Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Stephan Milow
(1836-1915)



Inniges Band

Aus einem Grund ist unser beider Leben,
Verschlungen ist's aus einem Keim entsprossen;
Es wuchs, von einem Element umflossen,
Und pulst in einem Hoffen, Bangen, Streben.

Ja, wir erquickten uns im Wechselgeben,
Und hatten längst uns unbewußt genossen,
Bevor die Zeit das Aug' uns aufgeschlossen
Und wir, was wir uns sind, geschaut mit Beben.

Nun kann ich ganz das tiefe Band erkennen;
Ich wurzl' in dir und mein Gedeihn ist deines,
Und wollten wir uns je gewaltsam trennen,

Ich fühl's, es würd' uns beiden zum Verderben,
So wie die Zwillingsfrucht, getheilt, doch Eines,
Und brichst du eine, muß die andre sterben.

Aus: Stephan Milow Gedichte
Adolf Bonz & Comp. Stuttgart 1882 (S. 141)
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Zum Troste

Erbangst du? Will das Blut dir zürnend kochen
Ob all der Selbstsucht, die du schaust im Kreise,
In Wesen thronend, starr als wie von Eise,
Aus denen niemals Milde noch gebrochen?

Sei still und dämpfe deines Herzens Pochen!
Ein Edler, wirkt er noch so still und leise,
Löscht aus, was tausend andre rauher Weise
An Welt und Menschen durch ihr Tun verbrochen.

Was ist die Selbstsucht! Eng, in sich gebunden,
Stets ungestillt im ewigen Verzehren,
Und arm und machtlos, was sie immer triebe.

Sie kann ja eines nur zu allen Stunden:
Begehren, nichts als ohne Rast begehren;
Doch ewig unerschöpflich bleibt die Liebe.

Aus: Stephan Milows Gedichte.
Auswahl des Verfassers
Mit einem Bildnis des Dichters und einer Einleitung
von Eduard Engel Leipzig Max Hesses Verlag 1908 (S. 75)
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Flüchtige Begegnung

Wir sahen uns nur eine kurze Stunde,
Doch lebt ihr Nachklang stets wohl in uns beiden,
Die Blicke hielten sich noch fest im Scheiden,
Und bange scholl der letzte Gruß vom Munde.

Nun bist du fern; wir tauschten keine Kunde,
Ich weiß, ich muß dich ohne Hoffnung meiden;
Doch mag ich's mit gefaßtem Muthe leiden,
Bebt mancher Wunsch auch still im Herzensgrunde.

Daß wir getrennt, vielleicht ist's eine Segnung.
So manches will in luft'gem Traum nur leben
Und fassen wir es rauh, muß es zerstieben.

Jetzt bin ich selig, denk' ich der Begegnung
Und sehe dich wie damals vor mir schweben
Mit jenem Blick, der sprach: Dich könnt' ich lieben!

Aus: Stephan Milow Gedichte
Adolf Bonz & Comp. Stuttgart 1882 (S. 140)
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In einsamen Leidenstagen
An Sie

I.
Wir sind getrennt! Im Frühroth kaum erglommen,
War ja mein Glück auch längst schon im Verbleichen;
Nun mußte gar mein Letztes noch entweichen:
Auch deines Anblicks Trost ist mir genommen.

Die Sonne sieht in ihrem Gehn und Kommen
Von immer gleicher Qual gebeugt mich schleichen,
Und will mir manchen Kranz die Stunde reichen,
Du fehlst mir, du! was mag mir sonst noch frommen?

Dir leb' ich nur und kann dich nimmer missen;
In deiner Hut, beglückt durch deinen Segen,
Da fänd' ich süße Rast in sel'gen Schauern.

So aber muß ich irren schmerzzerrissen,
Und düster weht mir's überall entgegen:
Nie wird sie dein und ewig mußt du trauern!


II.
Rings blüht die Welt; ein Treiben, Singen, Minnen!
Es drängt mich, durch die dufterfüllten Weiten,
Entfliehend meinem bangen Leid, zu schreiten,
Und warm vom Frühling laß ich mich umspinnen.

Doch wieder schweift zu dir mein träumend Sinnen,
Du schwebst vor mir mit deinen Lieblichkeiten,
Und möcht' ich jetzt die Arme nach dir breiten,
Will dann entsagungsbang die Thräne rinnen.

