Eine zigeunerische Dichterin
Biographie von Heinrich von Wlislocki (1856-1907)
Ein wildes, ein gar wildes Herz hörte am 17. Mai 1891 für immer auf zu
schlagen. Endlich hatte es Ruhe gefunden dies wilde Herz jener Zigeunerin
und Dichterin, deren irdische Überreste ihre Wanderzigeunergefährten ohne
Sang und Klang, still und heimlich auf dem Grenzgebiete der slavonischen
Ortschaft Biskupec der Erde übergaben. Welche Flut schmerzlicher
Erinnerungen weckt der Anblick dieser verlassenen Stätte, wo Gina Ranjicic,
die zigeunerische Dichterin, ihren "ewigen Traum träumt"! Ein verfehltes,
nicht ohne eigene Schuld, aber doch zumeist durch die Mißgunst äusserer
Verhältnisse verfehltes Leben, das in Not und Elend erlosch, wie das Leben
jeder Zigeunerin und so mancher anderer Dichterin, während es in seinen
Liedern der Nachwelt ein unzerstörbares Denkmal seines Genius hinterliess.
Wäre Gina Ranjicic das Kind eines anderen Volkes gewesen, hätte sie unter
anderen Verhältnissen gelebt und wäre nicht gerade ihre Schönheit und
Bildung der Fluch ihres Lebens gewesen, so könnten wir heute in ihr eine
der größten Dichterinnen aller Zeiten betrauern. Wer ihre 250
zigeunerischen Gedichte liest, kann sich den kurzen Abriß ihres Lebens,
wie wir ihn geben, zu einer langen Leidensgeschichte voll verzweifelten
Kämpfens und Ringens, voll trüber Tage und peinvoll durchwachter Nächte,
voll bitterer Enttäuschungen und gescheiterter Hoffnungen weiter
ausspinnen. In den Fesseln wilder, unzähmbarer Leidenschaft schmachtete
die Dichterin, eine echte Zigeunerin, wie eine Gefangene ohne Licht und
Luft, inmitten ihr von wilder Leidenschaft aufgezwungener
Lebensverhältnisse. Sie war zur Dichterin geboren und bestimmt, ein
gottbegnadetes Weib, das vergass, was es drückte und quälte, wenn es
dichtete. Müde und abgespannt von dem Glanze und der Pracht, mit der sie
von ihren Anbetern oft umgeben ward, oder von mühseliger Zigeunerfahrt,
sang sie ihre Lieder, voll Duft und Frische, die jenen Blumen gleichen,
die "am Tage den Kelch ängstlich verschlossen halten, und nur in die
stille, verschwiegene Nacht hinaus ihre köstlichen Wohlgerüche hauchen." -
Voriges Jahr, am 20. November, kam zu mir nach Zombor (Südungarn) Herr Dr.
Svetosar Jakobcic, serbischer Consularbeamte, und teilte mir mit, dass
sich zur Zeit in Essek, in Slavonien, eine zigeunerische Dichterin
aufhalte, die er von ihrer gemeinsamen Heimat, von Serbien aus schon seit
Jahren kenne, und deren zigeunerische Gedichte er abkaufen wolle. Ich
reiste mit ihm nach Essek, wo wir bald Gina Ranjicic antrafen, eine
runzelige, alte Wanderzigeunerin. Beim ersten Anblick hätte wohl Niemand
gesagt, dass dies Weib einmal eine gefeierte Schönheit gewesen; noch
weniger hätte es Jemand geglaubt, dass diese in Lumpen gehüllte Zigeunerin
mehr als 250 Gedichte verfaßt und – niedergeschrieben habe. Aber gar bald
bekam man eine ganz andere Meinung von dieser Zigeunerin, sobald man mit
ihr ein Gespräch anknüpfte. Stolz richtete sich die dürre, in sich
zusammengesunkene Gestalt auf; mit ihren dunklen, großen, noch immer in
unheimlichem Feuer glänzenden Augen suchte sie gleichsam in die innerste
Tiefe des Herzens zu dringen. In gewählten Worten, die sofort ihre Bildung
verrieten, mit einer vornehmen Zuvorkommenheit begrüßte sie uns.
Tatsachen, Episoden aus ihrem wechselvollen Leben, die Herrn Dr. Jacobcic
schon längst bekannt waren und von deren Richtigkeit er sich auf seinen
jahrelang andauernden Reisen in den Balkanländern überzeugt hatte,
erzählte uns Gina Ranjicic teils in serbischer, teils in zigeunerischer,
zumeist aber in gewählter, fliessender deutscher Sprache.
Wann sie das Licht der Welt erblickt habe, dass konnte sie uns nicht
sagen. Als ungefähr zehnjähriges Mädchen sah sie zur Zeit ungarischer
Revolution den Führer der kroatischen Truppen, Jellacic in Verasdin, woher
sie mit ihren Stammgenossen nach Serbien floh, "weil die Croaten auch die
Zigeuner zwingen wollten, die Waffen zu ergreifen und gegen die Ungarn zu
Felde zu ziehen". Sie gehörte zum serbischen Wanderzigeunerstamme der
Nevelja und kam als ungefähr zwölfjähriges Mädchen in das Haus eines
armenischen Kaufmanns nach Belgrad, nachdem sie sich von ihrem Stamme und
ihrer Familie verirrt hatte, die wegen Diebstahl von türkischen Soldaten
verfolgt und über die Donau nach Ungarn getrieben worden war. Joachim
Dalenes hiess dieser armenische Kaufmann, der nach kurzem Aufenthalt in
Belgrad mit Gina in seine Heimat, nach Konstantinopel übersiedelte.
