Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Franz von Dingelstedt
(1814-1881)



Hohe Liebe: Sonettenkranz


1.
Ein kleines Eiland gönnet mir in Güte,
Den Wellen und dem Sturme abgezwungen,
Damit ich drauf in Friedensdämmerungen
Das Paradies verschwieg'ner Liebe hüte.

Ach, schon so manche stille Herzensblüthe,
So manches Lied mißrathen und gelungen,
Hat der empörte Strom der Zeit verschlungen,
Und immer ärmer werd' ich im Gemüthe!

Ich weiß, dies Eiland auch kann nicht bestehen,
Und wie es aufgetaucht, so wird es eben
Im Wasser über Nacht versinken gehen.

Dann sollt ihr wieder mich im Strudel streben,
Mich mit den Brüdern wieder rudern sehen
Und mit dem Strome streiten um mein Leben.


2.
So lang ich denke, tracht' ich nun nach Frieden;
Je mehr ich über wilde Wasserwogen,
Durch Berg und Thal ihm suchend nachgezogen,
Je mehr hat er mich Suchenden gemieden.

Sein Trugbild war mir dann und wann beschieden
Zu Trost und Hohn, ein siebenfarb'ger Bogen,
Auf das Gewitter meiner Zeit gelogen,
Das Ende droben, der Beginn hienieden.

Da gehest du mir auf, du Bild der Gnaden,
Und führst aus labyrinthischem Gewinde
Mich in mich selbst zurück auf sanften Pfaden.

Nun zieh' ich, vor den Augen eine Binde
Und in der Hand der Liebe rothen Faden,
Dem Frieden nach, gewiß, daß ich ihn finde.


3.
Eh'r wollt' ich, daß die Zunge mir verdorrte,
Als daß sie je von Liebe zu dir spräche;
Bevor ein Blick verkünde meine Schwäche,
Auf ewig schließe sich des Auges Pforte!

Ich trag' in mir den heiligsten der Horte;
Verrath an ihm? Nein, daß mein Tod ihn räche!
Hoch drüber soll mit glatter Oberfläche
Die Welle rauschen, meines Liedes Worte.

Sogar dein Bild, geschützt durch eignen Schimmer,
Steht über mir in seinem Edelschreine,
Und selbst mein Traum berührt es frevelnd nimmer.

Nur daß ich vor ihm knie, bete, weine,
Gestatte das, du Namenlose, immer
Und sei in diesem einen Sinn die Meine!


4.
Verkehrte Wege leitet mich die Liebe
Und setzt, was sonst zum Anfang steht, am Schlusse:
Ich kehre schon zum Blick zurück vom Kusse,
Schon zur Entsagung vom gestillten Triebe.

Auch weiß ich nicht, welch' Ziel ihr übrig bliebe
Nach aller Sättigung zum Ueberdrusse,
Wenn sie in geistig-sinnlichem Genusse,
Nicht immer rückwärts ihren Kreis beschriebe.

Daß späte Reue nur auch wiederbrächte
Die frühe Gluth, in Dunst und Rauch verlodert,
Die Kraft verträumter Tage, heißer Nächte!

Ein ganzes Herz ist, was die Liebe fodert,
Und ach! zu spät erkenn' ich, daß die ächte
Allzeit in Einer Brust entsteht und modert.


5.
Was sind denn diese hohen Spiegelwände,
Von hundertfachem Kerzenglanz durchflittert,
Was anders als ein Käfig, reich umgittert,
Als einer Rebe hölzerndes Gerände?

Dein Auge täuschte, wenn es nicht empfände,
Daß jede freie Ranke dort verwittert,
Wenn in dem Blick, der oft in Thränen zittert,
Kein dunkles Ahnen und Verlangen stände!

Erschiene doch in Traumgesichtes Helle
Dir einmal, so viel reicher oder ärmer
Als dein Palast, die traute Dichterzelle!

Da kniet, außen kälter, innen wärmer,
Dein Bild bekränzend auf verhüllter Schwelle,
Ein still beglückter, still entzückter Schwärmer!


6.
Ein kindisches und doch ein schönes Treiben:
Zu schreiben überall den einen Namen,
In Schnee und Erz, in Bast und Kressesamen,
Und mit dem Diamant in Fensterscheiben!

Ich darf allein nicht nennen und nicht schreiben
Den Namen meiner Dame aller Damen,
Und meine Kunst verherrlicht blos den Rahmen,
Indeß umschleiert stets das Bild muß bleiben.

