Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Alfred Grünewald
(1884-1942)



Frühes Gespräch

Welch ein Präludium! Entzückte Geige
hebt an mit überstürzter Melodie,
verstummt betörend. Schweigen wie noch nie,
erfüllt von allem, was ich dir verschweige,

wird nun beredt gleich zartem Fingerzeige.
Wie schön dein Lächeln schwand und neu gedieh!
Wie mir dein Blick, halb zürnend, schon verzieh!
Vor deiner Anmut geht mein Herz zur Neige.

Ich bin besiegt und bin doch allgewaltig.
Ich bin verwandelt in mein tiefstes Ich.
Im Rausch der Reden, den ein Wort ernüchtert,

und schwelgend auch im Schweigen schau ich dich.
Und meinem Staunen scheinst du vielgestaltig:
gelassen, kühn und wie ein Kind verschüchtert.
(S. 43)
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. . .

Was ängstigt dich? Meinst du, ich will entfliehen?
Nur rasten will ich nach der langen Fahrt.
Die Stimmen, die nach Zeiterlöstem schrein,
beruhigt eine schöne Gegenwart.

Mein Tag und meine Nacht sind dir verliehen;
denn dein Erwachen war mir aufgespart.
Die Wünsche, aus Erfüllung mir gediehen,
sind immer nur um deine Huld geschart.

O wende nicht dein Antlitz! Meine Seele
sucht keine Fernen. Nur dein Licht erhellt,
was dunkel ist. Die Wege, die ich wähle,

sind deinem Wandeln sehnsüchtig gesellt.
Wie wird jetzt unser Leben sein? Erzähle!
Denn deine Rede weissagt eine Welt.
(S. 44)
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. . .

Wie damals unsere Gespräche waren!
Freuden und Sorgen mußtest du bekennen
und mir die Namen deiner Freunde nennen.
Du kanntest viele Spiele und Gefahren.

Oft kam ein tiefres Licht in deine klaren,
enthüllten Blicke. Sanftestes Entbrennen
wies deine Wange. Glanz, der nicht zu nennen,
lag ausgebreitet über deinen Haaren.

Gedenkst du, Knabe, noch des Anbeginnes,
da unsrer Rede Fäden sich verbanden
und viele Dinge neue Deutung fanden?

Und die Beglückung ihres süßen Sinnes
 uns weit entführte auf den schönen Fährten,
und Träume kamen, die den Tag verwehrten.
(S. 44-45)
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Bekenntnis

Ewige Rätselworte: Du und Ich.
Umpanzert sind wir, jeglichem verschlossen.
Ist dieses Bild, das lang mein Blick beschlich,
nicht aus des Blickes Fülle nur erflossen?

Ist es kein Trug? Bist du ein Wesen, sprich,
aus deinen Wurzeln in den Tag gesprossen?
Fand ich in allen Freuden nicht nur mich,
in allen Tränen, die ich dir vergossen?

Muß ich ein ganzes Leben dir verleihn
mit meiner Liebe, die dir weinte, lachte?
Werd ich nicht einst dein großer Schuldner sein,

weil ich dich meinem Traum gefügig machte?
Ich bin der Nie-Gestillte, Nie-Erwachte.
O liebe mich! Du mußt mir viel verzeihn.
(S. 45)
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Die Ungeliebten

Aus tiefster Schlucht hob meiner Tränen See
sich heiß empor, und seine Welle stieg
zu meinen Augen. - Deine Seele schwieg
vielleicht noch immer; aber meinem Weh

war deines nahe, zwar noch dicht verhüllt.
Doch brach ein Licht aus ihm, das es verriet.
Mein Schmerz hat lang vor deinem Schmerz gekniet,
und im Verweigern hast du sanft erfüllt.

Hoch über mir dein Antlitz, und doch ganz
in mir gespiegelt. Dunkel und im Glanz
von unerlöstem Feuer. Wer befreit

zu schöner Flamme die gebundnen Funken?
Sternloser Himmel! Deiner Sterne trunken,
flüchtet mein Leben in die Dunkelheit.
(S. 52)
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Sakrament vom Schnee

Laß in dein Narrenherz den Winter ein.
In Gärten schwärmtest du mit Ungestümen
und wolltest lächelnd deine Blumen rühmen.
Da ließ der andern Lachen dich allein.

Doch oft im Dunkel wuchs aus deiner Pein
ein großer Glanz und lag auf allen Beeten.
Und plötzlich sahst du Wege, nie betreten,
und Garten, Nacht und Himmel waren dein.

Aus solchen Nächten aber hob die Frühe
sich drohend auf und sog an deiner Kraft.
Und matter wurde deiner Wünsche Spiel.

Laß Winter sein und sprich zu Schnee: Erblühe!
Der Lenz war nur unsel'ge Wanderschaft.
Lösch aus dein Herz. Schon schimmert dir das Ziel.
(S. 56)
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Aus: Alfred Grünwald Lass meine Seele dir Heimat sein
Eine Auswahl
Zusammengestellt und eingeleitet
von Oskar Jan Tauschinski
Herausgegeben von Hans Weigel
Verlag Jungbrunnen Wien München 1990



 

 

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