Dalenes mag die Zigeunermaid gar lieb gewonnen haben. Er liess sie die
armenische Schule in Konstantinopel besuchen und hielt ihr auch drei Jahre
hindurch einen deutschen Hauslehrer, namens Karl Berik. "Von diesem
Manne," sagte uns Gina, "lernte ich schreiben und lesen; lernte ich Alles,
was ich kann". Ihr Ziehvater hatte keine Familie und führte mit seinem
gleichfalls ledigen jüngeren Bruder, Gabriel, gemeinschaftlichen Haushalt.
Eines Tages trat Gabriel vor Gina hin und sprach: "Willst du meine Frau
werden? Wenn du meine Gattin sein willst, so ziehen wir in jenes Zimmer
hinüber und werden dort Beide wohnen". Gina – zog in jenes Zimmer hinüber;
Berik, der Hauslehrer, wurde entlassen und sie begann nun die Rolle der
Hausfrau zu spielen, sich – wie sie es uns eingestand – fabelhaften Luxus
gönnend. Ihr "Gatte", wie sie den Gabriel Dalenes stets nannte, war die
Güte und Sanftmut selbst, und Gina "fühlte sich so glücklich an der Seite
dieses bejahrten Mannes, dass sie armenische, türkische und zigeunerische
Gedichte zu schreiben begann". Sie sagte uns deutsch Wort für Wort: "Ich
hatte schon damals zwei grosse Bücher mit Versen voll geschrieben. Ich
habe die Bücher in Konstantinopel gelassen, als ich mit meinem Kipetaren
nach Albanien reiste". Als ich meine erste Begegnung mit ihr hatte, besass
sie drei geschriebene Hefte, in die sie im Laufe der letzten 40 Jahre mehr
als 250 zigeunerische Gedichte eingetragen hatte, welche nach ihrem Tode
Dr. Jakobcic für 200 österr. Gulden ihren Verwandten abkaufte.
Gina's "Eheglück" zerstörte ein junger Albanier, dem die schöne, mit
orientalischer Pracht gekleidete Zigeunerin gar wohl gefiel. Gregor
Korachon war der Name dieses Albanesen, der eines Tages, als sich Niemand
im Hause der Gebrüder Dalenes befand, vor Gina hintrat und also zu ihr
sprach: "Dein Gatte ist so alt, dass er dein Grossvater sein könnte. Wenn
du am Leben bleiben willst, so komm' sogleich mit mir, denn der Sultan
lässt heute alle Armenier niedermetzeln". So erzählten uns Gina und ihre
Verwandten den Anfang des für die Dichterin so verhängnissvolen
Verhältnisses zu Korachon. Ohne die Sache zu überlegen, ging sie mit dem "Kipetaren"
– wie sie Korachon zu nennen pflegte – von dannen, verliess ihr glänzendes
Heim in Konstantinopel und knüpfte ihr Los an das eines ihr "unbekannten"
Mannes. Möglich, dass sie vielleicht schon früher in einem galanten
Verhältniss zum Albanesen gestanden, - uns gegenüber aber leugnete sie
dies stets, wie sie denn überhaupt nicht gerne über dies Verhältniss zu
sprechen schien. Soviel teilte sie uns mit, dass am zweiten Tage nach
ihrer Entfernung aus Konstantinopel der Albanese ihr gesagt habe, dass –
wenn sie in das Haus ihres "Gatten" zurückkehre, sie von der Behörde
eingezogen werde, denn man habe die beiden armenischen Brüder in einer
abseits gelegenen Kammer ihres Hauses, wo sie ihre Schätze aufbewahrten,
ermordet gefunden und man verdächtigte eben Gina, dass sie den Mord
vollbracht habe. Licht in diesen Sachverhalt zu bringen gelang Herrn Dr.
Jakobcic selbst nach anderthalb Jahre hindurch gepflogenen, eifrigen
Erhebungen nicht. So viel ist gewiss, dass 1851 ein armenischer Kaufmann,
namens Gabriel Dalenes, in Konstantinopel von unbekannten Tätern ermordet
und beraubt worden ist und dass man dieses Raubmordes einen flüchtigen
Albanesen verdächtigte. Einiges Licht in diese Sache bringen die aus
dieser Zeitperiode stammenden Gedichte Gina's. Eines dieser Gedichte
lautet also:
Trin coraka
beshdo pro ruk,
Yekto beshdyas upro cipo, -
Duyto beshhyas pro sano kasht,
Andro kuyba beshdyas trito.
Pendychas yecto coriko,
Pendychas yov nayportayes:
"Upro pro phuv, pro bare phuv
N'avel mandar sar sorales!"
Pendyas duyto pro sano kasht:
"Romniye, ashun tu gule,
Pendychas ada cavoro:
"Sar yov na isi kasave!"
Bare rukeskro e kashta
Siges, siges yon pagaren,
Ratvala isan praitina; -
Ko romeskro is' kamaben!
Merdyas m'ro bikeido gadso,
Kipetaro mange penel:
"Isi, isi m're luludyi,
Nikana tut savo kamel!" …
Phuv te cero tay pabuven
Peskre bare kamabensa;
Mire godyi na pabuvel,
Isi taisa tamipensa.
Barvaleske dukhal godyi,
Mange, mange taisa penel:
"Tiro yekto rom is' kirno?
Ko pirano tute ovel?"
Bibaçtales, naycoreder
Acav taisa me raciye,
Angalidav m're piranes
Barvaleha but rovilye!
Drei Raben sassen auf dem Baume,
Der eine auf dem Wipfel hoch, -
Der andre sass auf dürrem Aste,
Allein ins Nest der dritte kroch.
Der erste stolz im Wipfel krächzte:
"Ein Bursch so schön, wie ich, so fein,
Gibt's auf dem weiten Erdenrunde
Wohl keinen; kann auch keiner sein!"
