Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Joseph Freiherr von Eichendorff
(1788-1857)



I.
Der Lenz mit Klang und roten Blumenmunden,
Holdsel'ge Pracht! wird bleich in Wald und Aue;
Tonlos schweift' ich damals durch's heitre Blaue,
Hatt' nicht das Glüh'n im Tiefsten noch empfunden.

Da sprach Waldhorn von übersel'gen Stunden,
Und wie ich mutig in die Klänge schaue,
Reit't aus dem Wald die wunderschöne Fraue,
O! Niederknie'n, erst's Aufblühn ew'ger Wunden!

Zu weilen, fortzuziehn, schien Sie zu zagen,
Verträumt blühten in's Grün der Augen Scheine,
Der Wald schien schnell zu wachsen mit Gefunkel.

Aus meiner Brust quoll ein unendlich Fragen,
Da blitzten noch einmal die Edelsteine,
Und um den Zauber schlug das grüne Dunkel.
 

II.
Nun ziehen Nebel, falbe Blätter fallen,
Öd' alle Stellen, die uns oft entzücket,
Zum letztenmal tief Rührung uns beglücket,
Wie aus der Flucht so scheidend Lieder schallen.

Wohl manchem blüht aus solchem Tod Gefallen,
Daß er, nun eng an's blüh'nde Herz gedrücket,
Von rotem Munde holdre Sträuße pflücket,
Als Lenz je beut mit Wäldern, Wiesen allen.

Mir sagte niemals ihrer Augen Bläue:
Ruh auch aus! Willst du ewig sinnen?
Und einsam seh' ich so den Sommer fahren.

So will ich tief des Lenzes Blüt' bewahren,
Und mit Erinnern zaubrisch mich umspinnen,
Bis ich nach langem Traum aufwach' im Maie.
(S. 69-70)
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Der Schiffer

Du schönste Wunderblume süßer Frauen!
Ein Meer bist Du, wo Flut und Himmel laden,
Fröhlich zu binden von des Grüns Gestaden
Der Wünsche blüh'nde Segel voll Vertrauen.

So schiffend nun auf stillerblühten Auen
In Lockennacht, wo Blicke zaubrisch laden,
Des Mund's Korall'n in weißem Glanze baden,
Wen füllt' mit süßem Schauer nicht solch Schauen!

Viel hab' ich von Syrenen sagen hören,
Stimmen die aus dem Abgrund lockend schallen
Und Schiff und Schiffer ziehn zum kühlen Tode.

Ich muß dem Zauber ew'ge Treue schwören,
Und Ruder, Segel lass' ich gerne fallen,
Denn schönres Leben blüht aus solchem Tode.
(S. 44)
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In Strauss' Stammbuch

Ein Wunderland ist oben aufgeschlagen,
Wo goldne Ströme gehn und dunkel schallen,
Und durch das Rauschen tief' Gesänge hallen,
Die möchten gern ein hohes Wort uns sagen.

Viel goldne Brücken sind dort kühn geschlagen,
Und drüber alte Brüder sinnend wallen,
Und seltsam' Töne oft herunterfallen -
Da will tief' Sehnen uns von hinnen tragen.

Wen einmal so berührt die heil'gen Lieder,
Sein Leben taucht in die Musik der Sterne,
Ein ewig Ziehn in Wundervolle Ferne.

Wie bald liegt da tief unten alles Trübe!
Er knieet ewig betend einsam nieder,
Verklärt im ew'gen Morgenrot der Liebe.
(S. 37)
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In Budde's Stammbuch

Es ist ein innig Ringen, Blühn und Sprossen,
Und träumend Rauschen tief in allen Zweigen,
Vor großer Wonne wieder selig' Schweigen,
Und klarer Liebesglanz drum ausgegossen.

Zwei Kindlein ruhn im Glanze, eng umschlossen,
Und goldne Vöglein in den grünen Zweigen,
Und Engel singend auf und nieder steigen -
So ist des Lenzes innerst Herz erschlossen.

