Liebessonette deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Ernst Schulze
(1789-1817)



Sonette

An S.

1.
Ich dacht' an dich, und sieh, ätherisch schwang
Petrarch mit seiner Laute sich hernieder
Und sagte: Nimm und singe meine Lieder
Und feire die, die ich im Leben sang!

Ach, rief ich aus, das dunkle Grab verschlang
Schon längst die Form, den Reiz der zarten Glieder,
Zum Himmel hob der sel'ge Geist sich wieder
Und läßt den Ruhm des Staubes ohne Dank.

Thor! rief der Geist; was starb ist nicht verloren,
Ein Daseyn ist des zweiten Daseyns Same,
Ein Leben schließt des Lebens Ziel nicht ein.

Einst war sie mir, jetzt ist sie dir geboren;
Nichts ward an ihr verwandelt als der Name;
Du sollst mein Lied und meine Lieb' erneun.
(S. 167)


2.
Die Schönheit, die dein ganzes Wesen füllt,
Der Reiz, der sanft um deinen Mund sich webet,
Der reine Sinn, der deinen Busen hebet,
Die Scham, die deine Wang' in Purpur hüllt,

Das Mitleid, das in Thränen dir entquillt,
Der heitre Scherz, der jeden Zug belebet,
Die Grazie, die leise dich umschwebet,
Die keusche Huld, die alles Sehnen stillt;

Sie lieb' ich nur; nicht Auge, Mund und Wangen,
Nicht deines zarten Busens linde Wellen,
Nicht der Gestalt harmonischen Verein,

Nicht möcht' ich frevelnd deinen Leib umfangen,
Durch keinen Kuß den reinen Mund entstellen,
Und durch Genuß das Götterbild entweihn.
(S. 168)


3.
Wie in dem Quell, den reines Silber füllt,
Das geist'ge Bild des Mondes sich entfaltet,
Und, von der Welle zartem Hauch umwaltet,
Mit hellerm Glanz aus seinem Bade quillt;

So wohnt in meinem Inneren dein Bild,
Durch Sehnsucht nicht zum Körper umgestaltet,
Nicht durch Genuß, nicht durch die Zeit veraltet,
Und in der Reinheit Silberflor gehüllt.

Die Liebe taucht's in ew'ge Morgenröthe,
Schmückt seine Stirn mit einem Strahlenkranze,
Und göttlich wird, was sonst nur irdisch war.

Der Sehnsucht leises Flehn wird zum Gebete,
Das Auge strahlt von keuscher Andacht Glanze,
Und reiner glüht der Busen, dein Altar.
(S. 169)


4.
Die Liebe sey wie reiner Träume Spiel,
Die um die Brust uns geist'ge Bilder weben,
Unkörperlich die Seele nur beleben,
Nicht der Begierden frevelndes Gewühl.

Nur Hoffnung sey ihr Glück und Wunsch ihr Ziel,
Im Blicke nur darf ihre Sehnsucht schweben,
Sie rede nur durch leiser Seufzer Beben
Und handle nur im Wahn und im Gefühl.

Vergangnes soll sie magisch uns entfalten,
Geheimnißvoll der Zukunft Flor enthüllen
Und um das öde Jetzt den Schleier ziehn.

Der holde Tanz der luftigen Gestalten
Soll nie des Herzens süße Sehnsucht stillen;
Stets soll die Blume keimen, nie verblühn.
(S. 170)


5.
Du Blüthenhain, der duftend sie umfangen,
Du weiches Grün, wo sie geschlummert hat,
Ihr Blumen, die der zarte Fuß zertrat,
Wie zieht zu euch mich schmeichelndes Verlangen!

Doch zögernd hemmt den Schritt geweihtes Bangen;
Denn heilig ist der Ort, dem sie genaht,
Und wandeln darf kein Sterblicher den Pfad,
Den leis' und leicht die Göttliche gegangen.

Dort, wo der West mit süßen Düften spielt,
Wo plaudernd sich die reine Welle kräuselt,
Dort will ich ruhn in sehnsuchtsvoller Lust.

Du linder Hauch, der meinen Busen kühlt
Und ach, so weich um meine Wangen säuselt,
Hobst du vielleicht auch ihre zarte Brust?
(S. 171)


6.
Wer je die Macht der keuschen Lieb' erfuhr,
Dem wird ihr Hauch im Busen ewig wohnen;
Ein Bild nur kann in einem Herzen thronen,
Die zarte Brust hegt eine Liebe nur.

Durchs ganze Leben folgt sie unsrer Spur,
Mit Dornen bald und bald mit Blüthenkronen;
Doch mag sie zürnen, mag sie lächelnd lohnen,
Ihr huldigt stets die edlere Natur.