Da wagt ich denn der sieben Leute Segen,
Zu Trotz dem harten Zwang und dem Verluste,
In eines Reimes Wiederhall zu legen.

Nun tönt er, den ich streng verschweigen mußte,
Ein Echo aus der Grotte, dem entgegen,
Der recht zu rufen, recht zu lauschen wußte.


7.
Die Liebe mag beredt sich gerne zeigen,
Beredt in guten und in schlimmen Tagen;
In Jubel überströmt sie, strömt in Klagen,
Um nur, so lang sie küsset, stillzuschweigen.

Doch meinem Liebesdienst um dich ist eigen,
Daß ihm die leichten Worte leicht versagen,
So daß ich oftmals deinen sinn'gen Fragen
Begegnen muß mit stumm verleg'nem Neigen.

Der Mund, der sich an andere verschwendet,
Warum wird seine goldne Kunst zu Schanden,
Sobald dein Ohr sich huldreich zu ihm wendet?

Nicht wahr, du hast sein Schweigen mehr verstanden,
Als seine Rede, wenn sie stammelnd endet?
Du weißt, ihn hält ein volles Herz in Banden!


8.
Du liebst es, dich in wildem Tanz zu drehen,
Umschwärmt von bunten oder schwarzen Gecken,
Die deine schöne Hand wetteifernd lecken,
Doch nie dein Herz, dein schönes Herz verstehen.

Ich mag indeß im Saal traumwandelnd gehen,
In dunkler Nische schweigsam mich verstecken,
Und wenn mich laute Hornfanfaren wecken,
Im Fluge dich vorübergaukeln sehen.

Urew'ge Scheidung, der sich Gott erbarme!
Was reißest du in deines Jubels Wogen
Mich nicht empor mit weißem Nymphenarme?

Warum hab' ich nicht, kräftig und verwogen,
Dich lieber aus dem eitlen Schwall und Schwarme
In meine Einsamkeit herabgezogen?


9.
Unmöglich! Ach, die Liebe war es nimmer,
Es war der Haß, der dieses Wort erdachte;
Die Liebe war's, die immer möglich machte,
Was aller Welt unmöglich schien für immer.

Fragt drum Leander, den beherzten Schwimmer,
Fragt Eginhard, der seines Kaisers lachte,
Als ihn Schön-Emma auf den Schultern sachte
Hinwegtrug durch den Schnee und Mondenschimmer.

Erst seit die Liebe aus der Welt verschwunden,
Verschwinden auch die Zeichen und die Wunder,
Und nun wird selbst das Mögliche unmöglich.

Noth thät', es würd' ein neues Wort erfunden
Und neue Lieb'! Der Teufel hol' den Plunder:
Nicht 'mal ein Reim ist auf unmöglich möglich!


10.
Wenn einst der Wind aus dem Sonettenkranze
In deine Hände weht der Blätter eines,
Ob du den Spiegel deines holden Scheines
Dann wohl erkennen wirst in ihrem Glanze?

Das ist kein Schritt verkehrt im Strophentanze,
Unkeusch kein Reim, gemein der Bilder keines,
Weil um ein reines, hohes Bild, um deines,
Sich schlingt und reiht das anmuthvolle Ganze.

Ich wäre glücklich, dürft' ich niederstreuen
Den Strauß, so daß er dir zu Füßen fiele,
Und wollte sein ein milder Blick sich freuen.

So dient er leider mir allein zum Spiele
Und muß, gleich Blumen, so die Sonne scheuen,
Entfliehn, wohin er strebt, von seinem Ziele.


11.
Wie lieb' ich diese Winterabendträume,
Die um dein Licht ihr Flügelspiel entfalten,
Die ahnungsreich mit Tönen und Gestalten
Bevölkern, wo du weilst, die hohen Räume.

Bald klimmen sie hinauf die nackten Bäume
Und schaun von da neugierig in dein Walten,
Bald lauschen sie an deiner Thüre Spalten
Und lugen um des Vorhangs Purpursäume.

Doch taucht ein Kopf mit wohlbekannten Locken,
Ein wohlbekannter Schatten, schwach umrissen,
Am Fenster auf: so flüchten sie erschrocken.

Ich fühle dann, als schlüg' mich das Gewissen,
Den Fuß am Grund, das Blut im Herzen stocken,
Und berge mich in tiefren Finsternissen.


