Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)
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Gisela
Etzel
(1880-1918)
Die Lieder der Monna Lisa
1.
Ich stehe oft und blicke weit ins Leere
Und suche mich und meine Sucht zu fassen:
Kein klares Bild läßt sich zusammenpassen,
Wieviel ich alles hin und wider kehre.
Die Seele singt ein ewiges Miserere
Und kann doch nicht von Tanz und Taumel lassen,
Sucht Gott zu lieben, eifert ihn zu hassen
Und lechzt zum Fall wie straffgefüllte Beere.
Ein Vorbereiten sind mir meine Tage
Auf irgendein Erleben ohnegleichen /
Einstweilen wühlen sie in Lust und Plage
Und häufen Traum auf Traum und Frag auf Frage
Und sehen tränenlos die Zeit verstreichen
Und ahnen, daß sie nichts als Tod erreichen.
(S. 1)
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6.
Es ist nicht Sitte, daß ein Weib es wage,
In ein Sonett ihr Fühlen zu ergießen,
Sie soll sich nur dem Gatten ganz erschließen,
Nur dieser seis, dem sie die Seele klage.
Und daß ich doch nun so in Versen sage
Von Traum und Schauen, die mich ahnen ließen,
Daß vielfach köstlichere Blumen sprießen,
Als ich sie alltags so im Gürtel trage, /
Das soll nun niemand wissen, außer mir;
Es sei denn, daß sich einmal einer fände,
Der mir mit Blumen füllte beide Hände
Und froh und sicher, wie ein freies Tier,
Sich meinen starken Trieben zugesellte
Und meinen hohen Traum ins Leben stellte.
(S. 6)
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14.
Das
Franziskanerkloster in Fiesole
Schmucklos bescheidne, wehrhaft starke Mauern,
Auf Hügelgipfel lieblich hingestellt,
Behüten sorgsam eine heilige Welt
Vor dreistem Blick von lästigen Beschauern,
Vor Lust und Lärm und Schreck und Schrei und Trauern.
Hier wirken Kunst und Andacht frohgesellt,
Von reinsten Himmeln gnadenvoll erhellt,
In denen niemals Finsternisse kauern.
Wer hier als Bruder eingeht, ist erlesen,
Wie selbst ein Tempel, ragend dazustehn.
Sein Blick wird Höhen nur und Hoheit sehn
Und der Natur geheimste Runen lesen.
Er, der vordem verweht wie Staub gewesen,
Wird wirkend nun durch Ewigkeiten gehn.
(S. 14)
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15.
Florenz ist schön, doch schöner noch ist Rom,
Und seine Männer sind besonders kühn;
Ich liebe es, wenn Kardinäle glühn,
Und sitze gerne dort im Petersdom
In fernem dunklen Winkel ganz allein,
Wenn vorn im Licht die goldnen Priester stehn
Und sich in himmlischen Ekstasen drehn
Und hoch vom Chor die Knabenstimmen schrein
Und aus dem Dunkel neben mir die Augen
Der herben jungen Mönche an mir hängen
Und ihre stummen Seelen zu mir drängen
Und gierig sind, mein Bildnis aufzusaugen /
Und mir zur Seite jener Kardinal
Die Hände krampft in ungestümer Qual.
(S. 15)
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20.
Von Tagen weiß ich, die wie blaue Flammen
So leicht und licht ins schwere Leben wehen /
Wie Flammen, die vom Auge kaum gesehen
Geheimnisvollem Glutenherd entstammen.
Die Tage sinds, die wie ein Auferstehen
Den kühlen Geist, den träge arbeitsamen,
In irgendeiner tiefen Lust entflammen,
In irgendeinem Finden und Verstehen:
Ein Traum der Nacht, der noch den Tag uns rötet,
Ein nahes Glück, das Melodien flötet,
Ein Fremder, der in Freundschaft zu uns findet,
Erkenntnis, die viel helle Funken zündet /
All dieses kann die blaue Flamme wecken
Und steiles Glück durch stumpfe Tage recken.
(S. 20)
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24.
Wie ist der schwere Gang der jungen Frauen
Verheißungsvoll in seiner müden Wucht,
Als hätte er von Reife, Qual und Frucht
Ein seltsames Geheimnis zu vertrauen.
Wie ihre Augen in die Ferne schauen!
Als grüße dort weither ein Kinderblick,
Als laste dumpf ein schmerzliches Geschick,
So wissend ist der Blick der jungen Frauen.
O dieses hohe Wunder zu verstehen,
Das ihren Körper dehnt und strafft und füllt,
Sucht bangend ihre Seele ihren Gott.
