein ganzes All,
Halt nichts zurück, nichts - nichts! Ich würde sterben!
Und lebte ich, dein elender Vasall,

Ich würde doch an meinem Schmerz verderben!
Ich könnte meines Daseins Sinn nicht finden,
Mein Geist, mein Ehrgeiz würden stumpf erblinden!
(S. 94)
_____

Übersetzt von Gisela Etzel (1880-1917)

Aus: John Keats Gedichte
übertragen von Gisela Etzel
Im Insel Verlag zu Leipzig 1910



 

 

zurück zum Liebessonnete-Verzeichnis

zurück zur Startseite