Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)
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Richard
von Volkmann
(1830-1889)
Brief
Wie hier sich's lebt, des Glücks so ganz entkleidet,
Ich brauch' es dir, Geliebte, nicht zu sagen:
Die Stunden kleben und die Wünsche jagen,
Seit mich von dir der Pflichten Mißgunst scheidet.
Doch was mir die Erinn'rung fast verleidet,
Das Trennungslos am schwersten läßt ertragen,
Ist der Gedanke, daß in schön'ren Tagen
Bei dir ich sündlich meine Zeit vergeudet.
Ich konnte sicher, mahnt mich das Gewissen,
Noch hundertmal dich, Heißgeliebte, küssen,
Und tausendmal die stille Hand dir drücken.
Und hunderttausendmal, wo ich's versäumet,
Am Strahle deiner Augen mich entzücken.
Sag', träum' ich jetzt; hab' ich zuvor geträumet?
(S. 212-213)
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Liebesquell
Ja, ich gesteh's, erst bin ich nachgegangen,
So wie der Jäger schleichet nach dem Wilde,
Nur deines Leibes reizendem Gebilde,
Dem Lächeln deines Munds, dem Schein der Wangen.
Doch schwände heute noch, der dich umfangen,
Der Jugendglanz mit seiner süßen Milde,
Wie um die Blume, welkend im Gefilde,
So würd' ich trauern um verlor'nes Prangen;
Doch meine Liebe wäre nicht verloren!
Nicht äuß're Schöne hat sie groß gezogen.
Ob auch von äuß'rer Schöne sie geboren.
Die du, ein Quell, mich tränkst mit Taues Wogen,
Dein Rauschen sprach zuerst mir in den Ohren
Die Flut verkündend, die ich nun gesogen!
(S. 213)
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Aus: Richard Leanders
[Richard von Volkmann]
Sämtliche Werke Leipzig 1899
Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel
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