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Robert Prutz
(1816-1872)
Ungeküsste Küsse
Ach, ihr ungeküßten Küsse,
Meiner Sehnsucht Traumgedanken,
Die gleich halb erschlossnen Knospen,
Gleich dem Wehn der Morgenröthe,
Das dem jungen Tag vorangeht,
Ihr die Lippe mir umfächelt;
Saget doch, wann kommt die Stunde,
Die verschwiegne, mitternächt'ge,
Da der Glutkelch eurer Wonnen,
Flammensprühend, lebenspendend,
Sich erschließt dem durst'gen Munde?
Immer jetzt, wohin ich schaue
Und wohin mein Fuß sich wendet,
In des Marktes rohem Lärmen,
In des Stübchens trauter Stille,
Immer seh' und überall ich,
Jungen Rosen gleich im Dickicht,
Zwei geliebte Lippen glühen,
Sehe, Sternen gleich am Himmel,
Leuchten zween holde Augen.
Fühl' den Athem meiner Süßen,
Wie er, keusch gleich Kinderathem
Und so frisch wie Thau des Morgens,
Der auf Rosenblättern glitzert,
Flammensprühend, lebenspendend,
Durch die Adern mir, die trunknen,
Durch die Seele sich ergießt!
Liebe, böse, arme Küsse,
Die ihr schwebt gleich irren Schatten,
Denen strenger Götter Ausspruch
Eine Seele hat verweigert,
Daß sie flattern, daß sie fliegen,
Halben Flugs, mit schwerem Fittich,
Und dann still, mit leisem Girren,
In die leere Luft zerrinnen –
Laßt mich los, ihr holden Schatten!
Gebt mich frei, ihr süßen Träume!
Schwere Tage, bange Nächte
Bringt ihr flücht'gen mir getragen;
Ach ihr stört der Seele Frieden,
Meine Ruhe mordet ihr!
Sitz' ich einsam, still verschlossen,
Zwischen Büchern und Scripturen,
Meines Herzens Brand zu löschen
In der Weisheit kaltem Bade
Und mit Bücherstaub, dem garst'gen,
Meiner Seele Glut zu dämpfen:
In den Büchern, den Scripturen,
Horch, was fängt sich an zu rühren?
Durch die alten Pergamente,
Die vergilbten, moderduft'gen,
Geht ein Wehen, geht ein Flüstern,
Gleich dem Wehen warmer Lippen,
Wenn sie leis zum Kuß sich neigen;
Ach und aus verblichnen Lettern,
Sinnbethörend, herzverstrickend,
Lacht der Liebsten Bild mich an!
Nein, das mag ein Andrer tragen!
Auf, hinaus! und rasch ins Freie,
Wo Natur, die ewig milde,
Leis mit mütterlichen Händen
Balsam gießt in meine Wunde!
Sei gegrüßt, du blauer Himmel!
Seid gegrüßt, ihr grünen Bäume!
Ja, hier wird mein Herz genesen –
Nein, auch hier nicht! Mitverschworen
Ist Natur, die ewig milde!
Seh' ich wo zwei Blumen schwanken,
Festgerankt an einem Stengel,
In der Abendluft sich wiegend,
Muß ich denken an die Lippen,
Die im Kusse sich begegnen;
Vögel, die im Nest sich schnäbeln,
Schmetterlinge, die sich haschen,
Kleine Käfer, goldig schimmernd,
Die sich suchen, die sich finden
In der Erde dunkeln Gängen –
Alles, alles weckt aufs neue
Meiner Sehnsucht Traumgedanken!
Küsse haucht der Kelch der Rose,
Küsse schmelzen in dem Liede
Schwermuthvoller Nachtigallen,
In den Zweigen rauschen Küsse,
Küsse wehen in den Lüften,
Ja, die Sonne selbst, die ew'ge,
Wie sie prächtig, purpurstrahlend,
In des Meeres Schoß hinabsteigt,
Ist ein Gleichniß meiner Schmerzen,
Meines Glückes, meiner Qual!
Und sie ist hinab gestiegen;
Holde Nacht, o sei willkommen!
Mit den mohnbeträuften Fingern
Kühle du die heißen Schläfen,
Seliges Vergessen flöße
In die Seele mir, die wilde,
Daß ich ruhe bis zum Morgen,
Ohne Sehnsucht, träumelos!
Aber wie ich harrend liege,
Auf der Diele, horch, was knistert,
An der Thüre, horch, was raschelt?
Aufrecht sitz' ich in dem Bette,
Und auf zierlich leiser Zehe
Näher jetzt und immer näher
Kommt's gegangen, kommt's geschlichen,
An des Lagers Falten streift es,
Und mit duftig weicher Locke,
Ueber mich hinab gebogen,
Weht's mich an wie Liebesathem;
Hell durch nächt'ge Finsternisse
Weiße Schultern seh' ich leuchten,
Seh' geliebte Augen funkeln,
Mild und klar, in süßen Gluten,
Und in flammenheißem Kusse
Senkt auf Lippe Lippe sich ….
Laßt mich los, ihr holden Schatten!
Gebt mich frei, ihr süßen Träume!
Schwere Tage, bange Nächte
Bringt ihr flücht'gen mir getragen;
Ach ihr stört der Seele Frieden,
Meine Ruhe mordet ihr!
Aber nein, ich lieb' euch dennoch!
Bleibet bei mir, schmiegt euch dichter
An die Seele mir, die wunde,
Meiner Sehnsucht Traumgedanken,
Arme, ungeküßte Küsse!
Durch des Lebens Dornenwüste,
In des Marktes rohem Lärmen,
In des Stübchens trauter Stille,
Bleibt mein tröstendes Geleite!
Schmerzen schafft ihr mir und Qualen,
Doch ich liebe diese Schmerzen
Und ich segne diese Qualen.
Immer ist's ein Glück, zu lieben;
Kann ich nicht der Liebe Wonnen,
Will ich doch ihr Wehe kosten.
Harre nur, bald naht die Stunde!
Einmal öffnet sich die Knospe,
Einmal singt auch dir das Brautlied
Nachtigall aus duft'gen Zweigen!
Ja, schon dämmern leise Schatten,
Und wie Götter ungesehen
In der Menschen Kreise treten,
Also naht sich, still und heimlich
Naht die Stunde sich, die süße,
Der mein Herz entgegenschmachtet!
Treue Sterne führen sicher
An die Brust mich der Geliebten –
Ha, schon fühl' ich ihre Nähe,
Weiche Hände, schlanke Arme
Fühl' ich zärtlich mich umranken,
Heißer duftet, wonnevoller
Mir der Liebsten Mund entgegen,
Und von all den Millionen,
Millionmal Millionen
Langer, heißer, sel'ger Küsse,
Die gleich halberschlossnen Knospen
Mir die durst'ge Lippe fächeln,
Sinnbethörend, herzverstrickend,
Bleibt nicht Einer ungeküßt!
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