Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)
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Emanuel
Geibel
(1815-1884)
Vergänglichkeit
Daß Alles uns so rasch vorübereilet
Und sich die Zeit nicht läßt in Fesseln schlagen,
Es war mir nimmermehr ein Grund zu klagen,
Wenn ich im Kreis der Fröhlichkeit verweilet.
Denn öfter noch hat mir es Trost ertheilet,
Wenn auf der Seele tiefe Schatten lagen;
Der bangen durft' ich dann vertrauend sagen:
Getrost! Der Sand verrinnt, die Wunde heilet.
So hofft' ich stets dem jungen Lenz entgegen,
War ich vom Frost des Winters kalt umschauert,
Und sah mit Ruh den Herbst ins Grab sich legen.
Nur Eines hab' ich immer tief betrauert,
Daß auch die schönste Blum' auf unsern Wegen,
Die Liebe selbst nur zwei Minuten dauert.
(Band 1 S. 104-105)
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Das Zauberschloß
Es gibt ein Königsschloß in alten Sagen,
Durch Zauberbann in wüsten Schutt zerfallen,
Doch wenn die rechten Lösungsworte schallen,
So steigt's empor wie in der Vorzeit Tagen.
Da glänzt der Saal, die goldnen Zinnen ragen,
Jasmin und Ros' umblühn die Säulenhallen,
Es tanzen Mädchen, Purpurkleider wallen,
Und Silberharfen hörst du lieblich schlagen.
Den Trümmern glich mein Herz. Es mußte lange
In Graus und Finsterniß verödet liegen,
Und drinnen war es leer und dumpf und bange.
Da sprachest du, den Bannfluch zu besiegen,
Das Lösungswort, und sieh, mit hellem Klange
Ist draus der Liebe Zauberschloß gestiegen.
(Band 1 S. 99)
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Liebesglück
O wie so leicht in seligen Genüssen
Sich mir die Stunden jetzt dahin bewegen!
Ins Auge schau ich dir, bist du zugegen,
Und von dir träum' ich, wenn wir scheiden müssen.
Oft zügeln wir die Sehnsucht mit Entschlüssen,
Doch will sich stets ein neu Verlangen regen,
Und wenn wir kaum verständ'ger Rede pflegen,
Zerschmilzt sie wieder uns und wird zu Küssen.
Der erste weckt Begier nach tausend neuen,
Es folgt auf Liebeszeichen Liebeszeichen,
Und jedes scheint uns höher zu erfreuen.
Nun erst begreif' ich ganz den Lenz, den reichen,
Wenn er nicht endet, Rosen auszustreuen,
Die alle schön sind und sich alle gleichen.
(Band 1 S. 98-99)
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Der Liebenden
Seitdem die Liebe dir genaht, der Reinen,
Ist's wie ein Zauber über dich gekommen;
In süßem Feuer ist dein Aug' erglommen,
Doch schöner blickst es noch in sel'gem Weinen.
Oft, wenn du wandelst, will es mir erscheinen,
Als sei die ird'sche Schwere dir genommen;
Dein Thun ist wie der Blumen Blühn, der frommen,
Und wie der Engel ist dein Wunsch und Meinen.
Das Wort erblüht von selbst dir zum Gedichte,
Doch schweigst du, strahlt, die Rede zu ergänzen,
Von deiner Stirn die Lieb' im reinsten Lichte.
So sah dereinst, entrückt der Erde Gränzen,
Auf Beatricens schönem Angesichte
Den Strahl des Paradieses Dante glänzen.
(Band 1 S. 104)
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Aus: Emanuel Geibel Gesammelte Werke
in acht Bänden. Stuttgart Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1883
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