Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Robert Prutz
(1816-1872)


Nachtigall

Als von des Schmerzes Uebermacht bezwungen,
Zusammen brachen meine müden Glieder,
Da mit dem süßen Wohllaut ihrer Lieder
Hat mich die Nachtigall in Schlaf gesungen.

Nun bin ich frisch vom Lager aufgesprungen,
Den Garten eil' ich suchend auf und nieder;
Allein umsonst, auf flüchtigem Gefieder
Hat sich die Sängerin empor geschwungen.

Tief innen nur in meiner Seele Grunde,
Da tönt mir noch ein Echo ihrer Klänge
Und träuft wie Balsam leis in meine Wunde.

Gleichgiltig geh' ich durch die taube Menge,
Denn mit den Göttern fühl' ich mich im Bunde,
Und von der Lippe perlen mir Gesänge.
(S. 115)
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Weltuntergangs-Sonette

I.
Am Tage, da die Welt sollt' untergehen,
Berührt vom Flammenschweife des Kometes,
Wie es verheißen kundige Propheten,
Die mehr als andre in den Sternen sehen;

Da, unter Weinen, Jammern, Schluchzen, Flehen,
Beim nahen Schall der Weltgerichtstrompeten,
Indeß die Einen fluchen, Andre beten,
Da ist der Wunder köstlichstes geschehen.

Nicht fraget, was! Nie wird aus meinem Munde
Ein sterblich Ohr die Kunde je erlangen
Von dem Geheimniß jener süßen Stunde.

Nur so viel wißt: indessen, furchtbefangen,
Die alte Erde bebt' in ihrem Grunde,
Ist eine neue Welt mir aufgegangen.


II.
Ja, es versank die altgewohnte Erde,
Dies Schattenthal, wo nichts als Thränen fließen,
Wo stets die Reue folgt auf das Genießen,
Der Nebelball voll Kummer und Beschwerde.

Durch neue Himmel lenkt die Flammenpferde
Der Sonnengott, in neuen Ufern fließen
Die Ströme jetzt, und neue Blumen sprießen,
Die nie verblühn, auf neues Schöpfungswerde.

Wie aber hat sich dieses zugetragen?
Wer hat, o sprecht, dies Wunder angerichtet?
Ein lächelnd Kind – nichts weiter darf ich sagen.

Der Seele Himmel hat sie mir gelichtet,
Daß wiederum, wie in der Jugend Tagen,
Mein jauchzend Herz in Tönen denkt und dichtet.


III.
Brich denn herein! Laß deine Donner rollen,
Weltuntergang! Ich lache deiner Schrecken,
Der Flammen lach' ich, die begierig lecken,
Als ob sie Erd' und Meer verschlingen wollen.

Was kümmert mich der Sterne zürnend Grollen?
Der Arm der Liebe, weiß ich, wird mich decken,
Ein treuer Wächter, wird sie mich verstecken
In ihrem Schoß, dem süßen, wonnevollen. –

Und so geschah's! Der Sturm, der uns bedrohte,
Zum Zephyr ward er; mit verkohlten Gluten,
Verschämt entwich der feur'ge Todesbote.

Und duftend hob aus neugestillten Fluten
Ein Eiland sich, verklärt vom Morgenrothe,
Darauf zwei Liebende in Schlummer ruhten.


IV.
Und war es wirklich keine falsche Kunde,
Und haben die Propheten nicht gelogen,
Und brechen wirklich heut' des Himmels Bogen,
Und Flammen schlagen aus dem finstern Schlunde:

Gegrüßt auch du, des Erdballs letzte Stunde!
Von der Geliebten süßem Hauch umflogen,
Verschränkten Armes, Mund an Mund gesogen
Im Wonnerausch, wie gern' geh' ich zu Grunde!

Rast, Stürme, rast! Entweicht, ihr goldnen Herden,
Die ihr am Himmel weidet! Brich zusammen
Im tiefsten Kern, du morscher Bau der Erden!

Versiegt, o Sonnen, ihr urew'gen Ammen!
Zum Brautbett muß das Chaos selbst uns werden,
Indeß als Hochzeitfackel Welten flammen!


V.
Nein, höhnt ihn nicht, den Aermsten, den Kometen,
Weil er sich heimlich machte auf die Socken!
Vor meiner Liebsten ist er so erschrocken,
Daß er es vorzog, gar nicht aufzutreten.

Das blaue Auge sah er, süß betreten,
Das flammende, vor dem die Pulse stocken,
Es sah von fern das Wallen ihrer Locken,
Wie sie gleich einem Schleier sie umwehten;

Und sprach zu sich: O welche holde Tücke!
Mit diesem Weib fürwahr kann ich nicht streiten,
Vor ihrem Glanze zieh' ich mich zurücke.

