Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)
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Alfred Meißner
(1822-1885)
Die todte
Geliebte
Die Geister alter schöner Zeit beschwören
In meiner Brust die Herrlichste der Todten,
Und wie gewohnt im Trotze gen Despoten,
Fühl' ich mein Herz sich gegen Gott empören:
Und ihm zuruf' ich's, daß er's möge hören:
Von den Gedanken, die im Geist dir lohten,
War sie der schönste! Uns war sie geboten,
Wie durftest du das holde Bild zerstören?
Ob Sterben das Gesetz des Weltenrundes -
Was kümmert's mich! Mir bringt es nicht Versöhnung,
Ich werd' um sie doch ewig mit dir streiten.
Schon daß der kleinste Schönheitszug des Mundes
Verloren ging, ist gräßliche Verhöhnung,
Denn was so schön, ist werth Unsterblichkeiten.
(S. 225-226)
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Ein Traum
Ich war ertrunken in des Todes Wogen
Und wieder auferwacht im ew'gen Lichte,
Rings um uns stand die Wahrheit der Gedichte -
Ich sah mit dir herab vom Himmelsbogen.
Da in der Tiefe kam ein Stern gezogen,
Ein Stern, zertrümmert bei dem Weltgerichte;
Du sah'st ihn nah'n mit irrem Angesichte,
Von des Entsetzens Blässe überflogen.
Ich sah, wie dir die blasse Rosen-Wange
Zwei helle Thränen still herniederglitten,
Und leise sprachst du, aber todesschaurig:
Siehst du den Irrstern dort auf seinem Gange?
Die Erde ist's, wo wir so viel gelitten -
Sie macht mein Herz selbst hier im Himmel traurig.
(S. 215-216)
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Das Gespenst im
Herzen
Unselig ist, wer liebt und nie besessen,
Unsel'ger noch, wer Liebe nie empfunden,
Den aber hält das ärgste Weh umwunden,
Wer nicht mehr liebt und doch nicht kann vergessen.
Mit altem Glück und Wonnen unermessen
Vorhöhnen ihn die Geister alter Stunden,
Und er, an der Erinn'rung Rad gebunden
Muß an's verwaiste Herz die Hände pressen.
Beim Festgelag, im Lenz, bei frohem Mahle
Tritt wie ein Geist vor ihm die todte Liebe,
Und klirrend fällt aus seiner Hand die Schale.
Er wankt hinaus ein starrer Mann der Schmerzen,
Kein Ort so grün, daß er dort heimisch bliebe -
Ach todte Lieb' ist ein Gespenst im Herzen.
(S. 219-220)
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Entfremdung
Wenn sie, die weinend sich geweiht zur Deinen,
Sich nach gegeb'nen Eiden läßt verführen
Und treulos von dir geht – laß dich's nicht rühren,
Sie ist's nicht werth! ja laß dein Herz versteinen.
Doch wenn ein Weib, die Reinste bei den Reinen,
Allmälig blaß wird unter deinen Schwüren,
Bis kalt ihr Wort und kalt ihr Kuß zu spüren -
Dann, Einstgeliebter, darfst du weinen, weinen.
Sie geht von dir und doch ist's kein Verbrechen,
Die Liebe welkt, wie Wangen sich entfärben,
Sie wird dir treulos und du kannst's nicht rächen.
Ich, der's erlebt, will hier die Hand erheben!
Weil ich an solchem Schmerz nicht konnte sterben,
Will ich mit ihm bis an mein Ende leben.
(S. 213-214)
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Aus: Gedichte von Alfred Meißner
Zweite stark vermehrte Auflage
Leipzig Friedrich Ludwig Herbig 1846
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