Vom dürrem Aste rief der Zweite:
"O Gattin mein, o Süße hör',
Solch' Bursch, wie jener dort im Wipfel,
Bin ich wohl auch, darauf ich schwör'!"
Des hohen Baumes hoher Wipfel
Neigt schwankend jetzt sich hin und her,
Und blutig wird sein Laub, das grüne; -
Des Gatten Lieb' hab' ich nicht mehr!
Ach, unbetrauert starb mein Gatte,
Mein Kipetar wünscht nun von mir,
"Nur mir allein blüh' du als Blume,
Sei mir allein die schönste Zier!" …
Am Himmel hoch, und hier auf Erden
Strahlt hell nun seiner Liebe Licht;
Nur meines Herzens Nacht, die dunkle,
Der Liebe Strahl wohl nie durchbricht!
Es seufzt der Wind, als ob ein Herz er
Hätt' auch voll tiefem Weh und Leid:
"Verfault im Grab liegt schon dein Gatte?
Und Andrem Lieb' dein Herz schon beut?"
Verlassen steh' ich hier und einsam
In stiller, dunkler Mitternacht,
Und halt bei meinem jetzigen Liebsten
Nur mit dem Wind allein die Wacht!
Obgleich die
Dichterin ihren sogenannten "Gatten", den Armenier Gabriel Dalenes, nicht
geliebt haben mag, so folgte ihr doch die Erinnerung an ihn auch in das
Land der Albanesen, wohin sie ihr "Kipetare" hingeführt hatte und ihre
allereigensinnigsten Wünsche zu erfüllen sich bestrebte. In albanischer
Nationaltracht, mit einer teueren Halskette geschmückt, ritt sie einmal
auf reichverziertem Rosse durch die Strassen Adrianopels, als sie einen
Armenier erblickte, in dem sie ihren Ziehvater Joachim Dalenes erkannte.
Ohnmächtig sank sie von ihrem Rosse herab; zu ihrem Glück hatte sie der
Armenier nicht bemerkt. Als sie zu sich kam, machte ihr der "Kipetare"
Vorwürfe, worüber sie sich so sehr ärgerte, dass sie in der folgenden
Nacht sich heimlich aus Adrianopel entfernte. Aber schon nach drei Tagen
kehrte sie zu ihrem Liebsten zurück, "dessen Augen wie die Schlange
stachen" (keske yakha pushavena, sar sapuno).
Damals schrieb sie vielleicht das Gedicht, darunter das Wort "Adrikoforos"
= Adrianopel steht:
Penel gulo:
M'ro pirani,
Tiro gray iszan shukares;
Strafinel pro tut angruskri!
Pen tu mange: szo tu kames?!
Angalidav m'ro piranes
Tay leske penav me caces:
"Bibaçtalo, na çuna tu
Pal handako cira;
Avriaven yon raciye
Tay baros rovilya!
Dikh o ruk tu pal o vreme
Shukur luludyensa,
Acel yeke praitin
Jeldes luludyensa!"
Spricht der Liebste: "Du mein Liebchen,
Sieh, dein Rösslein ist ein schönes Tier;
An dir strahlen Edelsteine!
Sprich: wünscht du noch was und welche Zier?"
Ihn umarmend ich dann weine,
Sag' ihm stets dann nur dies eine:
"Unglückseliger, sperrst vergeblich
Die Erinn'rung in den Sarg du;
Weinend kehrt sie mitternächtlich
Heim zu dir, stört deine Ruh'!
Sieh den Baum in Lenzensprangen,
Wenn er Blüt' an Blüte hat, -
Zwischen Blüten bleib vom Herbst ihm
Wenn auch nur ein welkes Blatt!"
In einem
anderen, aus dieser Zeit stammenden Gedichte vergleicht sie ihre Freuden
mit den Schmetterlingen auf dem Hämusgebirge und lässt uns ahnen, dass sie
von der Ermordung ihres "Gatten" wohl gewusst habe. Dies Gedicht lautet
also:
Isan Yemese
blaçrida
Mire voyipena;
Andro m'ro ratvalo gadso
Taisa yon tovena.
Isan voyipena mange,
Dures isan nani!
Na voypeskro m'ro asaben,
Isi yov brigakri.
Isan Yemese blaçrida
Mire voyipena;
Andro m'ro ratvalo gadso
Taisa yon tovena.
Tai kirmora andre godyi
Mange avriaven,
Tai nikana andre jiben
Mange avrijinen.
Meines Herzens Freuden gleichen
Hämus-Schmetterlingen;
Flattern, schweben und ich kann sie
Nie zur Ruhe bringen.
Gleich dem Kinde hab' ich Freuden,
Doch von kurzer Dauer!
Nicht aus Freude lächle ich manchmal,
Nein, aus Schmerz und Trauer.
Meines Herzens Freuden gleichen
Hämus-Schmetterlingen;
Flatternd oft in meines Gatten
Blut'ge Brust sie dringen.
Kehren dann zurück als Raupen,
Trag' sie dann im Herzen,
Und mir kann wohl hier auf Erden
Niemand sie ausmerzen.
Auf ihren
oben erwähnten, ersten Zwist mit dem "Kipetaren", demzufolge sie ihn auf
drei Tage verliess, bezieht sich das folgende Gedicht, dem sie die
Überschrift: "Kana rushvales avlas" ("Als er zornig war") gegeben hat:
Penehas tu:
"tut na kamav!"
Oh hoske pendyal tu vorba!
Tai hoske raciyo trades
Tai cores mange e jives?
Tai raciye man tu trades,
Tu mange jives sik cores,
Ko avilyas man' akana,
Tai but na avel, nikana.
Me divles tai sik the jiav,
Na kathe hin e manusha, -
Oh mange nani jevasel,
M're vodyi andro cik tradel!
"Ich mag dich nicht!" – o wehe mir!
