Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Udo Brachvogel
(1835-1913)



Sonett an Clara

Du schautest in das Herz mir allerwegen,
Du warst die Einz'ge, der es nichts verhehlt;
Was es erhofft, erkämpft, was es verfehlt,
Stets hats ein off'nes Buch vor Dir gelegen.

Und dies Vertrauen war mein höchster Segen;
Denn, wenn auch Milde niemals Dir gefehlt,
Hat nie Dich blinde Nachsicht doch beseelt, -
Oft trat ich Dir mit Zagen nur entgegen.

Und jene Frommen lernte ich versteh'n,
Die so voll Sehnsucht nach dem Beichtstuhl streben,
Ein jedes Unrecht offen zu gestehn;

Denn höchster Trost war mir's, wenn Du vergeben,
Dein Tadel aber höchste Buße mir,
Und wie entsündigt ging ich stets von Dir.
(S. 127)
_____


Freie Sonette

I.
Dunkle Augen flammen und verüben
Stets auf's Neu den Mord an meinem Leben,
Waffenlos bin ich dahingegeben,
Und der Seele Spiegel will sich trüben.

Ob sie auch den müden Leib begrüben,
Diese Leidenschaft wird überleben,
Wird die Seele als Vampyr umschweben
Unbarmherzig rastlos noch dort drüben.

Bei den Locken, die Dein Haupt umwallen,
Bei den Lippen, die Entzücken spenden,
Bei den Augen, welche Taumel senden:

Lass' mein Wort nicht ungehört verhallen,
Lasse nicht mich in Verzweiflung enden,
So mich nicht in lichten Wahnsinn fallen!
(S. 141)


II.
Verschweigen soll ich, die im Busen brennen,
Die mich verzehren, diese Molochgluthen?
Die Seele soll in steter Qual verbluten,
Die Lippe aber soll sie nicht bekennen?

Ein Schwingenpaar, hinweg! Ich will mich trennen
Von Blick und Reden, die mich ganz entmuthen.
Ich will an's Meer, will in den Haß der Fluthen,
Bis selbst ich hasse, Deinen Namen nennen.

Sieh meinen Groll. Dädal'sche Schwingen kleb' ich
Mit meinem Zorn zusammen; schon entschweb ich, -
Was hältst Du mich? Weh mir, von Fliehen sprech ich,

Da trifft mich Deines Aug's mittäglich Flammen,
Es schmilzt das Wachs, und Dir zu Füßen brech' ich
Kraftlos ein Liebes-Icarus zusammen.
(S. 142)


III.
Was willst Du mehr? Was flammen Deine Blicke -
Die schon so trostlos elend mich gemacht,
Die, erst erleuchtend meines Lebens Nacht,
Mich opfern jetzt dem finstersten Geschicke?

Was willst Du mehr? Mit jedem Augenblicke
Wächst diese Gluth, die Du in mir entfacht;
Sprich aus das Zauberwort, Du hast die Macht,
Das Wort, das segnend diesen Brand ersticke!

Was willst Du mehr? Du siehst mich ja erliegen,
Aus diesem Bann, Du kannst's, befreie mich;
Es fleht ein Mann, o lasse Mitleid siegen.

Was willst Du mehr? Mein guter Geist entwich:
Soll ich den Selbstmord nicht als Freund umschmiegen,
Unsel'ge Schönheit, so erbarme Dich!
(S. 143)


IV.
Du kennst die Stürme, welche mich durchtoben,
Du siehst es, daß mein Leben sie zerreissen,
Und dennoch sagst Du, meine Worte gleißen,
Und meine Treue willst Du nicht erproben!

Mit welchen Zeichen soll ich Dich geloben,
Mit welchen Worten schildern jene heißen
Gefühle, die den Frieden mir entreißen, -
Und ach den Frieden, der mich sonst umwoben,

Den Du zerstört? Doch nein, nicht will ich schelten.
Jetzt wallt rastlos nach Deines Leibes Zelten
Mein Geist als Pilger auf der Sehnsucht Brücke.

