Das Liebes-Poetische Manuskript N° 1

Liebesgedichte von der Schönheit der Geliebten


 



Sonett 18

Soll ich Dich einem Sommertag vergleichen?
Nein, Du bist lieblicher und frischer weit -
Durch Maienblüthen rauhe Winde streichen
Und kurz nur währt des Sommers Herrlichkeit.

Zu feurig oft läßt er sein Auge glühen,
Oft auch verhüllt sich seine goldne Spur,
Und seiner Schönheit Fülle muß verblühen
Im nimmerruh'nden Wechsel der Natur.

Nie aber soll Dein ewiger Sommer schwinden,
Die Zeit wird Deiner Schönheit nicht verderblich,
Nie soll des neidischen Todes Blick Dich finden,
Denn fort lebst Du in meinem Lied unsterblich.

So lange Menschen athmen, Augen sehn,
Wirst Du, wie mein Gesang, nicht untergehn.

William Shakespeare (1564-1616)

(
Übersetzung Friedrich Bodenstedt )


 


 

Bild: Raffaelo Sanzio (1483-1520)
Madonna mit dem blauen Diadem (1510-11)
(Detail)

Gedicht aus: William Shakespeare's Sonette
in Deutscher Nachbildung von Friedrich Bodenstedt
Zweite, vielfach verbesserte Auflage der Volksausgabe
Berlin 1866

 

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