Warum sprachst du dies bange Wort!
Warum stiesst du in ew'ge Nacht
Mich jetzt von meinem Morgen fort?
Als ich zum ersten Mal dich sah,
Da glaubt' ich meinem Morgen nah,
Ich hofft': es wird bald Mittag sein,
Wenn du, o Liebster, ewig mein!
Nun stürzst du mich in ew'ge Nacht,
Hast mich um meinen Tag gebracht,
Der noch als Morgen im Entstehn,
Entschwand auf Nimmerwiedersehn.
Nun zög' ich wohl in wilder Hast,
Wohin kein Mensch noch je geriet, -
Doch ohne Licht mein armes Herz
Mich in den Kot stets niederzieht!
Der "Kipetare"
trat in Adrianopel gar bald in den Dienst eines "Handelsvereines", deren
Mitglieder er als "Bedeckung" nach Serbien, Bosnien und an die ungarische
Grenze zu begleiten hatte. Gina war ihm auf diesen mühseligen und
gefahrvollen Fahrten stets eine treue Gefährtin, obwohl sie wohl wusste,
dass ihr Geliebter mit einigen albanesischen Räuberbanden in enger
Verbindung stehe, was sie auch im folgenden Gedichte erwähnt:
Me na
pendyom tut' me isi,
Sar o kam upro ceroros;
Na kamav tut, na kamav tut,
Janav, isi tu phabundos.
Pen man': so isi e curi,
Dikhlyal savo tu ratvales?
Laces janes, t're kamaben
Isi taisa savo cores!
Na kamaben is' pal godyi,
Ada na tut' pabol, dukhal;
M'ro romeskro lole rata
Jial bibaçtales tuhal!
Kana rikkerel pal shero
Miro gulo rom ratvales:
Ashunav me, tai ashunav, -
Jal t're godyi tut' ucales.
Yekvar ulas tyimako,
Akana mudarimako,
Cigne ratvale curaha
Me astardsi tai keradyo!
Nimmer war ich ja dein eigen,
Wie dem Himmelszelt die Sonne;
Lieb' dich nicht, ich liebt' dich nimmer,
Wenn ich ja auch deine Wonne.
Sprich: sahst jemals du ein Messer,
Hast ein blut'ges du gesehen?
Wie denn sollst du es nicht kennen!
Musst ja stets mit Räubern gehen!
Nicht die Liebe quält dein Herze,
Füllt es dir mit Schmerz und Leide;
Meines Gatten Blut, das machte
Uns so unglückselig Beide!
Wenn ich an den Gatten denke,
Ach! an ihn mit bitt'rem Schmerze:
Wähn' ich, wie wenn schnell und schneller
Pocht' und pocht' dein falsches Herze.
Früher warst du ein Betrüger,
Bist ein Mörder nun geworden,
Und ich Sclavin durch ein Messer
Solchen Leuten, die da morden!
Noch in
sechs aus dieser Zeit stammenden Gedichten äussert sich das verbitterte
Gemüt der Dichterin in solch' scharfschneidigen Sarkasmen, die uns ahnen
lassen, dass der Bruder ihres armenischen Ziehvaters – ihr "Gatte" Gabriel
Dalenes – keines natürlichen Todes gestorben, sondern vielleicht gar mit
ihrem Wissen, vom Albanesen ermordet worden ist, der dann mit einem Teil
der Schätze des Armeniers in Ginas Begleitung in die albanischen Berge
floh. So viel ist gewiss, dass der "Kipetare", seit er Konstantinopel mit
der Dichterin verlassen, keine "reinen Hände" hatte. Gina selbst erzählte
uns, dass im Laufe der vier Jahre, die sie an der Seite des "Kipetaren"
zugebracht, dieser die teuere Waaren mit sich führenden Kaufleute, die er
eben als "Bedeckung" schützen und verteidigen sollte, albanischen
Räuberbanden verriet. Die Kaufleute wurden dann niedergemetzelt oder
gefesselt zurückgelassen und die geraubten Waaren hinauf auf die
Albanerberge in Sicherheit gebracht. Nach solchen Gelegenheiten überhäufte
der "Kipetare" seine Geliebte stets mit kostbaren Geschenken, und es
scheint, dass er die schöne Zigeunerin mit der ganzen Glut seines Herzens
geliebt hat. Aber die Liebe war nicht im Stande seiner Raublust Zügel
anzulegen. Gina gefiel zwar, als Zigeunerin und obendrein excentrischem
Weibe, dies abenteuerliche Leben; aber die fortwährenden Gefahren und
häufigen Kämpfe sagten ihrer zigeunerischen Natur nicht zu, und sie bat
daher häufig genug ihren Geliebten, er möge mit ihr nach Konstantinopel
zurückkehren. Diesen ihren Wunsch wollte aber der "Kipetare" nicht
erfüllen; aus welchem Grunde nicht, mag er, und wohl auch Gina, recht gut
gewusst haben. Später forderte Gina eigensinnig die Rückkehr nach
Konstantinopel und nach zweijährigem Beisammensein wollte sie einmal den "Kipetaren"
heimlich und für immer verlassen; aber seine Verwandten entdeckten ihm
Ginas Absicht, worüber erzürnt er mit dem Handschar die linke Unterwange
der Geliebten schwer verwundete. Die Narbe dieser Wunde trug Gina ihr
Leben lang an sich. Der "Kipetare" konnte nach diesem Vorfall seine
Geliebte nur dadurch versöhnen, dass er sich auf den Weg nach Serbien
aufmachte, um ihre Verwandten abzuholen. Gina verkaufte er auf drei Monate
einem Ungarn in Adrianopel, namens Andreas Kovacs, der sich nach der
ungarischen Revolution in dieser Stadt niedergelassen hatte. Was für eine
Rolle dieser Mann in Adrianopel gespielt hat, darüber konnte oder wollte
uns Gina keine Aufklärung geben.
