Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)
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Christian
Morgenstern
(1871-1914)
Die Bank
Die Nacht ist lind und lockt mich auf die Warte
auf halber Höhe über meinem Flecken;
ich schau ihn sich den Bach hinauf erstrecken,
und diesen selber durch der Mauer Scharte.
Durchs Laubwerk mir zu Häupten spielt das harte
Geblink der Sternenschar mit mir Verstecken;
indes von unten mich Laternen necken,
wie Blitzer einer transparenten Karte.
Vor allem aber ist die Bank da droben
mir wert. Denn meine Freundin kommt, die ferne,
sooft ich dort, mein nächtlich Säumen teilen.
Gemeinsam hören wir die Wasser toben.
Gemeinsam schaun wir Häuser, Lichter, Sterne ...
Und wünschen nichts als ewig so zu weilen.
(Band 2 S. 145)
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Nun wollen wir uns
still die Hände geben
und vorwärts gehen, fromm, fast ohne Zagen,
und dieses größte Lebenswagnis wagen:
Zwei miteinander ganz verschlungne Leben.
Und wollen unermüdlich weiterweben
an den für uns nun völlig neuen Tagen
und jeden Abend, jeden Morgen fragen,
ob wir auch ganz ein Ringen und ein Streben.
Auch ganz ein unersättlich Langen, Dürsten,
im Maß des Körperlichen, das uns eigen,
uns immer geistiger emporzufürsten:
Daß wir wie eines Pfeiles Schaft am Schlusse,
ineinsverflochten und in einem Schusse,
ein neues Reich höhrer Geburt ersteigen.
(Band 2 S. 170)
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Aus: Christian Morgenstern Werke und Briefe
Kommentierte Ausgabe, Band I (Lyrik 1887-1905)
und Band II (Lyrik 1906-1914).
Hrsg. von Martin Kießig Verlag Urachhaus Johannes M. Mayer GmbH,
Stuttgart Band I 1988, Band II 1992
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