Willem Kloos (1859-1938)
(In der Übersetzung
von Stefan George)
Sonette
I.
Ich denke immer dein wie an die träume
Drin · eine ganze lange selige nacht ·
Ein niegesehen antlitz uns zu-lacht
So unaussprechlich lieb · dass bei dem dämmern
Des bleichen morgens noch die tränen strömen
Aus halbgeschlossnem aug · bis wir uns sacht
Und schweigsam heben · klagevoll bedacht
Dass schöne träume nimmer wiederkommen.
Denn alles liegt in ewigem schlaf befangen
In ewiger nacht auf die kein morgen tagt ·
Das ganze leben gleicht dem wunder-bangen
Schreckvollen traum den einst die nacht verjagt –
Doch in dem traum ein traum voll licht und sange:
Mein traum so süss begrüsst · so sanft beklagt.
(S. 67)
II.
So wie da fern im stillen blauen wehn
Und silbern-sachte der halboffne mond
Blühte wie fremde blume ohne frucht
Um bleich am horizonte zu vergehn:
So sah ich einstens – wonne wundersüss –
Dein halbverhülltes bildnis vor mir stehn
Mit sanftem lächeln und mit seufzen dann
Vor den erstaunten augen untergehn.
Ich liebe dich wie träume in der nacht
Die nach endlosem glücke einiger stunden
Bei erster dämmerung für immer flohn ·
Wie morgenrot und bleiche sternenpracht:
Etwas liebes · vermisst und nie gefunden ·
Wie alles was sehr fern ist und sehr schön.
(S. 68)
VI.
Kaum sichtbar wiegen sich auf leichtem hauch
Die weissen blüten in der dämmrung · sieh!
Wie raschen rauschens vor dem fenster noch
Ein einziger allzuspäter vogel flieht.
Und ferne dort die zartgefärbte luft
Perlmuttergleich wo jeder ton sich bricht
Und löst in weichheit .. ruhe – seltne lust ·
Denn alles ist bei tag so innig nicht ·
Ein jeder laut der noch von weitem sprach
Verstarb · der wind die wolken – alles regt
Sich leis und leiser · alles wird so still ..
Und ich weiss nicht warum dies herz so schwach
Das schon so müd ist immer lauter schlägt ·
Nur immer lauter und nicht ruhen will.
(S. 69)
XIII.
O dass ich hassen muss und nicht vergessen!
O dass ich lieben muss und nicht vergehn!
Ach Lieb-in-hass muss ich mich selber heissen ·
Keins kann in mir das andere bestehn.
In trüben wünschen war ich hingesessen
Um gellen drohens wieder aufzustehn –
Ich konnte nie den bittren bissen essen:
Weh still zu sein und sehr weit weg zu gehn.
Ein hoffen nur · ein einzig süsses meinen ·
Ein wissen nur – und doch! ich kanns nicht glauben ..
Ach dies: dass ruhen unter grünen steinen
Ein ewig ruhen ist · in ein betäuben ·
Und dass die toten nicht im dunkel weinen
Ums süsse leben mit den lieben droben.
(S. 70)
Aus: Zeitgenoessische
Dichter
Übertragen von Stefan George
Erster Band: Rossetti, Swinburne, Dowson,
Jakobsen, Kloos, Verwey, Verhaeren
Georg Bondi Berlin 1905
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