Im Hause dieses Ungarn knüpfte die Dichterin ein neues Liebesverhältniss
an. Wer dieser Liebhaber gewesen ist, konnten wir nicht erfahren. So viel
teilte sie uns mit, dass es ein "serbischer" Landsmann" war, den sie in
ihren aus dieser Zeit stammenden Liedern, "weissen Mann" nennt. Diese
Lieder werfen ein besonderes Licht auf ihr Verhältniss zum "Kipetaren" und
auch auf ihren wankelmütigen Charakter. In einem an den "weissen Mann"
gerichteten Gedichte nennt sie sich geradezu Sclavin des "Kipetaren":
Siges nashel,
siges jipen,
Ta jivesa nani kusen;
Nashen, nashen sar o pana,
Adyes nashel ta tehara!
Dikh tu rukreskro ucalyin
Tai luludyi den tut' praitin;
Amen pirana the jamas, -
Ka jidas, amen kamas!
Siges Kipetaro avel,
Nilaye yov avriavel,
Tai bituhal isom cori,
Leske isom panderoyi!
Flüchtig rauscht dahin das Leben,
Nichts wert ist's, kann's uns nichts geben;
Weiter eilt in Lust und Sorgen
So das Heute, wie das Morgen!
Kühler Schatten unter'm Baume,
Blumenduft in stillem Raume;
Liebster, unter Lenzestrieben
Lass uns eilig leben, lieben!
Mein Kipetar kommt gar balde,
Wenn noch sommergrün die Halde, -
Dann verlassen sink' ich nieder,
Bin dann seine Sclavin wieder!
Und in einem
anderen Gedichte sagt sie es rund heraus, dass sie den Reichtum, nicht
aber die Person des Kipetaren geliebt habe:
Siges avel
Kipetaro,
M're yak les na dikhes!
Ta me kathe les lulervav
Naycoreder, blindes!
Nikana me les kamilyom, -
Na isas m're baçta;
Uripena. poskre lova
Isan m're bibaçta.
Avri romni tut cumindel,
Na des man lacipen,
Parno, kamilo romeya,
Godyako lecipen!
Avel mango duro ciro
Naybibaçtaleder, -
Yeke divle macka cuclyom
Dures, naydureder!
Bald erscheint mein Kipetare,
Gleich, als würd' ich ihn schon sehen!
Dennoch kann ich, feig und elend,
Von hier nimmer weiter gehen!
Nie konnt' ihn mein Herze lieben, -
Nicht die Liebe, die Schmucksachen,
Und sein Geld, sein grosser Reichtum
Mussten mich unglücklich machen.
Andre werden bald dich küssen,
Trösten wird dein Wort mich nimmer,
Weisser Mann, du teurer, süsser,
Meiner Liebe letzter Schimmer!
Trüber Zukunft Bilder geben
Bald mir Armen das Geleite,
Wenn ich gleich der wilden Katze
Schleiche in der fernen Weite!
Bevor noch
der "Kipetare" mit den zigeunerischen Verwandten zurückkehrte, verliess
die unglückliche Dichterin der "weisse Mann", dem sie dann nur noch zwei
Gedichte widmet; in dem einen schreibt sie:
Dromengro
ciriklo avel,
Kai selene isi besha;
Me kamavibneskro baçt
Kathe adala me dikhav?
Loke panori tovel
Sik upre selene mala,
Na darel yoy nilaye
Nayshilaleder yevenda.
Tai manushongro vodyi
Andre dara te kamaben,
Na merel andre vreme,
Ada yon nikana jianem?
Kamabensa nikana
Th'aves cores tu manushoes,
Feder Sultaneske ker
Upres praha tu sik keres!
Wandervöglein kehrt zurück,
Wenn schon grün die Auen;
Ob der Liebe Wonneglück
Ich werd' wieder schauen?
Munt'res Sommerbächlein fliesst
Durch die grünen Auen,
Fürchtet sich zur Sommerzeit
Nicht vor Wintergrauen.
Aber ach, das Menschenherz,
Voller Lieb' und Zagen,
Ob's nicht schon im Lenzesschmuck
Bricht, wer könnt' es sagen?
Einem Manne sollst du nie
Deine Lieb' vertrauen,
Eher sollst des Sultans Haus
Hin auf Sand du bauen!
In einem
anderen Gedichte dieser Zeitperiode, das ebenfalls den Titel: "Dem
Treulosen" (Bicaceske) hat, heisst es:
O hoske upre
ada phuv
Savenge hin agora!
Tai kothe-kathe me dikhav
Pal naybareder voya:
Me dikhav, kai o luludyi
Pal cicale phuv perel,
Tai ruk ceresrobareha -
Yov sik tai siges merel.
Oh nayshukar'der luludya
Isas mire vodyake!
Tai akana? me na janav!
Ko pçuro penel mange:
Kai save, save luludya,
Ke isas andre vodyi,
Isi upro pro pçuro kast
Inke save luludyi!
Warum nimmt hier auf dieser Welt
Ach, Alles rasch ein Ende!
Wohin ich auch den trüben Blick
Erwartungsvoll hinwende:
Seh' ich, wie selbst die schönste Frucht
Muss fallen von dem Baume,
Den bald zerschellt ein Blitzesstrahl
In süssem Frühlingstraume.
Wie schöne Liebesblüten trug
Mein Herz in frühen Tagen!
Wo sind sie hin? ich weiss es nicht!
Gealtert, wer kann's sagen:
Dass von dem Flor, den einstens hat
Getrieben seine Seele,
Kein einz'ger schwanke Blütenzweig
Am knorr'gen Stamme fehle?
