Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)
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Heinrich
Heine
(1797-1856)
»Als ich vor einem Jahr dich wiederblickte,
Küßtest du mich nicht in der Willkommstund.«
So sprach ich, und der Liebsten roter Mund
Den schönsten Kuß auf meine Lippen drückte.
Und lächelnd süß ein Myrtenreis sie
pflückte
Vom Myrtenstrauche, der am Fenster stund:
»Nimm hin, und pflanz dies Reis in frischen Grund,
Und stell ein Glas darauf«, sprach sie und nickte. -
Schon lang ists her. Es starb das Reis
im Topf.
Sie selbst hab ich seit Jahren nicht gesehn;
Doch brennt der Kuß mir immer noch im Kopf.
Und aus der Ferne triebs
mich jüngst zum Ort,
Wo Liebchen wohnt. Vorm Hause blieb ich stehn
Die ganze Nacht, ging erst am Morgen fort.
(S. 100-101)
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Hüt dich, mein Freund, vor grimmen Teufelsfratzen,
Doch schlimmer sind die sanften Engelsfrätzchen.
Ein solches bot mir einst ein süßes Schmätzchen,
Doch wie ich kam, da fühlt ich scharfe Tatzen.
Hüt dich, mein Freund, vor schwarzen,
alten Katzen,
Doch schlimmer sind die weißen, jungen Kätzchen.
Ein solches macht ich einst zu meinem Schätzchen,
Doch rät mein Schätzchen mir das Herz zerkratzen.
O süßes Frätzchen, wundersüßes Mädchen!
Wie konnte mich dein klares Äuglein täuschen?
Wie konnt dein Pfötchen mir das Herz zerfleischen?
O meines Kätzchens
wunderzartes Pfötchen!
Könnt ich dich an die glühnden Lippen pressen,
Und könnt mein Herz verbluten unterdessen!
(S. 101)
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Aus:
Heinrich Heine. Sämtliche Gedichte in zeitlicher Folge.
Hrsg. von Klaus Briegleb. Insel Taschenbuch Verlag 1997
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