Fern eurem armen Lächeln, eurem Spott,
Gehn sie dahin, in Glauben eingehüllt,
Daß Gottes Engel neben ihnen stehen.
(S. 24)
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28.
Du wehrst dich gegen mich? Kannst du verwehren,
Daß mein geschloßner Blick dich wirklich sieht,
Und daß, je mehr dein Wille meinen flieht,
So wilder Glut und Seele dich begehren?
Du Erdenferner! Muß ich dich belehren,
Wie siegreich Liebe gegen Liebe zieht,
Daß Wunsch von ihr wie Wirklichkeit geschieht
Und ihr Erfüllung blüht selbst im Entbehren?
Eng pressen sich die Lider: schon umfalten
Mich harte Arme / Körper wird mein Denken /
Mein Wort wird Mund und weiß sich nicht zu lenken
Und wird von deinem Mund wie Frucht gespalten:
Was Wille war, wird Werk, und schwer versenken
In mich sich deine männlichen Gewalten.
(S. 28)
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30.
Und jedesmal, wenn ich von dir mich trenne,
Blieb wie viel Fühlen stumm und ungesagt!
Ach, daß sich Liebe nicht vom Munde wagt,
Die ich doch deinem Bild in mir bekenne:
Vor dem ich eine ewige Lampe brenne
Von Hingegebenheit, die sagt und fragt
Und all das Glühen auszustrahlen wagt,
Das ich von Mund zu Mund dir niemals nenne!
Kaum bist du fort, so schreien stumme Worte
Inbrünstig zu dir hin, und Tränen fallen,
Daß von den seligen Minuten allen
Nicht eine aufgetan die starre Pforte
Der herben Förmlichkeit, um von dem Leben,
Das sie verschließt, ein Ahnen dir zu geben!
(S. 30)
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33.
Wie tief und rein ist nun mein Herzerleben,
Seit Lionardos Liebe zu mir kam,
Seit er ans wilde dunkle Herz mich nahm,
Von seinem Himmel mir ein Stück zu geben!
Wohin ist Sehnen, Zagen und Erbeben?
Und Lauheit, halbe Lust und falsche Scham?
Ein scharfgeschliffnes Schwert ist nun mein Gram,
Das andachtzitternd meine Hände heben:
Das ich in Wollustschmerz ins Herz mir grabe,
In dunklen Stunden, da ich einsam bin,
Und das ich lächelnd abgegürtet habe,
Wenn ich im Liebesarm des Liebsten bin . . .
Wie Kuß und Schwert sind alle meine Stunden/
Wie Himmelsgnaden oder Höllenwunden.
(S. 34)
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34.
Mein Tag ist so von Liebe ganz beladen,
Daß ich erschauernd wie durch Wonnen gehe,
Vor Traum nichts Wirkliches mehr sehe,
Nur selig fühle heilig starke Gnaden.
O so in lindem Regen sich zu baden
Von Zärtlichkeiten, Tag um Tag genossen,
Und von Erinnern völlig eingeschlossen
Hinwandeln an der Liebe Lustgestaden /
Das ist ein Glück, als ob mit jungen Händen
Ein Gott vom Lebensbaum mir Früchte bricht,
Sie stumm und ragend reicht im Sonnenlicht,
Das uns mit tausend emsigen Strahlenbränden
/ Zwei fremde Blüten, die sich nie sonst fänden /
In Schicksalslaune eng zusammenflicht.
(S. 35)
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43.
In hellem Landhaus nun auf Felsenhöhe!
Weit unten liegt Florenz am Fluß gebettet
Im Tal, wo all mein Fühlen festgekettet,
Obgleich ich hier so frei und sicher stehe,
Mit festem Schritt auf Grat und Felsen gehe
Und kühn durch Wind und Wetterwolken streife,
Den Feuerstrahl aus schwarzen Himmeln greife
Und gottesgroß auf Kleines niedersehe.
Ja, groß wie Gott, und dennoch festgebunden!
Denn wie Prometheus an den Fels geschmiedet,
Brenn ich an dir mit vielen heißen Wunden,
Aus denen purpurn meine Seele siedet:
Hier oben ward ich reif, dich ganz zu sehen,
Und muß verblutend dir am Herzen stehen.
(S. 45)
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50.
Ich trug deinem Bilde den Frühling ins Haus,
Viel leuchtende gelbe Narzissen!
Sie tranken die Sonne so glühend beflissen,
Da brach ich die Frohen, die Seligkeit wissen,
Für dich, Geliebter, zum Strauß!
