Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Joseph Emanuel Hilscher
(1806-1837)



Ihr Anblick

Es ist nicht blöde Furcht, wenn dein Erscheinen
Schnell aus der Brust mir allen Muth entwendet,
Und jeden kühnen Vorsatz schleunig endet;
Und glaubst du es, ich muß es doch verneinen.

Denn wie der Sonne plötzliches Erscheinen
Das freie Auge unerwartet blendet,
So daß es schnell sich zu der Erde wendet,
So treffen deine Blicke auch die meinen.

Doch nein! die Sonne bleibt am Himmel stehen,
Erholt hat sich das scheue Auge bald,
Und trägt dann leicht des heißen Strahls Gewalt.

Dein Kommen ist nur ein Vorübergehen,
Es gleicht dein Blick vielmehr des Blitzes Macht,
Er zuckt – er trifft – und wieder ist es Nacht.
(S. 8-9)
_______



Die beiden Quellen

Es sind, wie Ariosto sang, zwei Quellen
Von selt'ner Wunderkraft in den Ardennen,
Wer eine trinkt, der muß in Lieb' entbrennen,
Die and're zwingt zum Haß mit ihren Wellen.

Wohl hast du, Strenge! nimmer aus dem hellen,
Geweihten Born der Liebe trinken können,
Weil aller Glut, die meine Lieder nennen,
Sich deine Blicke kalt entgegenstellen.

O hättest du den Minnequell erkoren,
Den andern ich, mit Froste mich zu tränken,
Daß du erkannt, wie Stolz und Haß betrüben.

Doch wehe mir! welch' Wort entfuhr dem Thoren?
Wie kann ich wünschen, daß dich Leiden kränken?
Nein, hasse immer; ach, ich kann nur lieben!
(S. 14)
_______



Namenlos

O schwelge, Blick! und juble Dank dem Licht,
Das wunderbar erst in den Wundern waltet,
Bewußtlos reichen Schatz auf Schatz entfaltet -
O schwelge! bis das dunkle Auge bricht.

Sei unersättlich, darben wirst du nicht,
Wie schön, was stets sich wechselnd neu gestaltet,
Wie schön! was ewig gleich, doch nie veraltet,
Und o, wie schön ein Menschenangesicht!

Und mehr als schön – o es ist namenlos,
Was ich in deinem Engelantlitz sehe,
Was Himmelsthau in's welke Herz mir goß,

Was lang geahnt nur, jetzt in nächster Nähe
Sein heil'ges Dasein strahlend mir erschloß -
Ihr nennt es Liebe? – Schaler Laut, verwehe!
(S. 11)
_______



Nachtgesicht

O wehe mir, welch grauses Nachtgesicht,
Ich sah verblichen dich im Todtenkleide,
Die lieben Augen, ach! geschlossen beide,
Und ausgelöscht der Wangen Rosenlicht.

Ein Kranz von Lilien, weißer, reiner nicht
Als deine Stirn', umschlang der Locken Seide,
Ein Lächeln noch, als ob es eben scheide,
Flog schmerzlich um dein liebliches Gesicht.

Und Kerzen brannten düster in der Runde,
Und Sterbeglocken gaben trübe Kunde,
Und leises Weinen stöhnte in der Kammer.

Ach, wie ertrüge ich den wilden Jammer,
Dich wachend so zu seh'n nach kurzem Glücke!
Erstarren müßt' ich, Nacht vor meinem Blicke.
(S. 11-12)
_______



Beklage mich nicht

Und wenn ich schlafe in der engen Zelle,
Tief unter Blumen, die im Winde wanken,
Wo Epheuschlingen um Zipressen schwanken,
Fern von des Tages freundlich gold'ner Helle.

