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Robert Prutz
(1816-1872)
Liebesuhr
Wann ist zum Küssen die rechte Stunde?
Wenn der Morgen, von purpurnen Wolken bedeckt,
Sich hebt aus dämmerndem Sunde,
Dann rasch die Geliebte mit Küssen geweckt,
Dann koste, wie süß solch Morgenbrot schmeckt
Von dem rosig knospenden Munde!
Wann ist zum Küssen die rechte Stunde?
Wenn der Mittag auf dampfenden Feldern ruht,
Die Sonne brennt in der Runde,
Dann rücke du näher, dann liebt es sich gut,
Dann kühle mit Küssen das schäumende Blut
In der heißen, der lässigen Stunde.
Wann ist zum Küssen die rechte Stunde?
Wenn der Abend von blühenden Zweigen thaut,
Die Nachtigall flötet im Grunde,
Dann hältst du im Arme die schüchterne Braut,
Dann kost es, dann küßt sich's noch einmal so traut
In wonniger Dämmerstunde.
Wann ist zum Küssen die rechte Stunde?
Wenn die Sterne erglänzen in nächtlicher Pracht,
Mit dem Mond, dem getreuen, im Bunde;
O liebliches Dunkel, o selige Nacht!
Nichts rührt sich, nichts regt sich, die Liebe nur wacht,
Die Sterne machen die Runde.
Dann ist zum Küssen die rechte Stunde,
Wenn das Herz dich treibt, wenn die Sehnsucht glüht
Auf dem lieblich schwellenden Munde;
So liebe und küsse mit frohem Gemüth,
So lange das Leben, das goldne, dir blüht,
Es enteilet die flüchtige Stunde!
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