O wolle glauben endlich und vergelten:
Dann opferte ich jauchzend tausend Welten,
Mir blieben tausend Himmel ja zurücke.
(S. 144)


V.
Darf ich wirklich Dir zu Füßen sinken,
Küssen Deiner Locken wilde Pracht,
Sehn, wie Deine Lippe schwillt und lacht,
Und von dieser Lippe Wahnsinn trinken?

In den sonnenhaften Augen winken
Liebesfeuer, zehrend angefacht;
Wehe mir, in ihres Grundes Nacht
Sehe ich mein Todesmesser blinken.

Sei's darum. Was bietet noch das Leben?
Kann von Gott ich Schöneres erwerben,
Der mir höchstens kann den Himmel geben?

Sei's darum. Willkommen, mein Verderben!
Wer im Arm Dir einmal durfte beben, -
Muß Dir fern ja doch vor Sehnsucht sterben.
(S. 145)


VI.
Du lächelst, und es brechen Sonnenstrahlen
Aus dem Gewölk, des Strauches Knospen springen,
Zärtliche Lüfte durch die Wipfel singen,
Und Elfen wiegen sich auf Blumenschalen.

Du lächelst mir, und alle jene Qualen,
Die wie Vampyre meine Brust umfingen,
Dein Lächeln singt sie ein, auf gold'nen Schwingen
Reißt es zum Himmel mich aus nächt'gen Thalen.

An diesem Lächeln will ich mich berauschen,
Den Pfingstgeist fühl' ich auf mich niederfließen,
Und Liebesevangelien in mir sprießen.

O, lächle denn, und laß mich's ganz genießen.
Lass' regungslos mich auf dieß Lächeln lauschen,
Lass' Seele mich und leben dafür tauschen!
(S. 146)


VII.
Der Himmel glüht wie eine Purpurflur,
Es ist nur Widerschein von Deiner Wange;
Der Abendwind, der leise, sehnsuchtsbange,
Er ist der Nachhall Deiner Lieder nur.

Mir wiesen Blumen einstens Deine Spur,
Die ich verfolgt in heißem Herzensdrange;
Im Wellentanz, im Nachtigallensange
Vorahnend hört' ich Deine Stimme nur.

Und endlich fand ich Dich, - welch ein Begegnen!
Ich wollte beten, doch ich konnt' es nicht,
Rings um mich wogte eine Fluth von Licht.

Erschrocken starrt' ich Dir in's Angesicht!
Ja, lass mich jauchzend Deine Schönheit segnen,
Bis das Entzücken diese Lippe bricht.
(S. 147)


VIII.
Mund auf Mund gepreßt und Hüft' an Hüfte
Küsse von der Lippe mir das Leben;
Fühle jede Fiber an mir beben,
Lass' mich trinken Deines Mundes Düfte.

Elfenlieder fluthen durch die Lüfte;
Meinen Leib will ich um Deinen weben,
Diese losen Schleier will ich heben,
Stürzt' ich drüber auch in Todesgrüfte.

Wehre nicht! Sei ganz, ach ganz die Meine,
Und den blassen Fuß will ich Dir küssen,
Sieh', es naht der Mond, mit halbem Scheine

Mystisch uns're Brautnacht zu begrüßen.
Philomelen schluchzen im Vereine
Sie mit Hymenäen zu versüßen.
(S. 148)


IX.
Du blickst empor und fragst mich: "Was verkündet
Der Fieberschauer, der die Brust Dir hebt,
Da eben mich Dein Arm zu fassen strebt?"
Vernimm, o Herrin, denn, was ihn begründet.