Wenn ungeseh'n an der geheimen Stelle
Schon Auge, Mund und Herz in Staub versanken,
Und nur im Lied Gefühle und Gedanken
Sich fort erhalten auf der Lebenswelle;

Und du einst nah'st dem eingesunk'nen Hügel,
Dann denke mein, doch nicht mit später Klage,
Und nicht mit Reue oder bittern Zähren;

Ich war ja glücklich, ohne zu begehren,
Genoß ich deinen Anblick manche Tage,
Und sah mich rein in deiner Seele Spiegel.
(S. 14-15)
_______



Ihre Schönheit

Vergebens hab' ich Worte ausgewählt,
Um deiner Schönheit Allgewalt zu singen:
Dem frommen Eifer will es nicht gelingen,
Ich fühle, daß es mir an Ausdruck fehlt.

Denn alle Anmuth, so die Erde zählt,
Seh' ich in dir um Oberherrschaft ringen;
Und alle Reize, welche dich umschlingen,
Sind ganz von deinem schönen Geist beseelt.

O! diese Schönheit hegt des Feuers Macht:
Sie glänzet, sie erwärmet, und verzehrt
Die Schlacken jeder Seele, die ihr naht.

Nie wird sie von der Hand der Zeit zerstört,
Nie wird sie schwinden in des Todes Nacht,
Weil sie die Quelle in dem Geiste hat.
(S. 9-10)
_______



Morgenröthe

Wenn in dem Blau die Sterne schon erblinden,
Und bleiche Wolken, Rosen gleich, erröthen;
Muß nicht die Sonne in den Osten treten,
Da Farben schon ihr Kommen uns verkünden?

So sah dein Auge ich, sich senkend, schwinden,
Das lieblich oft in meine Nacht getreten,
Und deine Wangen sah ich hoch erröthen,
Als wollten sie dein Inn'res mir verkünden.

Ist es das Morgenroth erwachter Liebe?
Wird meine Sonne in den Osten treten,
Da Farben schon ihr Kommen mir verkünden?

Schön ist Verheimlichung so zarter Triebe;
Doch süßer ist verrathendes Erröthen,
Des feuchten Auges schamhaftes Verschwinden.
(S. 13)
_______



Ein Tadel

Zu deinem Lob ist alle Welt bereit.
Wem sollte nicht des ersten Blicks Entzücken
Dein süßes Bild tief in die Seele drücken?
Du Wunder aller Liebenswürdigkeit!

Wo du erscheinst, erblühet Heiterkeit;
Ein einziger von deinen süßen Blicken
Vermag den Aermsten dauernd zu beglücken;
Beschämt durch dich, erröthet selbst der Neid.

Und doch muß ich dich eines Makels zeihen,
Zu deinem Lobe auch den Tadel reihen,
Und Schatten zeigen, wo nur Licht erschien:

O Ueberreiche! der so viel beschieden;
Nimmst du nicht ungenügsam, unzufrieden,
Die Ruhe Aller, die dir nahen, hin?
(S. 12-13)
_______



Am Grabe

Zum Friedhof ging es, und die Glocken klangen
Du weintest leise, und ich weinte mit,
Du wanktest fort, ich folgte deinem Schritt,
Dein Leid erregte mir ein schmerzlich Bangen.

Und als die ernste Feier war begangen,
Vom Grabe weg sich wandte jeder Tritt,
Geschah es, daß dein Auge auf mich glitt,
Vom feuchten Silberschleier noch umhangen,

So lieblich sah ich dich noch nie erscheinen,
Dem Veilchen war dein Auge zu vergleichen,
Erfrischet von dem milden Thau der Nacht.

Da war auch schnell Vertrauen mir erwacht.
O! rief ich aus, laß alles Zagen weichen;
Sie ist nicht strenge, denn sie kann auch weinen.
(S. 10)
_______


Aus: Gedichte von Joseph Emanuel Hilscher
Originale und Uebersetzungen Redigirt von Ludwig August Frankl
Herausgegeben vom Comité zur Errichtung eines Hilscher-Denkmals
und einer Hilscher-Stiftung in Leitmeritz
Zweite vermehrte Auflage Prag Druck von Heinrich Mercy 1863



 

 

zurück zum Liebessonette-Verzeichnis

zurück zur Startseite