Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Rudolf G. Binding
(1867-1938)



Zweites Sonett der Louize Labé

O braune Augen, Blicke abgewendet,
O heiße Seufzer, o vergossene Tränen,
O dunkle Nächte hingebracht in Sehnen,
O lichte Tage nutzlos hinverschwendet;

O Traurigkeit, o endloses Begehren,
O Stunden die vertan, wehes Entsetzen,
O tausend Tode rings in tausend Netzen,
O schlimmer Qualen noch mich zu verzehren.

O Lächeln, Stirn, Haar, Hände - mich verzückend;
O Stimme, Laute, Geige - mich berückend:
So viele Flammen für ein schmelzend Weib!

Dich klag ich an, der du die Feuer fachtest,
Mit Brand und Brand mir nach dem Herzen trachtest:
Kein Funke fiel davon auf deinen Leib.
(S. 165)
_____


Sonette der Verschmähten

1.
Darf einer dies mein Antlitz, das im Schmerze
verschmäht zu sein in meiner Hände Meer
sich weinend stürzte, wie zu schlechtem Scherze
aufrichten neu zu Lächeln und Begehr?

Darf einer mich, die umgestürzte Kerze
die zum Erlöschen sich geneigt, so sehr
noch lieben daß sein eignes Herze
er ihr verbrennt? O kehr dich ab, o kehr

dich von mir ab, wenn du noch lächeln willst,
wenn du noch glühen willst in jungem Brennen
und du verflucht nicht bist nie zu erkennen

was Liebe ist! - Der du von Leben quillst:
du kannst mich nicht von meinem Tode trennen.
Zu still bin ich daß du mich lebend stillst.
(S. 228)


2.
Dunkler Tod: - umschließt mich wieder, ihr Hände!
Tränen brauchen mich nicht noch zu ertränken.
Nichts bin ich. - Es spült um verlassene Lände
nur ein Leib mit kalten schweren Gelenken.

Törichter Leib! Was stößt du noch gegen die Wände
einer verschloßnen Welt wo sich liebend verschränken
Menschen mit Menschen! Daß sie dich noch einmal schände?
Tiefe des Grauens - vermag sie mich nicht zu versenken?

Muß ich schon wieder lockender Stimme lauschen?
- süßer Stimme! o süß weil sie ruft die Glücklose.
Weh! Das Unmögliche ruft um mich zu berauschen.

Wie soll die Blume entblättert im wilden Gekose
anderer Sonne nun zarter erblühn? - Die Rose
wird mit den Hagebutten des Herbstes nicht tauschen.
(S. 229)


3.
O Schmerz, ich glaubte dir du seist mir treu
und würdest ewig sein. Ich war bereit
für deine große stille Ewigkeit.
So fern war ich schon jenseits Wunsch und Reu.

Und einer kommt und alles ist wie neu
und jung und gut und wie vor alter Zeit.
Weil er nur ist ist alles frei und weit
und alles froh weil er nur sagte: Freu

dich wieder. - O mein Schmerz, ich stehe nackt
und ohne Wehr im Sturme seiner Nähe.
Komm, rette mich! Es hat mich angepackt.

Ich sehe ihn als ob ich nichts mehr sähe.
Es überströmt mich wie ein Katarakt
und ist doch süß in seiner großen Jähe.
(S. 230)


4.
Mich zu beglücken hob sein Lid er sanft,
mich zu befrieden gab er seine Lippen
kaum wie den Trank den Kelchen die am Ranft
der toten Weiher kühle Wasser nippen -

Bin ich so fremd daß er wie einen Gast
mich in sein Leben eingehn heißt und wieder
hinausgehn läßt und schon als halbe Last
vergessen wird eh noch die Nacht sinkt nieder? -

O Nicht! o süßes Wehren! seliges Nein!
die nun aus stummer Augen Tiefe steigen:
o Liebkosung, Befriedung, Brot und Wein.

Ich fühle bebend den gehemmten Strom
in seinem Beben. Überm heiligen Schweigen
zitternder Leiber steigt der Liebe Dom.
(S. 231)


5.
Soll ich glauben mir daß ich es bin
die er weckt und aus dem Grabe löste?
Seine Hand hob zärtlich kaum mein Kinn
daß mein Auge sich in seinem tröste.

Und schon zittert in der fremden Macht
seiner Liebe er der nie gezittert.
Er erschauert der mein Herz bewacht
nun vom letzten Heiligsten umwittert.

