Johanna Ambrosius
(1854-1939)
Mainacht
Der Mond geht auf! Noch einmal holt tief Atem
Der Wind und legt sich müde dann zur Ruh;
Die Blümlein alle falten fromm die Hände
Und schließen langsam ihre Augen zu.
Ein Friedenshauch durchzittert Wald und Fluren,
In Millionen Perlen glänzt der See,
Und auf des Waldes grünbemoosten Wegen
Eilt flücht'gen Fußes hin das keusche Reh.
Es tropft von Silber nun die kleinste Welle,
Darauf der Wasserrose Köpfchen ruht;
Auf steigt in nie gestilltem Sehnsuchtsdrange
Die schlanke Nix' empor aus kühler Flut;
In süßen Tönen bricht aus Schilf und Weiden
Das Liebeslied der Nachtigall sich klar,
Die Nix' hört's und tanzt dazu den Reigen
Und schlingt die schönsten Rosen sich ins Haar.
Welch Flüstern doch, welch heimlich stilles Winken!
Von Stern zu Stern ein leiser Glockenklang;
Mir ist's, als stände weit der Himmel offen,
Als klänge dorther süßer Engelssang.
Gleichmäßig nur in sanften Atemzügen
Hebt sich die Brust der gütigen Natur,
Und von des müden Tages heißer Wange
Ist fortgeküßt die letzte Thränenspur.
Und Du, mein Herz, willst immer bange weinen,
Als gäb's für Dich nur Sturm und Sonnenbrand?
Sieh her, wie wunderschön am goldnen Wagen
Der ew'gen Liebe Banner ausgespannt!
Auch Deine schmerzverbrannten Fluren werden
Vom sanften Mondenschein dereinst bestrahlt,
Drin schöner sich wie in krystallnen Seen
Des ew'gen Friedensboten Bildnis malt.
Aus: Gedichte von
Johanna Ambrosius
Herausgegeben von Karl Schrattenthal 34 Auflage
Königsberg i. Pr. Thomas & Oppermann 1897 (S. 20-21)
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Theodor Apel
(1811-1867)
Maiklänge
Die Blätterspitzen im dunkeln Hain
Zerbrechen der Knospe Gefängnis,
Bei der Frühlingssonne zitterndem Schein
Wird ihnen zu bang in der Engnis.
Die schützenden Decken, sie sprengen sie los,
Erschließen den zarten innersten Schoß
Den Stimmen des Lenzes, der Liebe!
Die Schwalben kommen vom südlichen Meer,
Die frohen, willkommenen Gäste,
Der Storch stolziert auf den Dächern einher
Und sucht sich ein Plätzchen zum Neste,
Die Finken locken und schlagen vor Lust,
Als sollte zerspringen die schmetternde Brust
Bei den Stimmen des Lenzes, der Liebe!
Das Leben drängt sich hervor und quillt
In tausendfarbigen Blüten -
Was willst Du die Sehnsucht, die nimmer sich stillt,
Im Busen verschlossen noch hüten?
Hervor, was im Herzen Dir schlummert so bang,
Dann wird auch die Klage zum Jubelgesang
In den Stimmen des Lenzes, der Liebe!
Aus: Deutsche Lyriker
seit 1850
Mit einer litterar-historischen Einleitung
und biographisch-kritischen Notizen
Herausgegeben von Dr. Emil Kneschke
Siebente Auflage Leipzig Verlag von Th. Knaur 1887 (S. 8)
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Theodor Apel
(1811-1867)
Im Frühling
Wenn im holden grünen Mai
Knospen sich erschließen,
Wollen alle Blüten frei
Süßen Duft ergießen.
Naht ein Nachtigallenheer,
Frühlingslust zu singen,
Darf doch nicht der Winter mehr
Kalte Schauer bringen.
Rein will sich der Sonne Macht
Überall bewähren,
Will des Frühlings heil'ge Pracht
Ungestört verklären.
Liebchen, deiner Augen Strahl
Hat mein Herz gewonnen,
Und es blüht wie Berg und Thal
Wenn der Mai gekommen.
Möchte dir bei Tag und Nacht
Tausend Grüße sagen,
Wie im Lenze liebentfacht
Nachtigallen klagen.
Wie die Rose süßen Duft
Auf der Flur verbreitet,
Wenn die linde Maienluft
Durch die Blüten gleitet.
