Das Liebes-Poetische Manuskript N° 19


Orientalische Schönheiten
und Andalusische Liebespoesie
 



Sir Frank Dicksee (1853-1928)
Leila
(Ausschnitt)





 




Die nächtliche Zusammenkunft

Mein Mädchen schlich behenden Schritts,
Vor Spähern bang, zu mir,
Mit ihrer Schönheit nur geschmückt
Statt mit Juwelenzier.

Als ich zum fröhlichen Begruß
Ihr einen Becher bot,
Da ward der Wein vor Eifersucht
Auf ihren Lippen roth.

Wir zechten von dem Naß, bis sie
Bewältigt von dem Trank,
Geschloss'nen Aug's, in meine Macht
Gegeben, niedersank.

Zum Schlummerkissen bot ich drauf
Ihr meine Wange dar,
Sie aber sprach: der beste Pfühl
Ist doch dein Arm fürwahr!

Wohl dürstet' ich, indeß in Schlaf
Sie lag, nach ihrem Kuß,
Doch wagt' ich nicht vor Scheu, den Durst
Zu stillen im Genuß.

Da dieses Mädchen, dieser Mond,
Bei mir verweilte, schwand
Der Vollmond draußen; Finsterniß
Umschlang den Himmelsrand;

Und staunend rief die Nacht: wer ist's,
Der meinen Mond mir stiehlt?
Sie wußte nicht, daß ich den Mond
In meinen Armen hielt.


Ibn Challikan
Nachdichtung: Adolf Friedrich von Schack


 

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Literatur: Adolf Friedrich von Schack
Poesie und Kunst der Araber in Spanien und Sizilien
Verlag von Wilhelm Hertz Berlin 1865
(Reprint: Georg Olms Verlag 1979)