William Clarke Wontner (1857-1930)
Safie, eine der drei Frauen aus Bagdad
(Ausschnitt)
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Versprechen mußte sie mir jüngst
beim Sonnenuntergange,
Mich zu besuchen, wenn der Mond
glanzvoll am Himmel prange;
Sanft kam sie drum herangeschwebt
wie Licht der Morgenröthe
Und leichten Schritts, als ob der Ost
hin über Wellen wehte.
So wie der Rose Nähe sich
verräth durch süße Düfte,
Erfüllte Wohlgeruch ringsum
bei ihrem Nah'n die Lüfte;
Am Boden küßt' ich hinter ihr
von ihrem Fuß die Spuren -
So folgt der Blick des Leser's fromm
den Lettern in den Suren;
Bei ihr, die, strahlend wie der Mond,
mein Stübchen leuchten machte,
Ruht' ich, indessen Alles schlief,
nur unsre Liebe wachte.
Das schlanke Weib umarmend,
ward' ich müd' nicht, sie zu küssen,
Bis nun das Morgenroth uns mahnt,
daß wir uns trennen müssen.
O Nacht Al-Kadir*, heilige,
von Allah selbst geweihte,
Steig nieder, daß ich länger noch
darf ruh'n an ihrer Seite!
* Die Nacht, in welcher der unerschaffene
Koran auf Gottes Befehl
aus dem siebenten Himmel in den Himmel
des Mondes gebracht wurde, von wo
der Engel Gabriel ihn dem Propheten mitteilte.
Die Muhammedaner glauben, daß diese
geheimnisvolle Nacht sich in jedem Jahre erneuert.
Ungenannt
Nachdichtung: Adolf Friedrich von Schack
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