Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)
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Johann
Wolfgang von Goethe
(1749-1832)
Wachstum
Als kleines artges Kind nach Feld und Auen
Sprangts du mit mir, so manchen Frühlingsmorgen.
»Für solch ein Töchterchen, mit holden Sorgen,
Möcht ich als Vater segnend Häuser bauen!«
Und als du anfingst, in die Welt zu
schauen,
War deine Freude häusliches Besorgen.
»Solch eine Schwester! und ich wär geborgen:
Wie könnt ich ihr, ach! wie sie mir vertrauen!«
Nun kann den schönen Wachstum nichts
beschränken;
Ich fühl im Herzen heißes Liebetoben.
Umfaß ich sie, die Schmerzen zu beschwichtgen?
Doch ach! nun muß ich dich
als Fürstin denken:
Du stehst so schroff vor mir emporgehoben;
Ich beuge mich vor deinem Blick, dem flüchtgen.
(S. 577)
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Das
Mädchen spricht
Du siehst so ernst, Geliebter? Deinem Bilde
Von Marmor hier möcht ich dich wohl vergleichen:
Wie dieser gibst du mir kein Lebenszeichen;
Mit dir verglichen zeigt der Stein sich milde.
Der Feind verbirgt sich hinter seinem
Schilde,
Der Freund soll offen seine Stirn uns reichen.
Ich suche dich, du suchst mir zu entweichen;
Doch halte stand, wie dieses Kunstgebilde.
An wen von beiden soll ich nun mich
wenden?
Sollt ich von beiden Kälte leiden müssen,
Da dieser tot und du lebendig heißest?
Kurz, um der Worte mehr
nicht zu verschwenden,
So will ich diesen Stein so lange küssen,
Bis eifersüchtig du mich ihm entreißest.
(S. 574-575)
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Die Liebende schreibt
Ein Blick von deinen Augen in die meinen,
Ein Kuß von deinem Mund auf meinem Munde,
Wer davon hat, wie ich, gewisse Kunde,
Mag dem was anders wohl erfreulich scheinen?
Entfernt von dir, entfremdet von den
Meinen,
Führ ich stets die Gedanken in die Runde,
Und immer treffen sie auf jene Stunde,
Die einzige; da fang ich an zu weinen.
Die Träne trocknet wieder unversehens:
Er liebt ja, denk ich, her in diese Stille,
Und solltest du nicht in die Ferne reichen?
Vernimm das Lispeln dieses
Liebewehens;
Mein einzig Glück auf Erden ist dein Wille,
Dein freundlicher, zu mir; gib mir ein Zeichen!
(S. 572)
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Reisezehrung
Entwöhnen sollt ich mich vom Glanz der Blicke,
Mein Leben sollten sie nicht mehr verschönen.
Was man Geschick nennt, läßt sich nicht versöhnen,
Ich weiß es wohl, und trat bestürzt zurücke.
Nun wußt ich auch von keinem weitern
Glücke;
Gleich fing ich an, von diesen und von jenen
Notwendgen Dingen sonst mich zu entwöhnen:
Notwendig schien mir nichts als ihre Blicke.
Des Weines Glut, den Vielgenuß der
Speisen,
Bequemlichkeit und Schlaf und sonstge Gaben,
Gesellschaft wies ich weg, daß wenig bliebe.
So kann ich ruhig durch die
Welt nun reisen:
Was ich bedarf, ist überall zu haben,
Und Unentbehrlichs bring ich mit - die Liebe.
(S. 571)
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Freundliches Begegnen
Im weiten Mantel bis ans Kinn verhüllet,
Ging ich den Felsenweg, den schroffen, grauen,
Hernieder dann zu winterhaften Auen,
Unruhgen Sinns, zur nahen Flucht gewillet.
Auf einmal schien der neue Tag
enthüllet:
Ein Mädchen kam, ein Himmel anzuschauen,
So musterhaft wie jene lieben Frauen
Der Dichterwelt. Mein Sehnen war gestillet.
Doch wandt ich mich hinweg und ließ sie
gehen
Und wickelte mich enger in die Falten,
Als wollt ich trutzend in mir selbst erwarmen;
Und folgt ihr doch. Sie
stand. Da wars geschehen!
In meiner Hülle konnt ich mich nicht halten,
Die warf ich weg, sie lag in meinen Armen.
(S. 569-570)
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Christgeschenk
Mein süßes Liebchen! Hier in Schachtelwänden
Gar mannigfalt geformte Süßigkeiten.
Die Früchte sind es heilger Weihnachtszeiten,
Gebackne nur, den Kindern auszuspenden!
Dir möcht ich dann mit süßem Redewenden
Poetisch Zuckerbrot zum Fest bereiten;
Allein was solls mit solchen Eitelkeiten?
Weg den Versuch, mit Schmeichelei zu blenden!
