Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Friedrich Marc
(1819-?)



Wie kann der Mund es auszusprechen wagen,
Wovon der Busen pocht und bangt und zittert!
Ich sah von jachem Blitz den Baum zersplittert,
Der hoch zum Himmel dürstend wollte ragen.

Wie darf ich meiner Liebe Schmerz dir klagen,
Von engen Lebens Schranken rings umgittert,
Ein Herz dir bieten, so verarmt, verbittert,
Um Seligkeit dafür hinwegzutragen?

So kniet ein Pilger vor dem Heil'genscheine
Und sucht Erlösung dort von tiefem Harme.
Er fleht in Demuth und mit Sinnesreine;

Erfährt des Himmels Huld verklärt der Arme,
Da fühlt er, wie das reinste Glück erscheine,
Wie Liebe freibegnadend sich erbarme.
(S. 5-6)
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Vergebliches Bedenken

Wohin ich auch Gedanken lasse streifen,
Daß Spur von jenen Mächten ich erkunde,
Die eisern lenken dunkler Zukunft Stunde,
Und wenn ich Früchte schaue, die mir reifen:

Da will mich stets der strenge Schluß ergreifen:
"Dir ward das Schönste nicht zu frohem Funde;
Entsagen mußt du diesem Herzensbunde;
Es ist umsonst nach seinem Ziel zu schweifen."

So droht und mahnt mit ernster Stirn' Erfahrung;
Ich fühle blos den Durst der Seele brennen;
Sie schöpft allein an diesem Schmerze Nahrung.

Sie kann sich nicht vom eignen Leben trennen
Und all' ihr Streben läßt nur Offenbarung
Der unumschränkten Herrscherin erkennen.
(S. 14-15)
_____



Untrennbar

Ob über Schönem meine Blicke schweben,
Das Herz sich hebt, die Reize zu genießen;
Wo Blüthenauen wonnig mich umfließen,
Wo Berge kühn nach ihrem Himmel streben; -

O, könnt' ich nicht im Geiste mit dir leben,
Dir stets vereint ans Herz das Schöne schließen;
Dem Allen würde dann nur Leid entsprießen,
Und Nichts vermöchte Freude mir zu geben.

Dies Leben will ich wahren, diese Wonnen,
Und streben, kämpfen, dulden, meiden,
Bis selbst der letzte Hoffnungsstrahl zerronnen.

Wer aber könnte jemals Seelen scheiden,
Die Eines Wesens Form und Kraft gewonnen:
Sie mögen Tod, doch Trennung nicht erleiden.
(S. 23-24)
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Aus: Gedichte von Friedrich Marc
London, Franz Thimm Deutsche Buchhandlung
Brook Street Grosvenor Square 1858



 

 

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