Diesen "weissen
Mann", dessen Namen sie uns nie verriet, mag Gina mit der ganzen Glut
ihres Herzens geliebt haben. "Ich hoffte durch ihn," sagte sie uns
deutsch, "mir wieder auf den grünen Zweig hinauf zu helfen, von welchem
mich die Stürme des Lebens so schnell herabgeschüttelt hatten. Und nun war
auch diese Hoffnung hin! Tagelang starrte ich gedanken- und gefühllos in
die Nacht meines ungeheueren Elends; ich sah alle meine Wünsche und
Hoffnungen zerschmettert liegen, wie ein Saatfeld, das der Hagel
vernichtet hat. Was blieb mir übrig? Ich musste mich mit dem Gedanken
befreunden, bald wieder ganz und allein dem Kipetaren anzugehören!" So
sprach die Zigeunerin!
Und wie es scheint, hat sie sich gar bald mit diesem Gedanken befreundet,
denn in einem Gedichte "An ihn", den sie in ihren vorhergehenden
Dichtungen stets voll Abscheu und Verachtung erwähnt, verleiht sie ihrer
tiefen Sehnsucht nach dem Kipetaren in schönen Worten innigen Ausdruck:
Kathe beshav
me cori,
Upro duro drom;
Th'oval kiya tut kamav
Miro gulo rom!
Kana prekale çaisin
Tuhal avilyi,
Kames Kipetarya man,
Kames luludyi?
Ko janel, pro savo drom
Lurdes jas tu say,
Ta kamilyi beshel
Pal dure koybay.
Andro suno tut dikhav:
Lurdes tu kures,
Ta avreskro andro vast
Çaro ratvales!
Einsam sitz' ich hier, allein,
In der weiten Ferne;
Liebster, bei dir möcht' ich sein,
Ach, bei dir so gerne!
Wenn ich durch die Wüsten zieh'
Und zu dir gelange,
Küsst du dann. o Kipetar,
Deines Blümchens Wange?
In der Ferne, Gott weiss wo,
Magst du jetzt wohl wandern,
Während die Gefährtin dein
Dient jetzt einem Andern.
Nachts im Traume seh' ich dich
Blutend niedersinken,
Weh! in fremder Hand dein Schwert
Seh' gezückt ich blinken!
Mit einigen
kleinen, vierzeiligen Gedichten, in denen sie die Liebe nicht gerade in
gewählten, schmeichelhaften Ausdrücken besingt, unter anderem die
Verliebten Narren nennt, "die in jedem Schweinekot das Bild der geliebten
Person erblicken" und nach Befriedigung tierischer Gelüste in der Tat nur
"Schweinekot vorfinden", schliesst das erste Heft der Handschrift. Nun
schrieb sie lange Zeit keine Gedichte, denn gar trübe Tage hatte sie zu
erleben. Misshelligkeiten sonderbarer Art veranlassten den Ungarn, welchem
der "Kipetare" seine Geliebte "verkauft" hatte, nach Ablauf der erwähnten
drei Monate, sie aus seinem Hause zu treiben. Grund dazu gab, wie Gina uns
erzählte, ein "Herr" – der, wie ich ahne, eben der "weisse Mann" gewesen
ist, welcher tagtäglich das Haus des Ungarn besuchte und bei einer
Gelegenheit Ginas Kleider und Geld gestohlen hatte. Auf unsere Frage:
woher sie Geld gehabt habe, antwortete sie einfach: "Vom Kipetaren!" Und
als sie Dr. Jakobicic fragte, warum habe sie also der "Kipetare" dem
Ungarn verkauft, wenn sie ja Geld besessen habe, antwortete sie lächelnd:
"Das war damals bei den Albanesen so Brauch. Wenn sie weit und auf lange
Zeit verreisten, gaben sie für Geld ihr Weib einem anderen hin und reisten
mit einem Knaben fort!" Nun verstanden wir auch ihre Gedichte, in denen
sie die bei den Albanesen übliche "Knabenliebe" geisselt. Ein an den "Kipetaren"
gerichtetes Gedicht beginnt also:
Terneçares
kames tu,
Ta na kames raklya tu!
Knaben liebst du,
Und nicht liebst du die Maid du!
Und grade
diese Knabenliebe, der auch der "Kipetare" huldigte, mag die Dichterin in
ihrem Liebesverhätniss am meisten gekränkt haben. So manche Stelle in
ihren Gedichten ist gegen diese Unsitte und Unzucht gerichtet, die sie
bewog sogar ein 150 Zeilen langes Gedicht darüber zu schreiben, das also
beginnt:
Balo avlas
tiro dad,
Bar'der baleci dayori;
Naybaderer baleci
Me hum, tire romnori!
Schwein war dein Vater,
Grösseres Schwein deine Mutter,
Das grösste Schwein
Ich bin, deine Gattin!
Dies
Gedicht, an den "Kipetaren" gerichtet, steht nicht nur in der
zigeunerischen Porkologie, sondern selbst in der gesamten Weltliteratur
ohne Gleichen da. Was nur Schändliches, Obscönes ein Weib dem Manne
nachsagen kann, das Alles findet sich in diesem Poem vor. -
Kinder hatte die Dichterin nie, und was bei den Zigeunerinnen ein seltener
Fall ist, sie liebte auch die Kinder nicht. So lange sie bei ihrem
armenischen Ziehvater weilte, war sie noch immer ein ehrenvolles,
tugendhaftes Weib; aber als sie mit ihrem "Gatten", dem Bruder ihres
Ziehvaters, die Verbindung einging, begann sie immer mehr zu sinken, wozu
ihr eben der "Kipetare" verhalf.