Sprach's und versenkte sich in Dunkelheiten,
Gebannt von meiner Liebsten süßem Blicke,
Als blasser Mond die Erde zu begleiten.


VI.
Nicht zürne mir, daß ich vermag zu scherzen
Und Lieder reime mit verwegnem Munde
Von jenem Tage, da zu ew'gem Bunde
Sich in einander gossen unsre Herzen.

Laß dich mein übermüthig Spiel nicht schmerzen!
Du weißt ja, Liebste, was mir diese Stunde,
Und wie in meiner Seele tiefstem Grunde
Nun ewig leuchten ihre heil'gen Kerzen.

Es giebt ein Glück, so über alle Grenzen,
Daß, während dankerfüllt die Lippen beten,
Die Augen doch von süßer Lust noch glänzen.

Solch Glück, solch sel'ges, gabst du dem Poeten,
Und wie man Heil'ge schmückt mit bunten Kränzen,
So nimm auch du die Lieder vom Kometen!
(S. 108-113)
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Drei Sonette

I.
Was wol die schwerste sei von allen Plagen,
Die Götterzorn dem Liebenden kann schicken?
Mit zweien Worten wag' ich's auszudrücken:
Auf stumme Bitte schweigendes Versagen.

Ein Nein thut weh, doch läßt es sich ertragen,
Wird es versüßt von mitleidsvollen Blicken;
Doch kalt und stumm mit Eis die Glut ersticken,
Das macht zuletzt das treue Herz verzagen.

Bedenk' es wohl: es flieht die rasche Stunde,
Nie wird, was du versäumt, dir wiederkehren,
Und ungestillt verblutet sich die Wunde.

Drum laß, o Herz, ein andres Wort dich lehren,
Es heißt – und also küss' es mir vom Munde: -
Auf stumme Bitte lächelndes Gewähren.


II.
Es ist die Lieb' ein Kind, nach Kinderweise
Lehnt sie die Wange gern an liebe Wangen,
Läßt gern von weichen Armen sich umfangen,
Spielt gern in duft'gen Locken lind und leise.

Auch liebt sie, gleich den Kindern, süße Speise;
Hat sie zu küssen einmal angefangen,
So bleibt sie fest am Purpurmunde hangen,
Gleich wie ein Stern sich wiegt in ew'gem Gleise.

Und doch, wiewohl ein Kind in allen Stücken,
Erträgt sie muthig Kummer und Beschwerden
Und würgt, ein Herkules, der Feinde Tücken.

Es ist kein Held, kein König ist auf Erden,
Der nicht, demüth'ger Sclav', sich müßte bücken
Vor dieses Kindes lächelnden Geberden.


III.
Und läßt du, daß die Lieb' ein Kind ist, gelten,
So muß sie auch als Kind sich dürfen zeigen;
Drum wenn sie plaudert, heiße sie nicht schweigen,
Und weint sie, tröste sie, so weint sie selten.

Auch sollst du nicht Verschwenderin sie schelten;
Holdsel'ger Leichtsinn ist der Kindheit eigen,
Sie liebt, sich zu den Sternen zu versteigen,
Und spielt, als wären Kiesel es, mit Welten.

Doch ist auch nichts, was Lieb' nicht kann entbehren,
Freiwillig, die Geliebte zu beglücken
Und ihres Herzens Wunsch ihr zu gewähren;

Sie läßt die Rose, ohne sie zu pflücken,
Den Becher läßt sie, ohne ihn zu leeren,
Und selbst das Elend wird ihr zum Entzücken.
(S. 116-118)
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Gesetz der Liebe

Wenn du dein Herz der Liebe willst ergeben,
So acht' auf Eins: daß es sich völlig giebt
Und ungetheilt; es lebt nur, wer da liebt,
Drum klingt so ähnlich lieben auch und leben.

Drum wenn du liebst, so habe nichts daneben,
Woran dein Herz noch hängt; die Welt zerstiebt
Der Seele, die sich innigst weiß geliebt,
Und welche selbst in Liebe will verschweben.

Wer aber unter des Geliebten Küssen
Noch ängstlich seitwärts nach den Leuten schielt,
Was sie wol meinen, denken, sagen müssen,

Der ist, wie fromm er sich auch sonst verhielt,
Rebell zuwider göttlichen Beschlüssen,
Und eitel Täuschung ist, was er erzielt.
(S. 114)
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Aus: Robert Prutz Buch der Liebe
Leipzig Verlag von Ernst Keil 1869



 

 

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