Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Georg Heym
(1887-1912)



Die Augen schließ ich ...

Die Augen schließ ich. Schall erfüllt den Pfad
Des Festzugs. Wagen, Reiter, Mann an Mann.
Des Volkes Staunen bei dem Viergespann,
Das langsam naht mit dir im Hochzeitsstaat.

Die Augen öffne ich. Der Traum zerrann.
Die Wolken sinken, und der Abend naht.
Ein Scherenschleifer tritt und tritt sein Rad.
Es kreischt. Und Funken stieben dann und wann.

Du hättest besser mich und rein gemacht.
Ich hätt zum Dank dir Wissens viel gegeben.
In meiner Liebe wärst du aufgewacht.

Dein Haus ist einsam und im Dunkel liegt
Dein Fenster nach dem See. Doch immer schweben
Die Wünsche wild zu dir. Wer ist, der siegt?
(S. 10)
_____



Die dunklen Wälder liegen meilenweit ...
(Entwurf)

Die dunklen Wälder liegen meilenweit
Um diese Höhe ‹hin› in fahlem Braun
Darein gesprengt der Tannen grünes Kleid.
Der Regentag versinkt im Abendgraun.

Ein Glöcklein läutet fern die Vesperzeit.
Ein Köhler, der bei seinem Feuer steht
Am Fuß des Hügels schichtend Scheit auf Scheit,
Zieht seinen Hut herunter zum Gebet.

O Frühling, Frühling. Da er wieder naht
Muß deines süßen Namens stets ich denken.
‹Des [Angesichtes] in des Goldhaars Staat.›

Ich liebe dich. Du sollst mir Liebe schenken.
Dann gehen Hand in Hand wir diesen Pfad.
Wenn sich des Sommerabends Winde senken.
(S. 20)
_____


Aus: Georg Heym Dichtungen und Schriften
Gesamtausgabe
Herausgegeben von Karl Ludwig Schneider
Band 1 Lyrik
Verlag Heinrich Ellermann 1964



 

 

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