12.
Ein andrer Jakob steig' ich unverdrossen
Hinauf die licht- und luftgewebte Leiter,
Mit jeder Nacht um sieben Träume weiter,
Mit jeglichem Sonett um vierzehn Sprossen.

Die Engel haben schon sich angeschlossen
Der Himmelfahrt als Boten und Begleiter,
Ihr alle ähnlich, hold wie sie und heiter,
Wie sie von Glanz und Glorie hell umflossen.

Und blick' ich abwärts, wo ich hergekommen,
So liegt tief unten die verlorne Erde,
Zusammt dem Rückweg ganz in Nacht verschwommen.

Und blick' ich auf mit flehender Geberde,
Zum Ziele auf, dann seufz' ich stillbeklommen:
Wie weit! Wie weit! Weh, wenn ich müde werde!


13.
Dein Leben, reich und herrlich anzuschauen,
Und hoch wie keines, gleicht dem off'nen Meere:
Auf seiner Fläche eine große Leere,
In seiner Tiefe manches Abgrunds Grauen.

Vermöchtest du dem Freunde zu vertrauen,
Er ließe drüber in demantner Schwere,
Besät mit sternegleichem Liederheere,
Der Liebe Himmel weit und offen blauen.

Doch See und Himmel sind sich ewig ferne,
Und jene bricht an öden Felsgestaden
Verschwendend ihrer Muscheln edle Kerne;

Indessen dieser, wunsch- und grambeladen,
Ziellos herabstürzt seine besten Sterne,
In Nacht erloschen und in Nebelschwaden!


14.
Nein, lieber stumm vor Zorn und Schmerz vergehen,
Als aufgeputzt am Leib, im Geist zerschlagen,
In folterndem Verlangen und Verzagen,
So stundenlang an deiner Seite stehen!

Ich fühle deines Athems Wärme wehen,
Seh' deine Augen dicht vor meinen tagen,
Und darf den Blick in ihren Glanz nicht wagen,
In's nahe Ohr kein flüsternd Liebesflehen!

O sei beschworen, sei es auf den Knieen:
Wenn ich die Kraft zu fliehen nie besessen,
Besitze du sie, dich zurückzuziehen;

Was Pflicht und Sitte heischt, das wolle messen
Und streng auf deine kühle Höhe fliehen,
Damit ich könne, was ich muß: vergessen!


15.
Ich habe nie ein wirklich Glück empfunden,
Wie oft es Feinde mir auch neiden mochten:
In jedem Kranz, vom Schicksal mir geflochten,
Fühl' ich die Dornen nur, die mich verwunden.

Es waren immer meine besten Stunden
Vergällt von Launen, die im Finstern kochten,
Von Schwächen, die den Willen unterjochten,
Von Reu' und Schmerz um das, was längst geschwunden.

Nun muß es sich zum Ende seltsam fügen,
Nachdem mir Wahrheit nicht genügen konnte,
Daß mir ein Wahn, ein Spiel, ein Traum genügen.

Das Tageslicht, an dem ich nie mich sonnte,
Ist wohl hinab; doch seine Strahlen lügen
Ein schönres Abendroth am Horizonte.


16.
Ich raffte den Sonettenkranz zusammen
Und nahte mich dem lodernden Kamine;
Daß nie ein Blatt des Tages Licht beschiene,
Zum Feuertode wollt' ich sie verdammen.

Geliebte Blumen, die vom Frühling stammen,
Bald nur noch eine kohlende Ruine!
Verwelkter Strauß, dein kurzes Leben diene
Als Nahrung jenen opferfrohen Flammen!

Schon zuckte meine Hand, die allzurasche,
Ich sah die Blätter sich geduldig neigen,
Das Feuer züngeln, daß es sie erhasche;

Da klang es über mir durch Grabesschweigen:
Verbrenne! Doch es wird aus ihrer Asche
Verjüngt der Phönix deiner Liebe steigen!


17.
Besänftigt ist das stürmische Gelüste
Das sonst auf hoher See dahingeflogen,
Das oft mein schwankes Boot hinabgezogen
An der Sirene felsenharte Brüste.

Ich wäre thöricht, wenn nicht längst ich wüßte,
Wie ich geplündert ward und wie betrogen,
Und wenn mich nicht hinweg aus Wind und Wogen
Verlangte sehnlichst nach der grünen Küste.

Soll nun das Schicksal mich so höhnisch strafen
Und für der Irrfahrt wüste Abenteuer
Mich scheitern lassen, nah dem schönen Hafen?

