Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Julia Virginia Scheuermann
(1878 - nach 1936)



Es waren Stunden, schön und glanzumsponnen,
Die wir in der Uffizien heil'gen Auen
Verträumten einst in andachtsvollem Schauen,
– Umspielt vom Friedenshauche der Madonnen.

Denn unterm Glutstrahl goldgemalter Sonnen,
Beim Anblick heitrer Himmel, die dort blauen,
Begann es in den Herzen leis zu tauen –
Nordländ'sche Nebel waren bald zerronnen.

Es trafen unsre Augen sich im Kusse.
Wir wurden eins im Fühlen, eins im Denken.
Und unsre Seelen neigten sich zum Grusse.

Ein Engel wollte sich herniedersenken,
Begnaden uns mit seinem Überflusse – –
Da mussten wir die Schritte heimwärts lenken.
(S. 21)
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Mein Geheimnis
(Nach Arvers)

Ein tiefes, heiliges Geheimnis ist mein eigen:
Ewige Liebe, die der Augenblick gebar.
So hoffnungslos mein Leid; ich hab gelobt zu schweigen,
Und die mir's zugefügt – nie ward's ihr offenbar.

Ich werd ihr nah sein unbeachtet immerdar,
Zur Seite ihr und einsam doch im Lebensreigen;
Werd, bis sich meine Tage sanft zu Ende neigen,
Von ihr begehren nichts – empfangen nichts fürwahr!

Und sie, der doch ein Gott ein zärtlich Herz verliehen,
Sie wird gemach und ruhig durch dies Leben ziehen,
Achtlos der Liebesseufzer, die sie heiss umwehn.

Gestrenger Pflicht getreu, wird fragen sie beim Lesen
Der Verse hier, die ganz erfüllt von ihrem Wesen:
"Wer aber ist dies Weib?" – Sie wird es nie verstehn.
(S. 53)
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Antwort auf das Sonett von Arvers
(Nach Cécile Gay)

Und weisst du denn, ob sie nicht doch ein Ohr geliehen
All' deinen Liebesseufzern, die sie heiss umwehn? . . .
Selbst Schwüre, die auch nie der Lippen Tor entfliehen,
Ein Weib, o wisse Freund, wird immer sie verstehn.

Wenn aber ihr ein Gott ein zärtlich Herz verliehen,
So musste Kämpfe voller Qualen sie bestehn,
Das arme Herze wahrend, wappnend an sich ziehen
Vor einer Liebe, allzutief, sie zu gestehn . . .

Gestrenger Pflicht getreu, der nie sie sich enthoben,
Bestand sie wohl die stärkste aller Tugendproben:
Fühllos zu scheinen stets und achtlos deines Leids!

Nein, du nicht nur birgst ein Geheimnis, du alleine.
Glaub mir, es wandelt wohl hienieden mehr denn Eine,
Die heitre Stirne zeigt – und dennoch schleppt ihr Kreuz.
(S. 54-55)
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Nevermore

Ein Spätherbsttag. – Es raschelt rings das Laub
Hohltönig fühllos unter meinen Tritten.
Ich schleppe fröstelnd mich mit müden Schritten
Durch die Gefilde, weithin tot und taub.

Aus kahlen Sträuchern steigt's wie Grabesduft.
So ist denn kläglich schon verfalbt, vermodert,
Was gestern flammend noch emporgelodert?
– Zerfetzte Wolken geistern durch die Luft.

Und meine Seele, grau und lebensmatt,
– Von warmer Liebessonne jäh enthellt –
Erstarrt gemach im herbstenden Gemüte;

Derweilen einer Hoffnung Spätlingblüte
Mir todestraurig von dem Herzen fällt,
Wie von den Bäumen taumelt Blatt um Blatt . . .
(S. 67)
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Und friedsam gehn wir wieder Hand in Hand
Durch unsres Tempels weite Gnadenpforte.
Es zieht uns machtvoll zu dem hehren Orte,
Wo fromm ein Gott die Leidenschaften bannt.

Dorthin, wo Gierde nicht die Flügel spannt,
Zu unsrer Sehnsucht wunderstillem Horte.
Ich lausche bebend deinem Feuerworte - -
Und wandle trunken durch der Schönheit Land!

Es trägt dein Geist mich in erhabne Ferne;
Er trägt mich himmelan auf freien Wegen.
Und fester schlingt die Hand sich in die meine . . .

Da blick ich scheu in deine Augensterne.
Die aber strahlen friedlich mir entgegen
In alter Gluten keuschem Widerscheine. –
(S. 88)
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Aus: Sturm und Stern Gedichte von Julia Virginia
Verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin und Leipzig 1905


 

 

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