O so laß mich an dem Licht
Deiner Augen sonnen,
Weicht doch auch der Frühling nicht,
Der einmal begonnen!
Und du gleichst der Frühlingspracht,
Wie mein Herz der Blüte,
Die, von warmer Sommernacht
Aufgeweckt, erglühte.
Aus: Heidenröslein
Lieder von Liebeslust und Frühlingsfreud'
Gesammelt von Dr. Karl Zettel
Zweite vermehrte Auflage
Stuttgart 1887 (S. 91)
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Wilhelm Arent
(1864-?)
Maientraum
Wie lockt die milde Maiennacht
Mit ihrer duftigstillen Pracht!
Leis' treibe ich in schwankem Kahn
Auf monderhellter Wasserbahn.
Die Wolken ziehn, die Winde rauschen,
Ich halt' den Athem an, zu lauschen.
Im Busch flötet die Nachtigall -
Süß träumt der Liebe Geist im All.
Aus: Wilhelm Arent
Aus tiefster Seele
Mit Geleitswort von Hermann Conradi
Berlin 1885
Verlag von Georg Rauck (S. 44)
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Wilhelm Arent
(1864-?)
Gluth
So schwül, so warm der Mainacht Gluth!
O hab' Erbarmen, junges Blut!
Löse dein Mieder diese Nacht.
Enthüll' der Glieder schneeige Pracht!
Laß mich der Lüste Kampf besiegeln
Auf deiner Brüste Wonnehügeln!
Aus: Wilhelm Arent Aus tiefster Seele
Mit Geleitswort von Hermann Conradi
Berlin 1885
Verlag von Georg Rauck (S. 45)
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Hans Bethge
(1876-1946)
Maiabend
Wirf nun die Cigarette fort. Wir wollen
Auf den Balkon hinausgehn und den Mond,
Den bleichen Freund der Liebenden, betrachten,
Wie er sich langsam aus dem Pinienhain
Emporhebt und der Nacht den Silberglanz
Der Sehnsucht spendet, die den schönsten Traum
Uns füllen soll bis zu des Morgens Schein.
Sieh dort im Garten die Orangen glühn
Und die Granaten in dem finstern Laub.
Aus jenen weissen Blütenbeeten steigt
Dies Frühlingsdüften, das uns glücklich macht,
Und die Cypressen rauschen heut ein Lied,
So wundervoll wie nur in seltener Nacht
Und nur im heiligen Frühling es ersteht.
Wirf nun die Cigarette fort, Lolita . . .
Aus: Hans Bethge Die
Feste der Jugend
Ein Gedichtbuch mit Zeichnungen
von J. M. Olbrich und einem Bildnis
Verlegt bei Schuster und Loeffler in Berlin 1901 (S. 77)
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Hans Bethge
(1876-1946)
Mondenschön
Dein träumerisch Wesen
Harft wie ein Lied in mir,
Das Schreiten deiner Lenden
Macht mich trunken wie Wein.
Bläulicher Mondglanz deiner Augen
Schimmert durch all mein Glück,
Magisch, magisch, - von dem zärtlichen Teich
Deines Antlitzes her.
Und deines Munds Gefunkel
Und deines Haares Strom …
Süßer Springbrunn der Mainacht,
Netzest mit Mond mich und Traum.
Aus: Hans Bethge
Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 56)
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Hans Bethge
(1876-1946)
Einsam im Mai
Immer wenn Frühling blüht,
Quält mich Trauer um dich;
Dämmernd allein zu gehn,
Ist im Lenz mein Geschick.
Goldregen, süß betaut,
Mahnt mich an rieselnd Haar,
Das ich in Händen hielt,
Schwer von Küssen betaut.
Rotdorn mich rosig anlacht,
Wie deine Lippen getan,
Von den Kastanien schwimmt
Duft deiner Schultern her.
Gleich dem Akazienschnee
Glänzte dein Nacken auf,
War deine Hand nicht zart
Wie die Winde am Zaun?
Seh ich am Schleierbusch
Junge Blätter sich lösen
Üppig aus goldnem Keim, -
Trunken denk ich daran,
Wie dein geliebtes Haar
Üppig flutend und braun
Zauberisch löste sich auf
In deiner weißen Hand.
Aus: Hans Bethge
Verwehende Lieder
1923 Gyldendalscher Verlag Berlin (S. 81-82)
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Otto
Julius Bierbaum
(1865-1910)
Fröhliche
Zuversicht
Nun ist die Blütenzeit vorbei,
Die grüne Wiese gilbt sich schon.