Sieh diesen Arm aus heißem Schnee geründet,
Sieh' diese Lippe, der Gesang entschwebt,
Sieh dieses Auge, das in Strahlen bebt,
Ein feuchter Saphir blaue Blitze zündet;

Sieh diesen Busen, in des Abends Licht
Wie liebestrunk'ne weiße Rosen bebend,
Sieh diesen Fuß, der leicht wie Elfen schwebend

Geheimnißvoll noch Schöneres verspricht:
Und mein dieß Alles, ohne Widerstreben
Dieß Alles mein - und ich, ich soll nicht beben?
(S. 149)


X.
Anadyomene

Lass' den leichten Nachen uns besteigen,
Deine Silberstimme laß erschallen,
Daß beschämt von ihr die Nachtigallen
Vor der Meisterin in Demuth schweigen.

Sieh der Welle schaumgezierten Reigen,
Lasse drein den Kranz von Lotus fallen,
Gieb die Schilfe, die Dein Haupt umwallen,
Gieb der Fluth auf's Neue sie zu eigen.

Lass' die luftigen Gewänder sinken,
Und nun tauche in die Wellen nieder,
Die verliebt Dich zu umfangen winken:

Zärtlich küssen sie die schönsten Glieder,
Die wie Marmor im Krystalle blinken.
Jetzt als Venus steigst empor Du wieder!
(S. 150)


XI.
Komm' Frühlingsnacht! In deinen dichten Schleier
Verhülle rings die tagesmüden Matten,
Lass' Sterne tanzen auf dem See, dem glatten,
Die Taube träume nachbarlich dem Geier.

Komm' Frühlingsnacht! Begierde regt sich freier,
Genuß erwacht in dem verschwieg'nen Schatten,
Wo glühend Rosen sich mit Rosen gatten,
Entflamme auch für uns der Liebe Feier!

Schon zittern Mund an Mund wie vor Entzücken,
Die lästigen Gewande sinken nieder,
Mein Haupt darf in die schönste Brust ich drücken.

Ha! Ging das alte Hellas auch in Stücken,
Neu blüht's in der Vollendung dieser Glieder:
Frau Venus lebt - Tannhäuser lebet wieder!
(S. 151)


XII.
Sonnenaufgang
Zu kühnem Sitze haben wir erkoren
Den Felsengipfel, reich bedeckt mit Moos,
Ein kleiner Raum trennt uns vom Abgrund blos,
Und Nebel dampft aus allen Erdenporen.

Da tritt der Morgen aus den gold'nen Thoren,
Aufsteigt die Sonne feierlich und groß,
Es öffnen weiße Blumen ihren Schooß
Und spenden Duft in Schönheit wie verloren.

Ob ihnen schwebt der Tanz von Schmetterlingen,
Durch Flur und Wälder Morgenhymnen schallen,
Der Adler hebt die gluthgewohnten Schwingen;

Und doch will ich nur Dir zu Füßen fallen,
Nur Deiner Schönheit Dithyramben singen,
Du bist ja doch die Herrlichste von Allen!
(S. 152)
_____



Sonett

Thränen für Dich? Du Bettlerthräne fort!
Zu groß ist dieser Schmerz, d'rum sei er stumm.
Kalt starre, trock'nes Aug', um Dich herum,
Von thränenloser, heißer Gluth verdorrt.

Nicht einen Seufzer, keinen Laut, kein Wort
Entsende Mund; zu großer Schmerz macht dumm.
Du kannst nicht einmal klagen, - sei's darum,
Und schweigend schleppe Dich von Ort zu Ort.

Stumm, thränenlos, mit kalter, bleicher Hand
Schling Epheu um das weiße Epithaph,
Um todten Marmor lebend, grünes Band.

Indeß rinnt ungehemmt der Stunde Sand,
Und jener Schlag, der Deine Seele traf,
Bringt wohl auch bald dem Leibe ew'gen Schlaf!
(S. 175)
_____


Aus: Gedichte von Udo Brachvogel
Wien 1860
Druck und Verlag von Carl Gerold's Sohn


 

 

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