Nein, lisch nicht aus, du letztes Rettungsfeuer,
Geliebtes Auge, leuchte deinem Sklaven,
Geliebte Hand, sei meines Wrackes Steuer!


18.
Sie wollen gleich dem aufgejagten Wilde
Mich durch die finstren Zeitungsspalten hetzen,
Mich fangen in Verleumdergarn und Netzen,
Die Meister unsrer schwarzen Schützengilde.

Doch soll in mein umhägtes Lustgefilde
Ihr roher Fuß sich nun und nimmer setzen,
Und wenn sie fern die stumpfen Waffen wetzen,
So deck' ich mich mit einem guten Schilde.

Dein Bild und die Gewißheit, dich zu lieben,
Ein Hochgefühl, das mir kein Feind erniedert,
Das ist mein Schild, aus lautrem Gold getrieben.

Dran müssen, die gemeiner Haß befiedert,
Die Pfeile all' zersplittern und zerstieben,
Von eines Lieds metallnem Klang erwidert.


19.
Erstünde aus dem Grab gewes'ner Tage
Die erste Jugend mir noch einmal wieder,
So flösse reicher wohl der Born der Lieder,
Melodischer erklänge meine Klage.

Dasselbe Liebesleid, das ich jetzt trage, -
Es schlägt die Kraft mir unwillkürlich nieder, -
Trug mich einst auf elastischem Gefieder,
So hoch, wie heute nimmer ich mich wage.

Nicht daß die Locken vor der Zeit zu bleichen,
Die Pulse träger schon zu gehn beginnen,
Ist meines Alterns mir ein bitter Zeichen.

Viel tiefer fühl' ich seine Macht nach innen,
Sein Liebesschmerz erstarrt, statt zu erweichen,
Seit spärlicher durch ihn die Reime rinnen.


20.
Was frommte mir es, wenn es nun gelänge,
Den neuen Strom in's alte Bett zu zwingen
Und stilles Ebenmaß zurückzubringen
In meiner Liebe wogendes Gedränge?

Nein, fluthet nur, ihr zärtlichen Gesänge,
Und mögt ihr alles Land umher verschlingen,
Indeß ich auf des Wohllauts weichen Schwingen
Mich wiege über dem Gefäll der Klänge.

Zu früh nur wird die holde Quelle stocken,
Und wann die Ueberschwemmungen verliefen,
Liegt bald die Scholle wieder hart und trocken.

Doch prangen dann auf den getränkten Tiefen,
Des Auges Freude, tausend Blumenglocken,
Die ungeahnt im dunklen Boden schliefen.


21.
Die Luft ist lind, der Wind ist lau geworden,
Sie fächeln wie dein Athem mir die Wangen;
Wie deine himmelblauen Augen prangen
Die Himmel, blau gen Süden und gen Norden.

Und wie die Welle von des Weihers Borden,
Wo sie vom Eis verzaubert festgehangen,
So reißt das Lied aus schweigendem Befangen
Sich los und schwingt in ungedämpften Korden.

Mißgönnst du, meine hohe, ferne Rose,
Dem frühesten der Frühlingsschmetterlinge
Sein keckes Spiel, sein flatterndes Gekose?

Ach, bis zu dir trägt niemals seine Schwinge,
Und bald verstrickt an seinem Fuß das lose,
Vergeßne Fädlein sich zur alten Schlinge!


22.
Ich fühle wohl, daß ich mit jedem Liede,
Womit ich dein geliebtes Bildniß schmücke,
Den Pfeil mir tiefer in die Wunde drücke,
Und fester meine süße Fessel schmiede.

Doch wenn ich nun verzweifelt mich entschiede
Und bräche Pfeil und Fessel rasch in Stücke,
So wär' die Freiheit weder mir zum Glücke,
Noch blühte mir aus jähem Tod der Friede.

Zwar reißt der Tod voll trotziger Verachtung
Den Pfeil aus seiner Brust und sieht in Fluthen
Das Leben fliehn mit stolzer Selbstbetrachtung.

Doch schöner will's den Liebenden gemuthen,
In duldender und zärtlicher Verschmachtung
Langsam und tropfenweise zu verbluten.


Aus: Franz Dingelstedt's Sämmtliche Werke
Erste Gesammt-Ausgabe in 12 Bänden
Achter Band Zweite Abteilung
(Lyrische Dichtungen Zweiter Band)
Berlin Verlag von Gebrüder Paetel 1877 (S. 260-282)

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