In zerfetzten Kleidern, mittellos, elend und verlassen, kam Gina aus dem
Hause des "Ungarn" heraus. Wochenlang irrte sie von Hunger und Durst
geplagt in Adrianopels Strassen herum, bis sie endlich, des vergeblichen
Wartens müde, sich auf den Weg machte, um ihren "Kipetaren" – sei es wo
immer, aufzusuchen. Zu ihrem Glücke begegnete sie ihm schon einige Stunden
von der Stadt entfernt. Das Wiedersehen mag nicht gerade sehr herzlich
gewesen sein. Der "Kipetare" hatte seine "lieben zigeunerischen
Verwandten", die er aus Serbien mitgebracht, bereits satt bekommen, und
machte Gina darüber Vorwürfe. Desto herzlicher war Gina's und ihrer
Verwandten Wiedersehen, die sogleich ihre Zelte aufschlugen und auf den
Beutel des "Kipetaren" hin grosse Gastereien veranstalteten. Gina bemerkte
des "Kipetaren" Unwillen und gab sich, wie es scheint, alle Mühe, ihren
Geliebten dazu zu bewegen, dass sie mit den Verwandten zusammen hinauf in
das albanische Bergland ziehen sollten. Aber der "Kipetare" wollte – wie
Gina uns mitteilte – auf keinen Fall in diesen Plan einwilligen, ja er
drohte sogar seiner Geliebten, dass, im Falle sie ihre Verwandten nicht
zurück nach Serbien schicke, er sie verlasse und nach Russland auswandere.
Nach wochenlangen Zwistigkeiten bewog endlich Gina den "Kipetaren" doch so
weit, dass er in einen Abzug nach Albanien einwilligte, woher dann die
zigeunerischen Verwandten in ihre Heimat, nach Serbien zurückkehren
sollten; der "Kipetare" hingegen setzte es bei Gina durch, dass er voraus
nach Albanien reiste, um "die Geschenke für die Verwandten
herbeizuschaffen". Auch die Zeit, welche er im Kreise seiner
zigeunerischen Verwandten unter den Zelten vor der Stadt Adrianopel
zubrachte, vergeudete er nicht untätig, denn Gina schmückte er wieder –
wie es in einem ihrer Gedichte heisst, "mit Ringen, Prachtgewändern, Gold
und Edelsteinen", worauf er sich dann in Begleitung von dreissig Albanesen
auf den Weg in seine Heimat machte. Auf diese stürmische Zeit, voll
Lustbarkeit, aber auch voll Zwist und Hader, bezieht sich das Gedicht:
Upro pro
phuv acadyom tuha
Manglyom lacipena,
So me kerdyom t're godyake
Bute bunipena!
Nastyi janes, som dukhedyi
Tuha, oh guleya!
Pacolyom taisa t're luludyi
Inke tu mukela!
Upro cero pal jivesa
Kere uren conglya,
Ta kityivar me cingardyom,
Th'isas mange pora.
Th'urav kiya Kipetaro,
Upro leskre muysa,
Akana me th'urav laces
Prekal bare thema!
Kathe isan tu cash mange
Ta mire romensa;
Pen guleya, sik tu mange,
Briga jal tumensa?
Hier im Staube liegend, darf ich
Auf Verzeihung hoffen,
Für das grosse Leid, die Qualen,
Die dein Herz betroffen!
Nicht weisst du, was ich gelitten,
Leiden unermessen!
Denn ich glaubte, dass dein Röslein
Du schon längst vergessen!
Wenn am Himmel hoch die Störche
Abends heimwärts zogen,
Wär' ich gern auf raschen Schwingen
Hin zu dir geflogen.
Wünscht' mit dir, mein Kipetare,
Lustig stets zu wandern,
Arm in Arm von einem Orte
Ziehen zu dem andern!
Doch jetzt bist du endlich bei mir
Mit den Anverwandten;
O, doch sprich: welch' Schmerzen schlagen
Jetzt dein Herz in Banden?
Gina zog –
wie sie sich erinnern konnte, ungefähr zwei Monate lang mit ihren
zigeunerischen Verwandten auf der Balkanhalbinsel von Ort zu Ort, bis es
ihr endlich gelang ihren Liebsten "am Meeresufer" anzutreffen. Der "Kipetare"
und zwei seiner Freunde begleiteten mit Gina zusammen die Zigeunerbande
bis an die serbische Grenze. Die noch lebenden Zigeuner, die an dieser
Fahrt Teil genommen haben, können auch noch heutigen Tages nicht genug
loben die Geschenke, welche sie vom "Kipetaren" bei dieser Gelegenheit
erhalten hatten. "Ich habe", sagte uns Gina's Vetter, Milivoj Ranjicic,
"des Königs Milan Rosse gesehen, aber unsere waren viel schöner, die wir
damals von Gina zum Geschenk erhielten. Wir hatten damals so viel Geld,
dass wir uns 600 Schweine kaufen konnten und doch noch lange Zeit ohne
Sorgen lustig lebten". Schon hieraus ist ersichtlich, dass Gina's Kipetare
ein einfacher Wegelagerer gewesen ist, wie solche in den damaligen Zeiten
die meisten Albanesen gewesen.