O du mein Himmel, der in ew'gen Bogen
Mein Dasein überwölbt mit reiner Helle!
Mag mich die Hoffnung, mich der Schmerz entzünden,

Ach, alles, was in dieser Brust mag wogen,
Es hat in dir allein nur seine Quelle,
Um sehnsuchtsheiß in dich zurück zu münden.


III.
Du aber kennst kein Sehnen, Harren, Beben,
Was du besitzest, lenkt kein fremdes Wollen,
Aus deiner eignen Tiefe ist's entquollen,
Kein Schicksal kann dir nehmen oder geben.

Mag lächelnd dir vorbei die Stunde schweben,
Mag sie dir dräuend schwarz entgegenrollen,
Ohnmächtig ist ihr Lächeln wie ihr Grollen,
Fest ruhend in dir, formst du selbst das Leben.

Die eigne Fülle ist dir Schirm und Wehre,
Und wie du jede Lust, die andre Herzen
Begierig haschen und gemein empfinden,

Erst läuterst und erhebst, so wirst du, Hehre!
Erhaben stehn auch über allen Schmerzen
Und sie in stiller Hoheit überwinden.


IV.
Lang schwieg mein Schmerz, im Innersten gebunden,
Geblutet hab' ich reichlich ach! und bange,
Doch fand der Strom den Ausweg nicht im Sange
Und wühlte mir ins Mark in schweren Stunden.

Nun plötzlich ist der starre Bann geschwunden,
Es schwillt und rauscht in mir mit mächt'gem Drange,
Gelöst erscheint, was mich gedrückt so lange,
Und süß erleichternd quillt's aus allen Wunden.

Will sich den Pfad ein Strahl der Freude bahnen
In diese Brust nach all dem herben Leide?
Will der Erlösungstag mir hold erscheinen?

Wie? oder ist's ein stilles Todesahnen?
Und drängt's mich noch, eh' ich vom Leben scheide,
Mein Herz zu deinen Füßen auszuweinen?


V.
Noch denk' ich jenes Glücks, das ich genossen,
Als einst im Lenz, in später Abendstunde,
Gesessen wir auf weichem Wiesengrunde
Und unsre Herzen milde aufgeschlossen.

Rings war ein tiefer Zauber ausgegossen,
Ein Zittern, Rauschen, Duften in der Runde;
Die Worte starben endlich uns im Munde,
Wie unsre Blicke ineinander flossen.

Da war es mir, als ob mit ihren Sonnen
Und Sternen allen sich die Welt im Reigen
Um uns zu drehn begänne, bebend trunken.

Und wir, gestillt, so voll der reichsten Wonnen,
Wir ruhten regungslos, in sel'gem Schweigen,
Im Mittelpunkt der Schöpfung tief versunken.


VI.
Ich möchte dämpfen meines Liedes Wogen,
In mich hinein nur möcht' ich singen leise,
Klingt doch so viel des Lobes noch im Kreise,
Und klingt nicht dir und ist mir wie erlogen.

Sing' ich den Himmel, der in mich gezogen,
Die Menge denkt, daß nach Poetenweise
Ich meiner leeren Träume Bild nur preise,
Das, traumgezeugt, auch wie ein Traum verflogen.

O könntest du, von Schwingen leicht getragen,
Die Fülle deines Wesens rings zu zeigen,
Hochleuchtend über ihnen allen schweben!

O dürften sie, wie ich in einst'gen Tagen,
In deines Auges Strahl sich selig neigen,
Wie ich, in deinem heil'gen Odem beben!


VII.
Vermöcht' ich eins: dein eigen Selbst dir künden!
Daß du dich schautest, wie du mir erschienen!
Doch kannst du nimmer an den eignen Mienen,
Am eignen Blick die Seele dir entzünden.

Wie Kraft und Milde sich in dir verbünden,
Wie aller Anmuth Götter hold dir dienen,
Wenn du dahinwallst, leicht umschwebt von ihnen -
Den Zauber sinnst du nimmer zu ergründen.

Doch daß ich dir dein eigen Bild enthülle,
Wo borg' ich Farbe mir und Maaß und Formen?
Ich finde nichts, so weit das Licht ergossen.