Vergangen ist der Mai.
Im Busch ein kleiner Vogel singt
Ein lautes Lied vom Glück, vom Glück,
Das nun der Sommer bringt:
Die Blütenfrucht, die junge Brut,
Das stille Reifen überall,
Des Segens schwere Flut.
Vom Nachbarbusch antwortet fein
Das Weibchen seinem Glücksgesang;
Nun singen sie zu Zwein.
Zu Zwein zu Zwein! Das war im Mai,
Da mir das Glück zu Zwein bescheert.
Schnell ging das Glück vorbei.
Es schwand im Blütenüberschwang,
Es hallte leise, leise aus,
Wie ferner Mädchensang.
In meinem Herzen lind und warm
Verglimmt's wie Abendsonnenschein;
Mein Herz ist ohne Harm.
Mit Lachen flog mir fort das Glück,
Ich aber weiß: im nächsten Mai
Kehrt's lachend mir zurück.
Aus: Otto Julius
Bierbaum – Irrgarten der Liebe.
Verliebte launenhafte und moralische Lieder
Gedichte und Sprüche aus den Jahren 1885 bis 1900
Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler
Berlin und Leipzig 1901 (S. 58-59)
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Rudolf G. Binding
(1867-1938)
Liebeskalender
Mai
Über dir im Blau -
horch: die Lerche lacht.
Leib zu Licht gemacht,
Licht und Leib Gesang.
Taumel faßt dich an
schaust du hell empor.
Trunken Aug und Ohr -
trunken tief vom Mai.
Tut er dir Gewalt?
Schwankst in meinen Arm
daß sich dein erbarm
über dir der Raum.
Horch! Die Lerche lacht:
Alles Hell ist dein.
Doch das Hellste mein:
Deiner Jugend Tag.
Aus: Rudolf G.
Binding Die Gedichte Gesamtausgabe
Rütten & Loening Verlag Potsdam 1937 (S. 265)
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Emanuel von Bodman
(1874-1946)
Maiabend
Ein Heer von Blütenkelchen hat
Sich süß ergossen in die Nacht,
Und hell und heller wird die Stadt,
Und jede Lampe steht entfacht.
Das kleinste Häuschen hat sein Licht,
Ein ganzes Reich von Möglichkeit.
Da träumt in manchem ein Gesicht
Zur treuen Liebe todbereit.
Ich möchte nicht in mir zerstückt
Von einer blind zur andern gehn,
Beglückend will ich und beglückt
In Einem Herzen alle sehn.
Aus: Emanuel von
Bodman
Die Gesamten Werke Band 2 und Band 3
Im Auftrage von Clara von Bodman
Herausgegeben von Karl Preisendanz
Philipp Reclam jun. Stuttgart 1960 (Band 2 S. 64)
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Emanuel von Bodman
(1874-1946)
Mainacht
Was ist mir nur geschehen?
Der Garten schwimmt in Licht.
Ich fühle vor mir stehen
Ein trunkenes Gesicht.
Der süße blaue Flieder
Macht alle Stuben weit.
Die Vögel sangen wieder
Wie in der Jugendzeit.
Ich sitze mondumflossen
Und blicke neu erwacht,
Dein Bild in mir umschlossen,
Mein Kleinod in der Nacht.
Aus: Emanuel von
Bodman
Die Gesamten Werke Band 2 und Band 3
Im Auftrage von Clara von Bodman
Herausgegeben von Karl Preisendanz
Philipp Reclam jun. Stuttgart 1960 (Band 2 S. 281)
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Peter von Bohlen
(1796-1840)
Die Göttinn des Maies
Aus der Ruhe, Nachtigallen
Warum säumet ihr so lang?
Lasset frohe Hymnen schallen,
Stimmet an den Morgensang!
Auf, in dem funkelnden Morgenthau'
Badet die Brust auf der blumigen Au!
"Ach der Lenz ist nicht erschienen,
Keine Rose blüht im Thal!
Kaum beginnt die Flur zu grünen
Und der Wald ist öd' und kahl;
Drum sind wir traurig und singen noch nicht,
Weil uns die liebende Rose gebricht."
Fühlt ihr nicht des Lenzes Fächeln?
Seht ihr nicht den Hain belebt
Wenn Rosett' mit holdem Lächeln
Ueber eure Fluren schwebt?
