Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Ernst Blass
(1890-1939)



An Gladys

O du, mein holder Abendstern ...
Richard Wagner

So seltsam bin ich, der die Nacht durchgeht,
Den schwarzen Hut auf meinem Dichterhaupt.
Die Straßen komme ich entlang geweht,
Mit weichem Glücke bin ich ganz belaubt.

Es ist halb eins, das ist ja noch nicht spät ...
Laternen schlummern süß und schneebestaubt.
Ach, wenn jetzt nur kein Weib an mich gerät
Mit Worten, schnöde, roh und unerlaubt!

Die Straßen komme ich entlang geweht,
Die Lichter scheinen sanft aus mir zu saugen,
Was mich vorhin noch von den Menschen trennte;

So seltsam bin ich, der die Nacht durchgeht ...
Freundin, wenn ich jetzt dir begegnen könnte,
Ich bin so sanft, mit meinen blauen Augen!
(S. 23)
_____



Das Leid

Wie mich, was fern ist, tausendfach betrügt!
Ich recke mich nach deiner Gegenwart,
Vor meinem Blicke schimmerlich gefügt
Dein Abbild, traumhaft nah und lächelnd, harrt.

In Tränen hab ich es schon angestarrt ...
Ich wußte schon, wie weh fast alles lügt ...
Daß einst man einsam in ein Grab mich scharrt,
Ist eine Trauer, die mir nicht genügt.

So schäume ich von "Ewigkeiten" Lieder:
Ein Opium, das mich manchmal überfüllt,
Ich will in Liebe wunderbar gehüllt

Verlangen, schwärmen, reden, außer mir ...
Bis du und ich mich leer verlassen wieder,
Ich sterbe mir, du lächelst dir.
(S. 64)
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Wenn Tags auch über uns die Jahre brennen,
Ein Abend kommt, uns beiden zu verzeihn ..
Da wir erfahren, daß sich niemals trennen,
Die sich vermählten, ehe sie allein ..

Und da wir fast die alten Namen nennen ..
Warum bist du nicht mein, ich nicht mehr dein?
Wenn Tags auch über uns die Jahre brennen,
Ein Abend kommt, uns beiden zu verzeihn.

Der Himmel, eine große Glocke oben,
Tönt immer und unhörbar seinen Ruf.
Und wieder ist mir nah dein Angesicht.

Wir sind diesmal so weit herausgehoben,
Daß uns nicht findet, was uns Trennung schuf,
Und was uns damals traf, nicht zu uns spricht.
(S. 91)
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Dein Aug' ist wie der Mond auf meinen Wellen,
Geliebt ein Herrscher über Ebb' und Flut.
Ich fühle mächtig meine Kräfte schwellen,
Und strömend find' ich mich gesund und gut.

Befreiung rauscht in mir aus allen Quellen
In Atem, Träne, Blickeslust und Blut.
Was klug verwahrt lag an geschützten Stellen,
Wirft selig sich in die ersehnte Glut.

Die abgeschlossenen Zellen sind nun offen,
Das Tor sprang auf: da ist der bunte Weg,
Auf dem du gehst. Nun darf ich alles hoffen.

Und überströmt bin ich von Glück und leg'
Das Haupt sanft auf die jugendliche Au:
Da leuchtet über mir des Himmels Blau.
(S. 171)
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Aus: Ernst Blass Die Strassen komme ich entlang geweht
Sämtliche Gedichte
Herausgegeben und mit einem Nachwort
von Thomas B. Schumann
Edition Memoria Köln 2009


 

 

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