Du gleichst dir selbst nur, deiner Schönheit Fülle
Erscheinet echt nur in den eignen Normen:
Dir selber aber bleibst du stets verschlossen.


VIII.
Wenn ich mich bette oft am Waldessaume,
Umfängt es wie Betäubung mich gelinde,
Es lullt mich süß der warme Hauch der Winde,
Die säuselnd streichen sanft von Baum zu Baume.

Gemach verschwimmt mir alles rings im Raume,
Der Schlummer zieht vors Auge mir die Binde,
Die Wimpern schließen sich und ich empfinde,
Das lieblichste, das schönste Glück im Traume.

Da will's stets mächt'ger mir die Seel' umspinnen,
In tiefem Sehnen fühl' ich mich entbrennen,
Bis ich erwache mit erstaunten Mienen.

Und will ich mich des holden Spucks entsinnen,
Vermag ich seinen Inhalt nicht zu nennen,
Nur dieses weiß ich: Du warst mir erschienen.


IX.
Nur einmal möcht' ich noch so recht dir sagen,
Was du mir bist, und dir ins Auge blicken,
Indeß mich deine Arme sanft umstricken,
Wie einst in süßen, wundersel'gen Tagen.

Wie fühlt' ich damals mich emporgetragen,
Sah ich dein liebes Haupt mir lächelnd nicken!
Erfüllung wird ein milder Gott uns schicken!
So hofft' ich froh und kannte keine Klagen.

Vielleicht auch darfst du mir erscheinen,
Da wird sich sänft'gen meines Herzens Pochen;
Ich halte dich, du neigst dich zu mir nieder

Und küssest mich, nennst mich, wie einst, den deinen;
Doch meine frohen Schwingen sind gebrochen
Und ach! das alte Hoffen kehrt nicht wieder.


X.
Ich träumte süß von wunderbaren Wonnen,
Von einem Lenz, darein wir wandeln sollten,
Indeß sich heitre Fernen uns entrollten
Und Licht und Leben floß aus milden Sonnen.

Doch allzu bald nur ist mein Traum zerronnen,
Die Blicke, die beschwingt zum Himmel wollten,
Sie senkten sich zum Staub – die Götter grollten,
Und leidvoll endet, was so hold begonnen.

O banger Wechsel! hoffnungsloses Lieben!
Ein Leben, schwellend reich, voll goldner Früchte,
So dacht' ich mir's, geborgen still im Hafen;

Und nun ist mir das einz'ge Gut geblieben,
Zu dem ich müd und krank zuletzt mich flüchte:
Mit dem Gedanken an dich einzuschlafen.


XI.
Oft schelt' ich mich und fühl's mit stillem Bangen,
Daß ich in unsern seligsten Minuten,
Wo wir, vereint, uns in den Armen ruhten,
Mich doch nur kühl dir wies und scheu befangen.

O bist du fern und darf mein Geist nur hangen
An deinem Bild, da wogen meine Gluten,
Da möcht' ich dich mit Küssen überfluten
Und Schmeichelein in drängendem Verlangen!

Doch nahst du mir und darf ich dich nur schauen,
So quillt es auch schon stillend, unermessen,
Auf mich herein, so daß ich mich verwirre;

Das Auge will in süßer Wonne thauen
Und meine Lippe schier den Kuß vergessen,
Nur heißen Dank dir stammelnd, selig irre.


XII.
Wer liebt, sei ganz in sein Gefühl versunken,
Er laß den Ruf der Welt an sich verhallen,
Dahin in stillem Jubel mag er wallen,
Im Tiefsten bergend süß den heil'gen Funken.

Er liebte schlecht, wenn er nicht, selig trunken
Des einen Glücks nur, das ihm zugefallen,
Entflöhe scheu den andern Freuden allen:
Wer liebt, sei ganz in sein Gefühl versunken.

So bin ich dein! Was rings auch immer blühe,
Es ist mir todt und soll mich nicht erquicken;
Denn dich nur lieb' ich, dich hab' ich erkoren.

Und lügt mein Wort und wenn ich je erglühe,
Gefacht von eines fremden Augen Blicken;
So sei auf ewig, ewig mir verloren!

Aus: Stephan Milow Gedichte
Adolf Bonz & Comp. Stuttgart 1882 (S. 128-139)
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