Das Liebes-Poetische Manuskript N° 3

Kuß-Gedichte

Gustav Klimt Der Kuss



Theodor Fontane (1819-1898)

Du siehst, es bleibt mit mir beim alten
(Statt eines Briefes. 1846?)

Du siehst, es bleibt mit mir beim alten,
Trotz mancher bittern Neckerei;
Versprechen - und Versprochnes halten -
Ist mir noch immer zweierlei.

Und daß dir alle Zweifel schwinden
An meinem Unverändertsein,
Stell' ich mich mit Entschuld'gungsgründen
Ob meines Schweigens bei dir ein.

Ich habe sechsmal Platz genommen,
Sechsmal die Feder zugestutzt,
Doch was mir in den Sinn gekommen,
War immer dumm und abgenutzt.

Von deutsch-katholischen Vereinen,
Draus mancher Stoff in Masse fischt,
Sag selber - wär' es nicht zum Weinen,
Hätt' ich dir davon aufgetischt!

Schon höhnt' ich mich und all solch Wissen,
Als mir ein Kraftgedanke kam
Und ich die »Sehnsucht, dich zu küssen«,
Zum Stoffe meines Briefes nahm.

Kaum aber hatt' ich angefangen,
Packt' ich schon lächelnd wieder ein; -
Ein Kuß - dies mündlichste Verlangen -
Muß mündlich vorgetragen sein!


 

Gedicht aus: Theodor Fontane, Sämtliche Romane,
Erzählungen, Gedichte; Nachgelassenes; Sechster Band;
Herausgegeben von Walter Keitel und Helmuth Nürnberger;
Carl Hanser Verlag, München, 1978

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