Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Ludwig Fulda
(1862-1939)



Hochzeitsreise
(Akrostichon)

Heut schaust du selber, was ich oft dir pries:
Oelwälder, die mit blauen Wellen kosen,
Cypressen, Palmen und ein Meer von Rosen,
Herrlich vereint zum ird'schen Paradies,

Zum Wundergarten, den ein Gott uns wies,
Entrückt dem Frost und rauher Stürme Tosen.
In goldner Schrift dem Blick, dem fassungslosen,
Thut sich ein Märchen auf; o komm und lies:

Schau tief ins Zauberbuch, das aufgeschlagen,
Rotglühend liegt vor deinem jungen Sinn;
Es wird dir mehr als Menschenlippen sagen.

Ich find' es ja, seit ich der Deine bin,
So schön wie nimmer in vergangnen Tagen,
Erneut durch dich, geliebte Zauberin.


Aus: Neue Gedichte von Ludwig Fulda
Stuttgart 1900 J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger (S. 50)

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Sonett

Wie Morgenglut nach schweren Dämmerungen
Bist du heraufgeschwebt verklärend, blendend,
Den wärmsten Strahl in meine Brust entsendend,
Daß ihr erprobter Panzer jäh zersprungen.

Wer bist du, sprich! Wie nennst du dich? Verklungen,
Wie Schellenton dem Ohre sich entwendend,
Ist mir die Welt, da neue Welten spendend
Dein rauschend Wecklied in mein Ohr gedrungen.

Wer bist du? Nenne mir den Göttersaal,
Der dich gehegt, die lautre Himmelsphäre,
Aus der du kamst die Wunder zu entsiegeln!

Ich frag' umsonst. Du ahnest nicht einmal,
Daß diese Welt unendlich ärmer wäre,
Wenn deine Augen fehlten, sie zu spiegeln.

Aus: Gedichte von Ludwig Fulda
Stuttgart und Berlin
J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger [1890] (S. 130)

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