Doch gibt es noch ein Süßes, das vom
Innern
Zum Innern spricht, genießbar in der Ferne,
Das kann nur bis zu dir hinüber wehen.
Und fühlst du dann ein
freundliches Erinnern,
Als blinkten froh dir wohlbekannte Sterne,
Wirst du die kleinste Gabe nicht verschmähen.
(S. 579-580)
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Epoche
Mit Flammenschrift war innigst eingeschrieben
Petrarcas Brust vor allen andern Tagen
Karfreitag. Ebenso, ich darfs wohl sagen,
Ist mir Advent von Achtzehnhundertsieben.
Ich fing nicht an, ich fuhr nur fort, zu
lieben
Sie, die ich früh im Herzen schon getragen,
Dann wieder weislich aus dem Sinn geschlagen,
Der ich nun wieder bin ans Herz getrieben.
Petrarcas Liebe, die unendlich hohe,
War leider unbelohnt und gar zu traurig,
Ein Herzensweh, ein ewiger Karfreitag;
Doch stets erscheine, fort
und fort, die frohe,
Süß, unter Palmenjubel, wonneschaurig,
Der Herrin Ankunft mir, ein ewger Maitag.
(S. 574)
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Kurz und gut
Sollt ich mich denn so ganz an sie gewöhnen?
Das wäre mir zuletzt doch reine Plage.
Darum versuch ichs gleich am heutgen Tage
Und nahe nicht dem vielgewohnten Schönen.
Wie aber mag ich dich, mein Herz,
versöhnen,
Daß ich im wichtgen Fall dich nicht befrage?
Wohlan! Komm her! Wir äußern unsre Klage
In liebevollen, traurig heitern Tönen.
Siehst du, es geht! Des Dichters Wink
gewärtig
Melodisch klingt die durchgespielte Leier,
Ein Liebesopfer traulich darzubringen.
Du denkst es kaum, und sieh!
das Lied ist fertig
Allein was nun? - Ich dächt, im ersten Feuer
Wir eilten hin, es vor ihr selbst zu singen.
(S. 570)
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Abschied
War unersättlich nach viel tausend Küssen,
Und mußt mit Einem Kuß am Ende scheiden.
Nach herber Trennung tiefempfundnem Leiden
War mir das Ufer, dem ich mich entrissen,
Mit Wohnungen, mit Bergen, Hügeln,
Flüssen,
Solang ichs deutlich sah, ein Schatz der Freuden;
Zuletzt im Blauen blieb ein Augenweiden
An fernentwichnen, lichten Finsternissen.
Und endlich, als das Meer den Blick
umgrenzte,
Fiel mir zurück ins Herz mein heiß Verlangen;
Ich suchte mein Verlornes gar verdrossen.
Da war es gleich, als ob der
Himmel glänzte;
Mir schien, als wäre nichts mir, nichts entgangen,
Als hätt ich alles, was ich je genossen.
(S. 571-572)
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Die Liebende abermals
Warum ich wieder zum Papier mich wende?
Das mußt du, Liebster, so bestimmt nicht fragen:
Denn eigentlich hab ich dir nichts zu sagen;
Doch kommts zuletzt in deine lieben Hände.
Weil ich nicht kommen kann, soll, was
ich sende,
Mein ungeteiltes Herz hinüber tragen
Mit Wonnen, Hoffnungen, Entzücken, Plagen:
Das alles hat nicht Anfang, hat nicht Ende.
Ich mag vom heutgen Tag dir nichts
vertrauen,
Wie sich im Sinnen, Wünschen, Wähnen, Wollen
Mein treues Herz zu dir hinüber wendet:
So stand ich einst vor dir,
dich anzuschauen,
Und sagte nichts. Was hätt ich sagen sollen?
Mein ganzes Wesen war in sich vollendet.
(S. 572-573)
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Sie kann nicht enden
Wenn ich nun gleich das weiße Blatt dir schickte,
Anstatt daß ichs mit Lettern erst beschreibe,
Ausfülltest du's vielleicht zum Zeitvertreibe
Und sendetests an mich, die Hochbeglückte.
Wenn ich den blauen Umschlag dann
erblickte,
Neugierig schnell, wie es geziemt dem Weibe
Riss' ich ihn auf, daß nichts verborgen bleibe;
Da läs ich, was mich mündlich sonst entzückte:
Lieb Kind! Mein artig Herz! Mein
einzig Wesen!
Wie du so freundlich meine Sehnsucht stilltest
Mit süßem Wort und mich so ganz verwöhntest.
Sogar dein Lispeln glaubt
ich auch zu lesen,
Womit du liebend meine Seele fülltest
Und mich auf ewig vor mir selbst verschöntest.
(S. 573)
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Aus: Johann
Wolfgang von Goethe
Goethes Gedichte in zeitlicher Folge. Insel Verlag.
Herausgegeben von Heinz Nicolai. 7. Auflage 1990
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