Nie schweigt der Schmerz, den sie uns einst gegeben,
Die Freude nie, die sie uns einst gewährte;
Kurz ist die Lust, doch ewig das Gefühl.

Von Welt zu Welt mit uns emporzuschweben,
Folgt uns ihr Strahl als leuchtender Gefährte;
Ihr Seyn ist Werden, Ewigkeit ihr Ziel.
(S. 172)


7.
Die Sehnsucht klagt, von düsterm Flor umwunden;
Nie darf mein Mund dem deinen wieder nahn,
Nie deinen zarten Leib mein Arm umfahn,
Was ich geliebt, ist ewig mir entschwunden.

Doch von der Last des Irdischen entbunden,
Schwingt im Triumph hoch über'n Erdenwahn
Der Phönix sich zur goldnen Sonnenbahn,
Und schöner hat der Geist den Geist gefunden.

Jetzt wird Besitz, was sonst Verlangen war,
Die Hoffnung schwimmt auf der Verzweiflung Zähre,
Und kein Genuß darf jetzt die Sehnsucht krönen.

Vor meinem Blicke schwebst du rein und klar,
Gehüllt ins Licht der wandellosen Sphäre,
Ein zartes Bild im Quell des ew'gen Schönen.
(S. 173)


8.
Ihr Augen, die ihr Schmerz und Lust mir kündet,
Die ihr den Geist von seinen Fesseln trennet,
Jetzt frei umherzugaukeln ihm vergönnet,
Und jetzt durch ein Gefühl ihn an euch bindet,

Wer hat in euch dies Feuer angezündet,
Das wandellos mit gleichen Strahlen brennet,
Das jeder Trieb mit anderm Namen nennet,
Und dessen Kraft kein Name noch ergründet?

In euch sieht ihren Stern die Hoffnung prangen,
Die Sehnsucht sieht in euch ihr stilles Feuer,
Und Blitze drohn aus euerm Glanz dem Bangen,

Die Andacht wähnt des Himmels Strahlenauen,
Der reine Sinn den Aether ohne Schleier,
Und Schönheit nur sich selbst in euch zu schauen.
(S. 174)


9.
Still löste sie, die Göttin meiner Lieder,
Die Fessel, die das weiche Haar umschlang,
Und sieh, der Locken seidne Fülle sank
In leichtem Tanz auf Hals und Busen nieder.

Und lodernd hob die Sehnsucht ihr Gefieder
Und regte sich im Innern heiß und bang,
Schon folgt' ich kühn des Herzens süßem Drang -
Da faßte schnell mich leises Zagen wieder.

Ein Heiligthum ward Mund und Busen mir,
Und um sie her schien den geweihten Schleier
Geheimnißvoll der Locken Fluth zu weben,

Und zagend schwieg im Herzen die Begier,
Mein Geist versank in stiller Andacht Feier
Und sah Madonna lächelnd vor sich schweben.
(S. 175)


10.
Schon in der Kindheit frühen Morgenstunden
Ging nur auf dich mein Dichten und mein Streben;
Durch dich hat erst mein Geist dem niedern Leben,
Die Phantasie den Fesseln sich entwunden.

Als ich dich sah, hab' ich zuerst empfunden,
Dein Bild hat mir den ersten Traum gegeben,
Dein Zauber hat des Herzens irres Schweben
Mit ew'gem Zwang an einen Punct gebunden.

Den Schmerz hab' ich gelernt bei deinem Schmerze,
Die heitre Lust bei deinem zarten Scherze,
Du bist mein Gram, mein Glück, mein ew'ges Sehnen.

Als Grazie lehrst du mich zart empfinden,
Als Muse mich dem Erdenraum entschwinden,
Und nahst als Urbild mich dem höchsten Schönen.
(S. 176)


11.
Wenn mir der Scherz aus deinen holden Blicken,
Die Anmuth mir aus deinem Lächeln winkt,
Wenn deiner Stimme Zauberton erklingt,
Und Sinn und Wort mich beide gleich entzücken;

Wenn jetzt, die Blüthe des Gefühls zu pflücken,
Dein Geist ins Reich der zarten Träume sinkt,
Jetzt fröhlich sich durch heitre Welten schwingt,
Mit Rosenglanz die Erdenbahn zu schmücken;

Dann zag' ich stumm, von deiner Macht besiegt,
Und wähne still, ich dürfe mein dich nennen,
Mein heißes Herz an deinem Herzen kühlen.

Laß mir den Wahn, der meinen Schmerz betrügt!
Mag das Geschick uns von der Wahrheit trennen,
Süß bleibt es stets, mit ihrem Schein zu spielen.
(S. 177)
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Aus: Vermischte Gedichte von Ernst Schulze
Zweite Auflage
Leipzig F. A. Brockhaus 1841



 

 

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