Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Hermann von Gilm
(1812-1864)



Neue Welt

Daß es dem Frühling nicht verschwiegen bliebe,
Was alle meine Pulse mächtig schlagen,
Sang ichs im Lied; - im Liede darf ichs sagen,
Wie unaussprechlich, Mädchen, ich dich liebe.

Es war so dunkle Nacht in meinen Tagen!
Die wilde Qual, von niemandem auf Erden
Verstanden und geliebt zu werden,
Ich hätt' sie gern ins frühe Grab getragen.

Da sah ich dich, - sah nie geahnte Freuden
Die neue Welt mit neuen Blumen kleiden,
Und all die neue Herrlichkeit war dein!

O banne mich nicht weg aus deinem Blicke!
Ich kann nicht mehr in jene Nacht zurücke,
Ich kann nicht mehr so ganz verlassen sein!
(S. 120)
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Der Saal ist voll, ein junger Virtuos
Sitzt schwarz gekleidet bei dem Contrabasse,
Die Geige ruht ihm schweigend in dem Schooß
Und reicht hinauf bis an die Stirn' die blasse.

Jetzt fängt's zu tönen an, weich, wie in's Moos
Der Regen fällt, aus voller Blüthentasse;
D'rauf stürmt's und braust's, als wär in diesem Fasse
Voll Harmonie, die ganze Hölle los.

Der arme Mann, wie muß er ohne Rasten
Die Saiten, dick wie an der Schiffe Masten
Die Segeltaue, mit dem Bogen fegen!

Ich darf nur leise deinen Arm betasten,
Nur meine Hand dir auf die Schulter legen,
Um Höll' und Himmel in mir aufzuregen.
(S. 232)
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Du sollst mir bei den Sternen nichts versprechen,
Die haben jede Lüge noch verschwiegen,
Nicht bei den Göttern, die den Meineid rächen –
So lang sie selber nicht im Staube liegen;

Nicht bei des Busen's ungestümen Fliegen;
Nicht bei des Auges reichen Thränenbächen,
Die stolze Woge kann zusammenbrechen
Und jene süße Quelle kann versiegen.

Auf diese Veilchen schwör' mir deine Liebe,
Die du mir in ein Epheublatt gewunden,
Und die noch diese Nacht verwelken werden;

Doch jedes Jahr bringt einen Lenz auf Erden,
Dein Wort ist so in Veilchenduft gebunden,
Daß dich der Meineid aus dem Frühling triebe.
(S. 239)
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Es wundert dich mein ungewöhnlich Sinnen?
Die Glut der Liebe zehrt an meinem Leben;
Es müht sich der Gedanke, todt im Streben,
In heißer Brust Entfaltung zu gewinnen.

Im Auge quillts; laß mich die Schleues heben,
O laß die Wasser fluten, nur von innen
Den Strom der Thränen in die Wüste rinnen,
Damit die Todten alle wieder leben!

Der Mittag glüht; die matten Blumen neigen
Die Häupter stumm, die trocknen Wälder schweigen,
Bis Abends Thau vom Himmel ist gesunken.

Da wird es wieder laut im Blumenreigen;
Es singt und jubelt in den nassen Zweigen,
Als hätte jedes Blatt ein Lied getrunken.
(S. 228)
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Nicht flüsterndes Gespräch, kein Händedrücken,
Auch keine Küsse und dergleichen Sachen
Giebt's zwischen uns – zwei Ufer ohne Nachen
Zwei ferne Ufer sind wir ohne Brücken.

Verbunden nur mit stummen Liebesblicken;
Das sind die Schwalben, die die Boten machen,
Beladen mit dem sinnenden Entzücken,
Mit dem die Mütter ob den Kindern wachen.

O halt' des Herzens Knospe unter'm Riegel
Und wach' und bete, daß das süße Siegel
Sich nie von unserem Geheimnis schält.

Denn ist die Rose einmal aufgebrochen
Und ist die Liebe einmal ausgesprochen,
So sind auch ihre Tage schon gezählt.
(S. 217)
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Ob ich auf Erden etwas liebe mehr
Und inniger als dich? Das Lied, das Licht?
Das bist du ja! Fehlt mir dein Angesicht,
So ist es stumm und dunkel um mich her.

Doch einen Wunsch giebt's, dessen Wiederkehr
In jede Lust mir scharfe Dornen flicht,
Ein Eiland auf des Lebens wüstem Meer,
Das unnennbare Seligkeit verspricht.

Sprüh' aus den Augen dunkelglühend Erz,
Leg' auf die Wange der Granate Roth
Und lächle, um die Engel zu verführen.

Doch gäb' heraus ein Opfer nur der Tod,
Und müßt' in dieser Stund' ich dich verlieren,
Ich stürzte weinend an das Mutterherz.
(S. 226)
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Von unser'n Bergen will ich zu dir sprechen,
Erzählen dir helldunkle Waldgeschichten,
Von Heidelbeeren unter schlanken Fichten
Und von den wilden Rosen an den Bächen;

Vom grünen Eise neben Blumenflächen,
Von Lilien, die auf die Felsen flüchten,
Zum kühnsten Jodler will ich Lieder dichten
Und mit Gefahr das Edelweiß dir brechen.

Du aber sollst Isera mir kredenzen,
Frühfeigen pflücken mit den weichen Händen
Und mir das Haupt mit Mandelblüthen kränzen.

Und rufen wollen wir bis an die Grenzen,
Wie groß Tirol und seine Männer ständen,
Wenn so wie wir sich Nord und Süden fänden.
(S. 224)
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Raphaele

Wohin, o Mensch? Woher bist du gekommen?
Das sind die metaphysisch dunkeln Fragen,
Die manches edle Menschenherz benagen,
Von sternenloser Zweifelsnacht beklommen.

Was dich in unser Erdenthal getragen,
Das weiß ich längst; aus deinen himmlisch frommen
Und schönen Augen hab' ich es genommen,
Die kindlich plaudernd das Geheimnis sagen.

Sei mir nicht böse, wenn ichs nacherzähle!
Du warst die einz'ge Frauenengelseele,
Daß auch im Himmel Weiblichkeit regiere.

Nicht herrschen, - lieben wollte Raphaele;
Da wies der Schöpfer ängstlich ihr die Thüre,
Daß sie ihm seine Engel nicht verführe.
(S. 119)
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Aus: Ausgewählte Dichtungen von Hermann von Gilm
Herausgegeben von Rudolf Heinrich Greinz
Leipzig Reclam jun. 1894


 

 

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