Das Liebes-Poetische Manuskript N° 1

Liebesgedichte von der Schönheit der Geliebten


 



Tristan

Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,
Ist dem Tode schon anheimgegeben,
Wird für keinen Dienst auf Erden taugen,
Und doch wird er vor dem Tode beben,
Wer die Schönheit angeschaut mit Augen!

Ewig währt für ihn der Schmerz der Liebe,
Denn ein Tor nur kann auf Erden hoffen,
Zu genügen einem solchen Triebe:
Wen der Pfeil des Schönen je getroffen,
Ewig währt für ihn der Schmerz der Liebe!

Ach, er möchte wie ein Quell versiechen,
Jedem Hauch der Luft ein Gift entsaugen,
Und den Tod aus jeder Blume riechen:
Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,
Ach, er möchte wie ein Quell versiechen!

August von Platen (1796-1835)


 

Bild: Tiziano Vecellio (1490-1576)
Madonna mit Kind und Heiligen (Detail)

Gedicht aus: August von Platen Werke in zwei Bänden Band I Lyrik
Hrsg. von Kurt Wölfel und Jürgen Link; Band I:
Nach der Ausgabe letzter Hand
und der historisch-kritischen Ausgabe. Winkler Verlag München 1982

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