Sie tragen noch Glück, und ihr Herzchen ist voll
Von des Morgens tauigen Küssen,
Von schwärmenden, wärmenden Sonnenstrahlgüssen;
Ihre Herzen, Geliebter, sind heiß von Genüssen
Und blühen und sprühen wie toll!
Und Andacht in Händen umstell ich dein Bild
Mit dem freudedurchatmeten Garten,
Und alle Gedanken, die angstvoll genarrten,
Knien nieder davor und beten und warten,
Ob nicht dieses Licht, das dich jubelnd umhüllt,
Auch in qualdunkle Nacht meiner Einsamkeit quillt.
(S. 52)
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51.
Ich meine oft, mein Auge müßt erblinden,
Das Tag für Tag so all die Dinge sieht,
Durch die ein Hauch von deinem Wesen zieht /
All dieses sieht, doch ohne dich zu finden.
Wie wäre je solch Weh zu überwinden!
Wohin der wunde Blick im Alltag flieht,
Wohin die Seele schwebt im Weltgebiet /
Dein Geist ist überall und weiß zu binden!
Du hältst mich, wie der edle goldne Reifen
Den Finger, der in seinem Kreise lebt,
Doch sucht Erinnerung dein Bild zu greifen /
O weh dem Fluch! Es schwindet und entschwebt
Bei jedem Mühn, lebendig es zu fassen,
Und mehr und mehr seh ich dein Bild verblassen.
(S. 53)
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52.
So voller Unruh warten meine Tage
Nur immer auf die Züge deiner Hand,
Die zu mir finden aus dem fernen Land,
Dahin ich alle meine Träume trage.
Wie ich es Winden nun und Wolken sage,
Daß deine Liebe einmal bei mir stand,
Daß tief dein Mund zu meinen Lippen fand /
O dies Erinnern, das ich kaum ertrage!
Wenn ich dich denke, breiten meine Arme
Sich siegessicher einer Welt entgegen,
Ich stehe leuchtend über meinem Harme,
Und Himmel wirft auf mich den Sternenregen /
Und dennoch will es mir den Atem rauben:
Es ist zu kühn, ein neues Glück zu glauben!
(S. 54)
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53.
Und daß man letzten Endes einsam ist,
Dies dunkle Wissen, das in Tiefen lauert,
Ist wie Gespenst, das mir am Wege kauert,
Damit mein Schritt sein Mahnen nicht vergißt.
Wenn kühn der Geist erstrebte Höhen mißt,
Wenn Blick in Blick und Herz in Herz erschauert,
Ist doch dies Wissen da, das mich ummauert:
Nur atemlang ist alles Findens Frist.
O welch ein Glück, sich traumlos hinzuschenken,
In andres Dasein eingebettet sein,
Für sich nichts suchen und für sich nichts denken,
Nur blumegleich sich wurzelfest versenken
Und duftend blühn in fremdem Sonnenschein /
Nie mehr verstört / und nie, nie mehr allein!
(S. 55)
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54.
Und dennoch wacht in mir dies bange Fragen:
Was bindet mehr in unerlöster Pein?
Sich selbst getreu auf Höhen einsam sein
Und stolz des Schöpfers Dornenkrone tragen /
Und anderseits dies restlos Sich-Entsagen,
Verrinnen wie vergoßner Tropfen Wein,
In Liebe sein, doch winziges Sandkorn sein,
Und machtlos sehn, wie andre aufwärts ragen?
Ach, daß ich frage, ist viel Not und Schwäche.
Kann Wille wirksam sein, wo Zweifel bangt?
Wer weiß für mich, wohin mein Sein verlangt,
Und wo sie fließen, jene Flammenbäche,
Die läuternd meine Seele so durchdringen,
Daß sie vermag, das Rechte zu vollbringen?
(S. 56)
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58.
Nun weiß ich dies: daß Leben Sterben heißt,
Den Tod vor Augen langsam zu ihm gehen,
Bis hoch zum Herz in Sorgenmeeren stehen,
Tief unter Wolken, die kein Glück zerreißt.
Nur hell ein Geierpaar, das stetig kreist,
Nur Raubtiergier vor müden Blicken sehen
Und Not im Sehnen, Finden und Verstehen /
So ist das Leben / ja, so ists zumeist.
Nur Auserwählten gibt es manchmal Flammen
Zu kühner Lust und wildem Tatbegehren,
Die wissen Angst und Schwermut abzuwehren
Und stehn erleuchtet über stumpfen Heeren /
Und stehn allein / und finden nie zusammen:
So gab der Tod auch ihnen sein Verdammen.
(S. 60)
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Aus: Gisela Etzel Die
Lieder der Monna Lisa
Georg Müller Verlag, München 1912
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