Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)
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Alfred
Wolfenstein
(1883-1945)
Frau
Eine Maske, die von ihr die Stimme hat
Wie sie schmal ins Telephon klingt - und sich weitet,
Ruft herein in meines Kopfes laute Stadt,
Auch mit Augen blank wie ihre ausgebreitet:
Sei nicht liebevoll, sei gierig, sei nie matt!
Sei ein Körper, der die Körper brausend reitet,
Habe Menschen zu genießen niemals satt!
(Doch der böse Schrei klang hymnenhaft besaitet)
Schweigen kam und hielt, - summte weit und leer,
Als verspannten meine Drähte sich durch Meer
Und als stände eine Wartende ganz fern -
Aber plötzlich packte ich, ein riesiger Mann,
Hin und riß sie her und bog sie um - Doch dann
Küßte meine ihre Stirn wie einen Stern.
(S. 203)
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Die Liebe und die Not I
Es ist die Zeit der Mörder und Erpresser,
Wir sehen rings, wie sie die Menschen zwingen,
Wie sie die neusten aller Schwerter schwingen
Und alten Aberglaubens schwarze Messer.
Wir hören sie das Lob der Lüge singen,
Als sei Gemeinschaft durch Gemeinschaft besser -
So steigt mit Macht die Zahl der Menschenfresser,
Die alles Friedliche hinunterschlingen.
Ich aber glaubte, gegen diese Zeit
Stehn du und ich, steht Herz an Herz gereiht,
Und jener Abgrund mochte draußen klaffen -
Ich glaubte blind an holde Einigkeit
- In dieser Zeit - an Küsse statt an Waffen -
Zu wenig teilte ich der Andern Leid.
Ich war mit dir zu reich in armer Zeit.
(S. 335)
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Die Liebe und die Not II
Wenn wir einander in den Armen lagen,
Ganz außer uns, unendlich nah,
Und hörten beide Herzen in uns schlagen,
Als seien zwei in jedem da:
Dann kams und flüsterte und ließ mir sagen,
Ich wisse doch, was rings geschah,
Und donnerte: Darf man den Kuß noch wagen,
Wenn Kampf ruft? Und du hauchtest: Ja!
Jedoch verwandelt waren meine Arme,
Ich bebte widerhallend vom Alarme,
Dir noch zur Lust, mir schon zur Pein.
Gleich dem magnetisch ferngelenkten Schiffe,
So wandte mich mit unsichtbarem Griffe
Der Ruf herum! Ich ging, allein.
Es quält, in armer Zeit zu reich zu sein.
(S. 336)
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Die Liebe und die Not III
So war es kein Verrat, dich zu verlassen,
Dich zu verraten an der Menschheit Mund,
Du fühltest es! riß sich dein Herz auch wund.
Uns fordern unsrer Zeit bewegte Gassen.
Wie liebt' ich es, zu lieben, nicht zu hassen,
Und küßte deine Brust noch einmal und
Noch einmal deinen Blick, doch unser Bund,
Ich fühlt es, ist uns nicht mehr überlassen.
Statt deiner tritt herein, in hartem Kleid,
Mit unküßbarem Antlitz: Not der Zeit.
Sie will den Mann für sich, mit seinem Blute.
Von Glück und Unglück des Gefühls befreit,
Helf er die Welt befrein und sei bereit,
Das Süße aufzuopfern für das Gute.
Erst dann kommt neu die liebevolle Zeit.
(S. 337)
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Trennungen in dieser Zeit
Was bleibt mir, wenn wir von einander scheiden?
Auch du siehst etwas bleich aus schwarzem Wagen,
Noch ein Mal zu mir her, von Qualm beschlagen -
Weiß winkt die Einsamkeit, ein bleibend Leiden.
Was lebt in mir, wenn wir Lebwohl uns sagen,
Verschiednen Tons? Die großen Räder schneiden
Bald die verschlungnen Hände durch, uns beiden,
Denn alle Uhren schlagen Abschied, schlagen -
Was denke ich? Hier endlich nicht mehr denke!
Denn alles schwebt - Minuten schön - Geschenke -
Es ist so schmerzlich gut, dich noch zu sehn.
Und du? Die fremde Welt kanns doch verstehn,
Daß auch die Männer manchmal weinen müssen,
Ja, sie erlaubt am Bahnhof, dich zu küssen.
(S. 383)
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Aus: Alfred
Wolfenstein Werke
Erster Band: Gedichte
Herausgegeben von Günter Holtz
v. Hase & Koehler Verlag Mainz 1982
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