Rosen entsprießen, die Wiese wird neu,
Denn wo sie wandelt, da blühet der Mai.
Aus: Vermischte Gedichte und Übersetzungen
von P. von Bohlen
Königsberg Im Verlage der Gebrüder Bornträger
1826 (S. 56-57)
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Ferdinande von Brackel
(1835-1905)
O geh' nicht in den frischen Mai!
O geh' nicht in den frischen Mai
Nach einer bitt'ren Trennungsstund'!
O geh' nicht in den frischen Mai,
Wenn du ein Weh' im Herzensgrund!
Denn jeder Vogel, der dir singt,
Denn jedes Reis, das sproßt und blüht,
Ein jeder Hauch, der zu dir dringt,
Weckt dir ein Echo im Gemüth.
Es ist ein wundersüßes Weh'n,
Das leis' von Blüth' zu Blüthe schleicht;
Es ist ein Kosen und Versteh'n,
Wie wenn sich Lieb' zu Liebe neigt.
Ein Reichthum ist es und ein Freu'n,
Als sei nun nichts mehr arm und kalt;
Ein jugendliches Sicherneu'n,
Als bleibe nichts mehr trüb' und alt:
Als ob nun Himmel, Flur und Au'n
Ein sonn'ger Rausch von Glück umfing'!
Doch hüte dich, es anzuschau'n,
Wenn dir ein Glück grad' unterging.
Kehr' lieber dann in's Stüblein ein,
Und beug' dich über Buch und Schrift;
Es schläft das Weh' wohl leise ein,
Wenn thätig sich der Geist vertieft.
Geh' lieber dann zur Kirche still,
Und kniee vor dem heil'gen Schrein:
Da denkst du wohl: "Wie Gott es will!"
Und Friede ziehet bei dir ein.
Doch draußen gibt es dich nicht frei:
Die blühn'de Lust und dann dein Schmerz.
Geh' so nicht in den frischen Mai,
Sonst bricht vor Sehnsucht dir das Herz.
Aus: Gedichte von
Ferdinande Freiin von Brackel
Zweite Auflage Köln 1880 (S. 31-32)
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Max Bruns
(1876-1945)
Du!
Ich habe die Wärme des Maientags
mir tief ins Herz getrunken:
Der Fliederbusch im weißen Kleid
hat mich mit streichelnden Blüten beschneit,
meine Blicke wurden so hell und weit -
bin wohlig hingesunken.
Die Veilchen drängen sich an mein Ohr,
wollen sich mir verschwistern,
Ich schlummre nicht und bin nicht wach:
Mein Herz träumt in den Maientag
und hört, wohin es lauschen mag,
deine warme Stimme flüstern . . .
Aus: Die Gedichte (1893-1908) von Max Bruns
Verlegt bei J. C. Bruns in Minden (Westfalen) 1908 (S. 122)
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Peter Cornelius
(1824-1874)
Golden Licht, lieb Gesicht
Golden Licht! Lieb Gesicht,
Süß gereimtes Maigedicht!
Blühend Herz! Maigemüt,
Das in Glanz und Duft erblüht!
Freundlich Kind, lieb Gesicht!
Wer schaut dich und liebt dich nicht?
Maigedicht, Gottes Wort,
Ewig blüh' und töne fort!
Aus: Peter Cornelius Literarische Werke
Erste Gesamtausgabe IV. Band: Gedichte
gesammelt und herausgegeben von Adolf Stern
Leipzig 1905 (S. 33)
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Peter Cornelius
(1824-1874)
In des Mais Zauberkreis
In des Mais
Zauberkreis
Höchster Zauber,
Süßester Preis!
Himmelsgruß!
Gotteskuß!
Stimme der Nacht!
Minnewacht!
Nachtigall, du Lenzgebet!
Wie mir dein Ton zu Herzen geht!
Aus: Peter Cornelius
Literarische Werke
Erste Gesamtausgabe IV. Band: Gedichte
gesammelt und herausgegeben von Adolf Stern
Leipzig 1905 (S. 134)
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Carl Dallago
(1869-1949)
Im Mai
Wie hängt der Mai im Lande licht
und schwingt im Liede jeden Zweig,
und bunte Blumenkränze flicht
er still ins Grün:
es will ja Alles neu erblühn -
so blüh auch du und sei nicht feig!