Der da stand noch männlichsten Gewichts
knieet nun vor meinem Leib der - nichts
eben noch als ein Gefäß des Schmerzes -

aufersteht als Rächer des Gerichts.
Doch im Schatten meines Angesichts
schlägt sein Herz an meinem - und ich herz' es.
(S. 232)


6.
O daß nun Freude ist was mich zerbrach!
Daß Jubel ist was gestern noch als Schmach
verhüllt sich in ein wehes Herz verbarg!
Daß Tempel ist was eben noch war Sarg!

Daß ich dem Schmerz der Tage lächle nach
wie man sich Kindliches verzeiht! Daß brach
ich bin für Schmerz die so viel Schmerzen barg.
Es ist zu reich was ist. Ich bin zu karg.

Und all dies ist weil er es so begehrte;
weil er in Liebe mir den Tod verkehrte;
weil seines Herzens Glut den Funken wahrt.

Wie stark ist dieses Herz daß es gebietet
der Liebe und dem Tod und beide nietet
in einem Leib -: wie stark ist es - und zart.
(S. 233)


7.
Die zu weihen liebend er gedacht hat
hebend sie vom Grund mit guten Händen:
niemals werden nun die Brände enden
in dem Leib den sehnend er entfacht hat.

Von den Stürmen meines Glücks umfangen
steh ich taumelnd in den heiligen Flammen
seiner Küsse und in eins zusammen
stürzt die Weihe, stürzt das Neu-Verlangen.

Die in Scham und Schmach so tief verwirrt ist,
die in seinem Kuß so tief verirrt ist
wie in Ewiges -: ich brenne dehne

mich zu endlosem Sich-ihm-Verschwenden.
Wie soll dies Unendliche je enden
da ich ewig ihn unendlich sehne?
(S. 234)


8.
O ihr Blumen, lehrt mich blühen
die ihr scheu zum Lichte drängt
daß mich nicht im Kaumerglühen
erster Schrei des Kelchs zersprengt.

Ein ohnmächtig Keuschbemühen
flammt dem Kusse beigemengt
da schon bebend mich in frühen
Schaudern fremde Glut versengt.

Er nur kühlt mich - zart umnachtend
zart umschattend die verschmachtend
ihm verging und ihm verglüht,

und aus tief verwehten Wächten
blühe ich in Tag und Nächten
hin für ihn wie ihr erblüht.
(S. 235)


9.
Über mein Lächeln geneigt
geh ich durch sterbenden Park.
Sehnsucht die irrende schweigt:
Nur noch die Liebe ist stark.

In meiner süßesten Gruft
in meinem heimlichsten Mark
ruht noch von Küssen ein Duft
wie von dem Sommer im Park.

Weil mich die Liebe verstieß
darf ich in seiner nun ruhn
selig ein keimender Kern.

Wenn auch sein Arm mich entließ
hält mich sein Atem doch nun
wie eine Sonne den Stern.
(S. 236)


10.
Einst war ich nur ein ungetanzter Tanz,
ein nie gesungen Lied, erstickter Klang
und halber Atemzug. O weher Kranz
den man auf meine junge Stirne zwang.

Nun bin ich alles: Tanz und Klang und Sinn
und tiefer Atem, Lied das froh sich hebt;
und weiß: ich bin durch ihn nur was ich bin
und starb um dies und hab um dies gelebt.

Mit solchen Kronen krönt er mein Geschick.
Er ist durch sich. Ich kann nicht gleiches geben.
Doch wenn ich einst, noch flammenden Gesichts,

mir auch gestehen müßte daß ich nichts
ihm war als nur ein flücht'ger Augenblick -
er war ja doch mein ganzes junges Leben.
(S. 237)


11.
Unzerstörbar steigt das Vergängliche auf.
Ohne Trauer fällt die Fontäne zum Spiegel
den sie aufjauchzend verließ; und der Ewigkeit Siegel
ruht auf allem was blüht in sich endendem Lauf.

Lerchengesang und fliehender Vögel Heer
Löwen so fern und nächtiger Eulenschrei
lassen mich nicht und kommen und gehen vorbei
voll des Ewigen und des Vergänglichen leer.

Voller glühen die Tage. In Nächten verweht
nicht der Abschied des Lichts. In Lächeln nur weinen
Augen noch heimlich der Tränen die sie vergossen.

Er der Niegekommene kam. Und er geht
leicht um wiederzukehren: daß in dem einen
Selig-Umarmen sei das Vergehen beschlossen.
(S. 239)
_____


Aus: Rudolf G. Binding Die Gedichte Gesamtausgabe
Rütten & Loening Verlag Potsdam 1937
 

 

 

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