Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)
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Hugo Salus
(1866-1929)
Dolche und Küsse
In einem Hefte längst vergess'ner Lieder
Fand Anselm Poitou ein klein Gedicht;
- Einst schrieb er's hin, da glühte sein Gesicht -
Es hieß: Auf einen Dolch. Kaum kannt' er's wieder:
"Nun ist's genug der Blumen und der Lieder!
Nun poch' ich an dein Herz, mir wehrst du nicht,
Das heiße Wort, das meine Zunge spricht,
Zwingt endlich deinen kühlen Hochmut nieder.
Ich will der Schlüssel sein zu deinem Herzen,
Ich öffne mir das stolz verwehrte Haus,
Auf seiner Schwelle enden alle Schmerzen!"
Und Anselm lacht: "Ist das ein Wiederfinden!
Ein schlecht' Gedicht!" Er streicht den Titel aus:
Auf einen Liebesbrief. Und schickt's Lucinden.
Aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 30)
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Abschiedsbrief
Dies ist mein Abschiedsbrief und letzter Bote;
Sanft sei sein Schritt und mild sein Angesicht,
Und jedes Wort sei Frieden, das er spricht.
Weh, wenn er deines Herzens Ruh bedrohte.
Gott Amor hob die Fackel und sie lohte.
Ich liebte dich. Du warst mein Stern und Licht.
Er senkt die Fackel, doch er löscht sie nicht,
Und heißer loht sie auf, die glühendrote.
Du kennst den Gott, der seine Fackel wendet:
Es ist der Gott, der jeden Kummer heilt,
Es ist der Gott, der jede Liebe endet ...
Dies ist mein Abschiedsbrief. Die Stunde eilt.
Drei Kreuze setz' ich drunter; eins für mich.
Ein kleiner Friedhof. Ach, wie liebt' ich dich ...
Aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 56)
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Die Boten
Meine Mutter hört' ich einmal sagen,
Daß Gebete von der Lippen Rand
Englein nehmen und im Nest der Hand
Sie behutsam in den Himmel tragen.
Lächelnd hört' ich's. Ach, in jenen Tagen
Hat mein Herz die Sehnsucht nicht gekannt,
Die zum Flug die dunklen Schwingen spannt,
Liebesseufzer und der Sehnsucht Klagen!
Englein, Englein mit den lieben Händen,
Wollt ihr mir den Botendienst versagen?
Der Geliebten möcht' ich Botschaft senden,
Eurer Schwester sollt ihr Grüße tragen.
Englein, liebe Englein, hört mein Flehen!
Euren Händen soll kein Leids geschehen ...
Aus: Hugo Salus Ernte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1903 (S. 70)
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Der Ausblick
Vor unserm Fenster liegt die Stadt gebreitet,
Die Burg, die hundert Türme und ein Meer
Von Kuppeln, Giebeln, Dächern um sie her,
Und breit der Strom, der unter Brücken gleitet.
Und wenn der Abend unsere Herzen weitet,
Hat unser Aug', vom Licht des Tages schwer,
Nach diesem Bild der stillen Stadt Begehr,
Eh' sich der Lampe Traulichkeit bereitet.
Dein Haupt an meiner Schulter, blickst du nieder,
Du schweigst und schweigst. Nun hebst du sanft die Lider:
"Sag, Liebster, sag, war's je so schön wie heut'?"
Ein Kuß wie ein Gebet: o Himmel, immer
Laß unserm Blick der Liebe feuchten Schimmer,
Der täglich uns der Schönheit Bild erneut!
Aus: Hugo Salus Neue
Garben
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1904 (S. 21)
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Mit geschlossenen
Lidern
Sonst, wenn mein Herz in Liebe sich verzehrte
Und ich die Lider schloß, ihr nah zu sein,
Sah ich die Liebste, mädchenhaft und rein,
Daß sich mein sündig Herz zur Buße kehrte.
Voll strenger Zucht erschien mir die Verklärte
So keusch, wie treu. Bis in den Schlaf hinein
Umstrahlte mich der Liebe Heiligenschein,
Daß selbst dem Traum der Keuschheit Engel wehrte.
Auch jetzt schließ' ich die Lider: seliges Dämmern,
Draus schlank und weiß der schönste Körper lacht!
O warmer Marmor, drin die Pulse hämmern!
Die Lider preß ich zu. O Lichtgefunkel,
Hell strahlt ihr Leib und leuchtet durch die Nacht.
Und wär' ich blind, wär' selig doch mein Dunkel ...
Aus: Hugo Salus Neue
Garben
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1904 (S. 47)
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Ernüchterung
Wie Buhlerinnen sich zum Feste schmücken
Mit Schleiern, Blumen, funkelndem Geschmeid':
"Heft noch die rote Rose an mein Kleid,
Die Perlen noch, den Kühlen zu entzücken!" -
Und glaubt doch jede, mit geübten Blicken,
Mit Lippen, stets zu heißem Kuß bereit,
Mit Busenwogen, flinker Zärtlichkeit,
Auch ungeschmückt, die Herzen zu berücken:
So zwingst du meine schlichten, warmen Worte
In Prunkgewänder, schöne, stolze Frau,
Und läßt sie fröstelnd knien vor deiner Pforte.