Mailust rollt übern Rasen hin
und haucht mir Düfte ins Gesicht.
Es bäumt sich hoch mein zager Sinn
zum Schwüre dir:
mag man auch Alles nehmen mir -
die Liebe nicht! - die Liebe nicht -
Aus: Strömungen Neue Gedichte
von Carl Dallago
Tiroler Verlag Innsbruck 1902 (S. 34)
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Carl Dallago
(1869-1949)
Maiandacht
Maimorgen hing im Lande licht,
von jungen Zweigen quoll das Laub.
Wir saßen still: dein süß Gesicht
hob weiß sich ab vom dunklen Laub.
Der zage Zug um deinen Mund
machte dich wunderrührend mild -
bald kniete meine Seele wund
vor einem Maimadonnenbild.
Und deine Huld troff schwer auf mich
von deinem heiligen Augenpaar,
mein Herz empfand so feierlich,
als bötst du mir den Heiland dar.
Mir war so lind - so süß, als blieb
mein zitternd Herz in deiner Hand,
und doch wars Lieb - nur tiefe Lieb,
die Alles, Alles überwand.
Aus: Strömungen Neue Gedichte
von Carl Dallago
Tiroler Verlag Innsbruck 1902 (S. 35)
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Carl Dallago
(1869-1949)
Maiabend
Es war ein Maienabend grau,
die Wolken hingen schwer ins Land.
Im Laube glänzte Tropfentau
wir saßen stille Hand in Hand.
Aus meinen Augen quoll ein Lied,
ein müdes Lied, so heiß und schwer,
das Zittern deines Munds verriet,
daß du verstandest mein Begehr.
Indeß der Tropfen sacht Getick
aufs Blattwerk fiel in heiliger Stund,
hing nur für einen Augenblick
dein süßer Mund an meinem Mund.
Aus: Strömungen Neue Gedichte
von Carl Dallago
Tiroler Verlag Innsbruck 1902 (S. 36)
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Carl Dallago
(1869-1949)
Maienminne
Maisonne zittert durch den Hag.
Ob uns auch schmäht der Feinde Grimm -
O zage nicht! Schon naht der Tag,
Da ich dich in die Arme nimm.
Ein Blumenbeet - lachst du mir zu:
Daß ich dein Aug' in meines zwäng! -
Mein Glück, mein Heim, mein Garten, Du
in deiner Flechten Goldgehäng!
Du bist der Mai, der in mir schafft,
Und ich der Wald: - In Dunkel schwimmt
Mein Sein bis deine Sonnenkraft
Es fest in ihre Arme nimmt.
Aus: Spiegelungen Ein lyrisches
Album
von Karl Dallago
Leipzig Hermann Dege 1903 (S. 24)
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Adolf Frey
(1855-1920)
Lenz
Es naht uns der Maie, das freudige Kind,
Er führt an der schimmernden Hand
In Wonnen stolzierend ein lieblich Gesind
Übers grünende, sonnige Land.
Veilchen und Primeln und grüner Klee,
Lilien, weißer als wirbelnder Schnee,
Sind seine Gesellen.
Es sprudeln die Quellen immerzu
Und plaudern am blumigen Hang,
Frau Freude schlüpft in die Wanderschuh
Und wandert die Welt entlang.
Sehnlich jubelt die Nachtigall
In den lachenden, schmetternden Schall
Schwirrender Finken.
Strahlende Sonne, goldener Tag,
In Wäldern schattige Ruh!
Wir wollen wandern zum blühenden Hag,
Wir wandern, ich und du!
Sag mir, was sich im Herzen regt,
Sag mir, was mir die Sinne bewegt -
Bist du es, Liebe?
Aus: Gedichte von
Adolf Frey
Zweite vermehrte Auflage
Leipzig H. Haessel Verlag 1908 (S. 44)
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Ludwig Fulda
(1862-1939)
Glück
Nun sag' mir, du goldenes Märchen,
Du meines Lebens Mai:
Ist wohl ein glücklicher Pärchen
Auf Erden als wir zwei?
Wir alle beide vergaßen,
Was anderen wichtig blieb,
Und haben nur über die Maßen,
Ganz über die Maßen uns lieb.
Du bist mir Himmel und Heiland,
Bist meine Königin
Auf einem verzauberten Eiland,
Von dem ich der König bin.
Aus: Neue Gedichte von Ludwig Fulda
Stuttgart 1900 J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger (S. 8)
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