Das Liebes-Poetische Manuskript N° 1

Liebesgedichte von der Schönheit der Geliebten


 




Wahre Schönheit

Wenn du in den Fürstensälen,
Mädchen, bei der Kerzen Schein,
Strahlst im Glanze der Juwelen,
Glaubst du schön zu sein?

Wie von Welle hin zu Welle
Hurt'gen Flugs die Schwalbe streicht,
Auf des Marmorbodens Helle
Schwebst du flügelleicht.

Aus des braunen Lockenhaares
Fülle, die dein Haupt umflicht,
Leuchtet deiner Augen klares
Blaues Himmelslicht.

Aber eisig ist ihr Schimmer,
Wie der Diamanten Pracht,
Wie das frostige Geflimmer
Der Decembernacht.

Ob mit Allem, was auf Erden
Prächtig ist, du dich umgiebst,
Mädchen, schön erst wirst du werden,
Glaub' mir, wenn du liebst!


Adolf Friedrich von Schack (1815-1894)

 


 

Bild: Reni Guido (1575-1642)
Madonna der Verkündigung (Detail)

Gedicht aus:
Gesammelte Werke des Grafen Adolf Friedrich von Schack.
In sechs Bänden. Zweite verbesserte und vermehrte Auflage.
Zweiter Band: Weihgesänge - Gedichte - Lotosblätter
Verlag der J.G.Cotta'schen Buchhandlung Stuttgart 1884

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