Wer wollt' nicht schlummern in der Blume mitten inne? -
Ein Kuß weckt dich von unsichtbarem Munde,
Da ist zu duft'gem Land die Blum' zerronnen,

Und Lieder rufen aus dem blüh'nden Grunde,
Hat Fabel drum ihr magisch Netz gesponnen -
Das ist das alte ew'ge Reich der Minne.
(S. 36-37)
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Sommerschwüle

II.
Die Nachtigall schweigt, sie hat ihr Nest gefunden
Träg' ziehn die Quellen, die so kühle sprangen,
Von trüber Schwüle liegt die Welt umfangen,
So hat den Lenz der Sommer überwunden.

Noch nie hat es die Brust so tief empfunden,
Es ist, als ob viel' Stimmen heimlich sangen:
»Auch Dein Lenz, froher Sänger, ist vergangen,
An Weib und Kind ist nun der Sinn gebunden!«

O komm, Geliebte, komm' zu mir zurücke!
Kann ich nur Deine hellen Augen schauen,
Fröhlich Gestirn in dem verworr'nen Treiben:

Wölbt hoch sich wieder des Gesanges Brücke,
Und kühn darf ich der alten Lust vertrauen,
Denn ew'ger Frühling will bei Liebe bleiben.
(S. 218-219)
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Abschied und Wiedersehen

I.
In süßen Spielen unter nun gegangen
Sind Liebchens Augen, und sie atmet linde,
Stillauschend sitz' ich bei dem holden Kinde,
Die Locken streichelnd ihr von Stirn und Wangen.

Ach! Lust und Mond und Sterne sind vergangen,
Am Fenster mahnen schon die Morgenwinde,
Daß ich vom Nacken leis die Arme winde,
Die noch im Schlummer lieblich mich umfangen.

O öffne nicht der Augen süße Strahle!
Nur Einen Kuß noch - und zum letztenmale
Geh' ich von Dir durchs stille Schloß hernieder.

Streng greift der eis'ge Morgen an die Glieder,
Wie ist die Welt so klar und kalt und helle -
Tiefschaurend tret' ich von der lieben Schwelle.
 

II.
Ein zart Geheimnis webt in stillen Räumen,
Die Erde löst die diamantnen Schleifen
Und nach des Himmels süßen Strahlen greifen
Die Blumen, die der Mutter Kleid besäumen.

Da rauscht's lebendig draußen in den Bäumen,
Aus Osten langen purpurrote Streifen,
Hoch Lerchenlieder durch das Zwielicht schweifen -
Du hebst das blühn'de Köpfchen hold aus Träumen.

Was sind's für Klänge, die ans Fenster flogen?
So altbekannt verlocken diese Lieder,
Ein Sänger steht im schwanken Dämmerscheine. -

Wach' auf! Dein Liebster ist fernher gezogen
Und Frühling ist's auf Tal und Bergen wieder,
Wach auf, wach auf! nun bist Du ewig meine.
(S. 212-213)
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Echte Liebe

Lau in der Liebe mag ich nimmer sein, -
Kalt oder brennend wie ein lohes Feuer!
O, Lust und Leiden sind nur farblos, klein,
Wo Liebe nicht ergriffen hat das Steuer!

Wer noch bei Sinnen, ist kein rechter Freier;
Wirf von dir ohne Zagen all was dein,
Der stirbt vor Liebe nicht, ein halbgetreuer,
Wer von der Liebe mehr verlangt, als Pein.

Gleichwie ein Schiff, wenn sich die Wetter schwärzen,
An jähen Klippen treibt bei finstrer Nacht,
Auf weitem Meer der Wind' und Wogen Spiel,

So auf dem wüsten Meere meiner Schmerzen
Such' ich, auf neue Leiden nur bedacht,
Im Hoffnungslosen meines Glückes Ziel.
(S. 601)
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Angedenken

I.
Sie band die Augen mir an jenen Bäumen;
Geh' schöner Blinder! sagt' Sie dabei sachte,
Wußt' nicht, wie Wunden süß dies Flüstern brachte
Und stieß mich in des Spieles wogend Schäumen.

