Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)
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Paul
Verlaine (1844-1896)
(In der Übersetzung von Wolf von Kalckreuth)
[Aus: Die
Freundinnen]
Auf dem Balkon
Die beiden schauten, wie die Schwalben leicht entflogen,
Die eine rosig blond, bleich und mit schwarzem Haare
Die andre, und das matte Nachtkleid floss dem Paare
Sanft nieder, wolkengleich, in weichen, üpp'gen Wogen.
Und beide schmachtend, gleich dem Asphodelos, sogen,
Da weich der Mond gen Himmel stieg, der runde, klare,
Tief atmend die Erregung ein, die wunderbare,
Der Dämmerung, das Herz von trübem Glück durchzogen.
So träumten Arm in Arm geheimnisvoll durchschauert,
Ein seltsam Paar, das andre Liebende bedauert,
Am Rande des Balkons die beiden jungen Frauen.
Dahinter, tief im Zimmer, das in Nacht sich tauchte,
Erschloss, stolz wie ein Thron im Singspiel anzuschauen,
Sich das zerwühlte Bett, das süssen Duft enthauchte.
(S. 117)
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[Aus: Die
Freundinnen]
Pensionärinnen
Die eine fünfzehn Jahr, die andere sechzehn, rüsten
Blauäugig-schlank, zum Schlafe sich. Beklommen
Und schwül ist die Septembernacht gekommen.
Die Wangen färbt ein zärtliches Gelüsten.
Die feinen Hemden gleiten von den Büsten
Und hauchen holden Duft, süss und verschwommen,
Es dehnt die Jüngre sich, die Freundin lustentglommen
Küsst sie, die Hände auf der andern Brüsten.
Dann sinkt sie in die Knie, vom Wahnsinn fortgezogen,
Und taucht den Mund in der Erregung Wogen
In Schatten unter goldnem Lockenglanze.
Und während der Umarmung regt die Kleine
Die Fingerchen, als spiele sie zum Tanze,
Und rosig lächelt sie in süsser Reine.
(S. 118)
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[Aus: Die
Freundinnen]
Per Amica Silentia
Der reiche Stoff von weichem Musseline,
Wo bleich der Schein der nächt'gen Ampel wachte
Und die opalgleich schimmernde Gardine
Geheimnisvoll im Schatten fliessen machte,
Der reiche Stoff am Bett von Adeline
Vernahm, wie Klaras Silberstimme lachte,
So süss, als ob sie nur der Liebe diene,
Bis sie ein heisser Ton zum Schweigen brachte.
O lieben! lieben! sagten eure Stimmen,
Klara und Adeline, eng umschlungen,
O edle Herzen, die ihr Wunsch bezwungen.
Liebt, liebt, Vereinsamte! Wenn auch in schlimmen
Und trauerreichen, öden Unglückstagen
Ihr das erhabne Brandmal still müsst tragen.
(S. 119)
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[Aus: Die
Freundinnen]
Frühling
Die junge, rothaarige Schöne
Sprach, liebentflammt für die reine
Hellblonde, unschuldige Kleine
Die zärtlich flüsternden Töne:
Dass die Blüte die Pflanze kröne,
Lass in deiner Kindheit Haine
Mich tasten im Moos, dass die schöne
Holdleuchtende Rose erscheine.
Lass im Gras, das schimmernd mich grüsste,
Die Tropfen des Taus mich trinken,
Die zart im Blumenkelch blinken.
Dass die Lust der Liebe, o Süss'ste
Auf der reinen Stirn dir erglühe,
Wie im schüchternen Äther die Frühe.
(S. 120)
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[Aus: Die
Freundinnen]
Sommer
Und mit Wangen, die sich entfärben,
Sprach das Kind von den Liebkosungen
Der trunkenen Freundin bezwungen:
Ach, Liebste, ich fühle mich sterben!
Ich sterbe. O sel'ges Verderben,
Du hältst mich glühend umschlungen,
Dein blühendes Fleisch ist durchdrungen
Von Düften, die süss mich umwerben.
Dein Fleisch birgt die dunklen Gefahren
Der sommergereiften Schöne,
Wo Düfte und Schatten sich paaren.
Sturm sind deiner Stimme Töne,
Und der Locken blutig Gefunkel
Fliesst jäh in das bleierne Dunkel.
(S. 121)
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Übersetzt von Wolf
von Kalckreuth (1887-1906)
Aus: Paul Verlaine Ausgewählte Gedichte
Übertragen von Graf Wolf von Kalckreuth
Insel Verlag Leipzig 1906
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