Wie Buhlerinnen?! Meine keuschen Worte?!
Weh dir, du herzlose, verbuhlte Frau!
Auf, aus dem Staub, mein Lied! Fluch dieser Pforte!
Aus: Hugo Salus Neue Garben
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1904 (S. 55)
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Genesene Ophelia
Du klare, alabasterweiße Stirne,
Darauf der Abglanz aller Keuschheit thront,
- Gleichwie im Diadem der Nacht der Mond -
Heut' bist du wieder rein, wie Eis der Firne.
Ach, hinter dir, im arg verwirrten Hirne,
Hat gestern noch ein trüber Geist gewohnt,
Der selbst so reine Lippen nicht verschont
Und sie verzerrt zum Munde einer Dirne!
Heut' sind die Lippen, die nie wissen dürfen,
Wie sie ein Dämon schänderisch mißbraucht,
Sanft und gerührt und lächeln selig wund,
Da sie erstaunt des Lebens Odem schlürfen;
Und heilig glänzt die Stirn, da nun mein Mund
Auf ihren Schnee den Kuß des Mitleids haucht...
Aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 53)
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Das Tor der Träume
In sanften Angeln geht das Tor der Träume;
Mit Fingern eines Blinden tastest du
Dem leichten Riegel an dem Tore zu
Durch lange Gänge und durch weite Räume.
Im offnen Tor der Wunder und der Träume
Wird leicht dein Fuß, als trüg' er Flügelschuh',
Und auf beglückten Sohlen wandelst du,
Verwirrt und klar, im Schatten heiliger Bäume.
Der Garten winkt; das Paradies! Und hier -
Eva, bist du's? Mein Wunsch, mein Traum, mein Glück,
Im schlanken Ebenmaß der jungen Glieder? -
"Ich bin's!" - Ein Wirbelsturm reißt dich zu ihr
Und hebt dich hoch und schleudert dich zurück, -
Und vor dem Tor der Träume sinkst du nieder!
Aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908 (S. 60)
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Alleesonett
O du Allee aus jungen Greisenbäumen,
Wie lieb' ich dich als stillen Zufluchtsort
Mit deinen märchendunklen, kühlen Räumen,
Fernnah der Großstadt überlautem Wort!
Kein Sommer glüht in dir, kein Herbst verdorrt,
Die Wandrer Lenz und Winter aber säumen
Und gehn nur zögernd, ungern aus dir fort:
Wer dich betritt, sinkt gleich in tiefes Träumen.
Nur andre Einsame begegnen mir,
Die mich, mit sich beschäftigt, gar nicht sehen
Und, dunkle Schatten, durch das Dunkel gehen.
Heut trifft mich hier ein Freund. "Was tust du hier?"
Staunt er mich an. Ich, ohne Wimpernsenken:
"Ich? Ich geh her an meine Liebste denken ..."
Aus: Das neue Buch.
Neue Gedichte von Hugo Salus
Albert Langen Verlag München 1919 (S. 89)
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Weißer Nacken
Ein Saal voll Beethovenergriffenheit.
Ich fühl's, wie allen rings das Aug sich feuchtet,
Wie aus den Seelen ihr den Alltag scheuchtet,
Wie ihr jetzt alle fromme Dichter seid.
Und doch, so einsam ihr euch alle deuchtet,
Ich seh entzückt, zum Küssen nah, doch weit,
Wie vor mir warm und weich, aus dunklem Kleid,
Ein Schnee im Mondschein, weiß ein Nacken leuchtet.
Ein Frauenhals, so hold und heiß verlockend,
Mein Sünderherz, im warmen Busen stockend,
Nicht höchste Kunst kann jetzt dein Glühn verwehn.
Ihr Lauscher rings, die jetzt der Rhythmus adelt,
Lauscht, lauscht! Ich trag's, wenn ihr mich tadelt!
Mich laßt nur schaun und ganz im Schaun vergehn ...
Aus: Das neue Buch.
Neue Gedichte von Hugo Salus
Albert Langen Verlag München 1919 (S. 90-91)
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Lauscherandacht
Sprich, Liebste, sprich! Laß mich die Augen schließen,
Ich will ein Blinder sein, der klangberauscht
Den Wunderquell sanfter Musik belauscht,
An dessen Rand ihm alle Blumen sprießen.
Einst mag mir Trost aus deinen Worten fließen,
Wenn meine Liebesandacht mir verrauscht
Und uns das Leben Lieb' in Freundschaft tauscht;
Heut will ich deiner Stimme Klang genießen.
Dereinst mag sich dem Klang, der mich beglückt,
Die edle Frauenklugheit hold verbünden,
Wie im Choral sich Klang und Weisheit eint.
Doch heut laß mich nur lauschen, erdentrückt,
Und mit den wachen Ohren eines Blinden,
Dem die Musik Klang, Licht und Farbe scheint ...
Aus: Das neue Buch.
Neue Gedichte von Hugo Salus
Albert Langen Verlag München 1919 (S. 91-92)
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