Nun in der Augen Nacht quoll blühend Träumen,
Der Mienen Huld, wie Zauberblum'n, erwachte,
Da end't das Spiel - in's Aug' Licht wieder lachte,
Doch sehnend träumt' ich fort von jenen Träumen.

So stand ich unter holden Farbenbogen,
Und wie mein ganzes Leben schwellend blühte,
Dankt' ich dem Frühling solch' zaubrisch Verschönen.

Noch blüht der Lenz, doch Sie ist fortgezogen,
Nun weiß ich, daß nur Sie den Lenz beglühte,
Und einsam traur' ich in den Strahlen, Tönen.
 

II.
Wie wenn aus Tänzen, die sich lockend drehten,
Von müder Augen süßen Himmelsräumen,
Daß nun Gewährung nicht wollt' länger säumen,
Verratend die schamhaften Schleier wehten,

Ein einz'ger in die Nacht hinausgetreten,
Schauend wie draußen Land und Seen träumen,
Die Töne noch verklingen in den Bäumen,
An's Herz nun schwellend tritt einsames Beten:

Also, seit Du erhörend mich verlassen,
Grüßt mich Musik und Glänzen nur von ferne,
Wie Tauben, Botschaft bring'nd durch blaue Lüfte.

Nacht legt sich um die Augen hold, die nassen,
Als Blume sprieß' ich in die Klänge, Sterne,
Der goldnen Ferne hauchend alle Düfte.
(S. 70-71)
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Sonst und jetzt
Sonett

Sonst tönte ach! mein Saitenspiel so helle,
Eh noch der Liebe Zauber mich umschlang;
Frohlauschend auf der Lieder süßen Klang
Enthüpfte leiser oft die Silberquelle.

Da horcht' ich oft, umrauscht von ihrer Welle
Wenn Rosendämmrung ihren Fittig schwang,
Wie sanft ins Seelenlied der Philomele
Der Nachhall meine kleinen Lieder sang.

Jetzt sind sie hin, der Kindheit Wonnezeiten.
Zu einem Ton ist jedes Lied verschallt,
Nur Liebe, Liebe seufzen alle Saiten! -

Doch es verhallt der Ton im unermeßlich Weiten
Kein Nachhall tönt ihm nun; kein Busen wallt,
Der sanft ihm Liebe - Liebe widerhallt! -
(S. 530)
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Sonst, eh der Liebe Zauber mich umschlang
Ertönte ach! mein Saitenspiel so helle,
Und leiser murmelt' oft die Silberquelle
Und lauschte auf der Lieder süßen Klang.

Oft, wenn die Rosendämmrung niedersank,
Horcht' ich umrauscht von ihrer Purpurwelle
Wie sanft ins Seelenlied der Philomele
Der Nachhall meine kleinen Lieder sang.

Doch jetzt sind sie dahin die Wonnezeiten
Zu einem Lied' ist jeder Ton verhallt,
Nur Liebe, Liebe seufzen alle Saiten

Ach armes Lied, wo in der großen weiten
Runde findst du den Nachhall nun, wo wallt,
Ein Busen, der dir Liebe widerhallt.
(S. 529-530)
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Frau Venus

Was weckst du, Frühling, mich von neuem wieder?
Daß all' die alten Wünsche auferstehen,
Geht über's Land ein wunderbares Wehen;
Daß schauert mir so lieblich durch die Glieder.

Die schöne Mutter grüßen tausend Lieder,
Die, wieder jung, im Brautkranz süß zu sehen.
Der Wald will sprechen, rauschend Ströme gehen,
Najaden tauchen singend auf und nieder.

Die Rose seh' ich geh'n aus grüner Klause
Und, wie so buhlerisch die Lüfte fächeln,
Errötend in die laue Flut sich dehnen.

So mich auch ruft ihr aus dem stillen Hause -
Und schmerzlich nun muß ich im Frühling lächeln,
Versinkend zwischen Duft und Klang vor Sehnen.
(S. 229)
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Im Frühling

I.
Wenn Lenzesstrahlen golden niederrinnen,
Sieht man die Scharen losgebunden ziehen,
Im Waldrevier, dem neu der Schmuck geliehen,
Die lust'ge Jagd nach Lieb' und Scherz beginnen.

Den Sänger will der Frühling gar umspinnen,
Daß der Geliebteste nicht möcht' entfliehen,
Fühlt er ein Lied durch alle Farben ziehen,
Das ihn so ewig lockend ruft von hinnen.

Gefangen so sitzt er viel sel'ge Jahre;
Des Einsamen spottet des Pöbels Scherzen,
Der aller Glorie möcht' die Lieb' entkleiden.

Doch fröhlich grüßt Er alle, wie sie fahren,
Und mutig sagt er zu den süßen Schmerzen:
»Gern sterb' ich bald, wollt ihr von mir je scheiden!«
 

II.
Wenn frisch die bunten Frühlings-Schleier wallen,
Weit in das Land die Lerchen mich verführen,
Da kann ich's tief im Herzen wieder spüren,
Wie mich die Eine liebt und ruft vor allen.

Wenn Nachtigallen aus grünen Hallen schallen,
Wen möchten nicht die tiefen Töne rühren?
Wen nicht das süße Herzeleid verführen,
Im Liebesschlagen tot vom Baum zu fallen? -

So sag' auch ich in diesem Frühlingsglanze:
Du süße Laute! laß uns beide sterben
Beklagt vom Widerhalle zarter Töne,

Kann unser Lied uns nicht den Lohn erwerben,
Daß auch mit eignem, frischen Blumenkranze
Uns kröne endlich nun die Wunderschöne! -


III.
Der Schäfer sagt, wenn er frühmorgens weidet:
»Dort drüben wohnt Sie hinter Berg' und Flüssen!«
Doch seine Wunden heilt Sie gern mit Küssen,
Wann Lauschen, Licht und Tag vom Tale scheidet.

Ob neu der Morgenschmuck die Erde kleidet,
Ob Nachtigallen Nacht und Stern' begrüßen,
Stets fern und nah bleibt meine Lieb' der Süßen,
Die in dem Lenz mich ewig sucht und meidet.

Doch hör' ich wunderbare Stimmen sprechen:
Die Perlen, so geweint dein treuer Schmerze,
Sie wird sie zierlich all' zusammenbinden,

Mit eigner Kette so dich süß umwinden,
Hinaufzuziehn an Mund und blühend Herze -
Was Himmel schloß, mag nicht der Himmel brechen.
(S. 64-66)
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Angedenken

Wenn Zwei geschieden sind von Herz und Munde,
Da zieh'n Gedanken über Berg' und Schlüfte
Wie Tauben säuselnd durch die blauen Lüfte,
Und tragen hin und wider süße Kunde.

Ich schweif' umsonst, so weit der Erde Runde,
Und stieg' ich hoch auch über alle Klüfte:
Dein Haus ist höher noch als diese Lüfte,
Da reicht kein Laut hin, noch zurück zum Grunde.

Ja, seit Du tot - mit seinen blüh'nden Borden
Wich ringsumher das Leben mir zurücke,
Ein weites Meer, wo keine Bahn zu finden.

Doch ist Dein Bild zum Sterne mir geworden,
Der nach der Heimat weist mit stillem Blicke,
Daß fromm der Schiffer streite mit den Winden.
(S. 139)
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Aus: Joseph von Eichendorff
Sämtliche Gedichte und  Versepen
Herausgegeben von Hartwig Schultz
Insel Verlag 2001



 

 

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