Gina wurde auf dem Wege von ihren Verwandten gegen den "Kipetaren"
aufgehetzt, wohl in der Hoffnung, dass, wenn die Dichterin sich
entschlösse, mit ihnen nach Serbien zu kommen und bei ihnen zu bleiben,
auch der "Kipetare" bei ihnen weilen würde und die schönen Zeiten würden
dann noch fortdauern. In der Abschiedsstunde, wo sich Gina von ihren
Verwandten trennen sollte, kam es zwischen ihr und dem "Kipetaren" zu
offenem Bruch. Die Zigeuner, dreissig an der Zahl, von denen heute nur
noch neun leben, bestürmten ihn, er solle ihnen noch 100 Thaler geben,
sonst würden sie Gina mit sich nehmen. Der "Kipetare", der fortwährenden
Bettelei überdrüssig, schlug ihnen das Begehren rundweg ab, und Gina, die
das zigeunerische Wanderleben abermals gekostet und Gefallen daran
gefunden hatte, kehrte ihm voll Trotz und Hohn den Rücken und zog mit
ihren Zigeunern in ihre Heimat, nach Serbien, das sie seit mehr als zehn
Jahren nicht gesehen hatte. Zu dieser Zeit mag sie etwa dreiundzwanzig
Jahre alt gewesen sein, und hatte, wie sie sich uns gegenüber ausdrückte,
mehr gelebt, als manches Weib ein langes Leben hindurch. Wie uns ihr oben
erwähnter Vetter mitteilte, "war sie damals so schön, dass selbst die
grössten Herren sich gerne in ein Gespräch mit ihr einliessen". Dies aber
gefiel dem damaligen Wojvoden des Stammes nicht, denn, wie Gina uns
erklärte, er fürchtete sich, dass sie bei Gelegenheit heimlich ihren
Zigeunerstamm verlasse. In dieser Zeit begegnete sie "einem grossen Herrn
aus Wien, der viele Bücher hatte und von dem sie für ihre albanesischen
Gedichte viel Geld bekam". Wer dieser Herr gewesen, das konnte sie uns
nicht sagen, sie wusste nur so viel über ihn, dass er ein hoher Beamter
irgendwo in der Türkei gewesen ist, "der die Albanesen gar lieb hatte".
Wenn nun bislang ihr Leben abenteuerlich gewesen, so ward es von nun eine
ununterbrochene Kette von Abenteuern. Von dem Augenblicke an, wo sie den "Kipetaren"
verliess, glich ihr ganzes Leben einer Flamme, die bald lichterloh
aufstrahlte, bald zu erlöschen drohte, und so lange hin- und herflackerte,
bis sie inmitten der grössten Not in sich selbst zusammenbrach. Durch ihre
Trennung vom "Kipetaren" war der Würfel für ihr ferneres Leben gefallen.
Es scheint, als hätte sie dies schon damals geahnt. Ein schweres Leben lag
hinter ihr. Nach einer freudlosen Kindheit, nach toll durchstürmtem
Jugendlenz war sie wieder in den Kreis zurückgekehrt, in dem sie geboren
ward, aus welchem sie hinaus ins Leben so zeitig gefahren. Was sie an
Schmerz und Bitterkeit darob empfunden, hat sie damals merkwürdigerweise
in Gedichten nicht ausgehaucht. Eine stille Dulderin hat sie damals ihr
hartes Loos schweigend ertragen; aber der Schmerz hatte sie noch lange
nicht geläutert. Auf unsere Frage, warum sie in dieser Zeit keine Gedichte
geschrieben habe, versetzte sie lächelnd: "Unter Schweinen konnte ich
nichts schreiben, und ich dachte auch an nichts anderes, als an das
Albanerland!" Es scheint, dass sie während ihres Aufenthaltes unter ihren
Verwandten unendlich litt; unsagbar zehrte und regte sie auch die
Sehnsucht nach dem "Kipetaren" und der – Freiheit, um so mehr, weil ihre
Verwandten sie gleichsam gefangen hielten und sie obendrein noch von
Krankheit geplagt wurde. Denn ihre Zigeuner waren des Glaubens, dass der "Kipetare"
früher oder später zu ihnen zurückkehre und bald wieder reiche Geschenke
bringe. Sie lebten also lustig, auf recht zigeunerische Art, in den Tag
hinein und hielten die Dichterin gefangen, damit sie ihnen nicht entweiche
und der zurückkehrende "Kipetare" seine Geliebte etwa nicht in ihrem
Kreise vorfinde. Aber ihre Hoffnung war eitel. Gina selbst war anfangs
voll der süssen Hoffnung, dass ihr Geliebter von Sehnsucht getrieben, gar
bald in ihre Arme zurückkehre. Ein Tag verging nach dem anderen, eine
Woche verrauschte nach der anderen und ein Jahr war schon ausgeklungen,
ohne dass Gina auch nur ein Lebenszeichen von "Kipetaren" erhalten hätte.
Die Zigeuner liessen die Dichterin in der ersten Zeit ihres Aufenthaltes
unter ihren Verwandten das Peinvolle ihrer Lage noch nicht so sehr fühlen;
als aber das Geld abnahm, die 600 Schweine verkauft wurden und später auch
die vom "Kipetaren" erhaltenen kostbaren Geschenke spottbillig
verschleudert waren, begann Gina's Lage ganz und gar unerträglich zu
werden, denn die Zigeuner traten nicht einmal, sondern unzähligemal ganz
offen und unverschämt mit ihren vermeintlichen Forderungen gegen sie auf.
Ihre Brüder beraubten sie ihrer teuren Kleider, ihrer Schmucksachen, ihres
Geldes. Und wie Monate vorher in Adrianopel, so befand sie sich jetzt
wieder zerlumpt und verlassen, krank und gebrochen im Kreise ihrer
Blutsverwandten. Die eigene Mutter scheint an die reizende Schönheit ihrer
Tochter grosse Hoffnungen geknüpft zu haben, denn zuletzt klagte sie
selbst bei den Stammgenossen Gina an, dass diese wohl wisse, wo der "Kipetare"
sich aufhalte, aber sie wolle es den Genossen nicht mitteilen, damit diese
von ihm keine Geschenke erpressen sollten. Darauf hin brach nun der offene
Aufstand aus und es kam zu blutiger Schlägerei. Gina's Partei ergriff ihre
beiden Vettern und deren engere Familien. Die erbosten Verwandten wurden
endlich dadurch beschwichtigt, dass ein Vetter Gina's, Peter Ranjicic, der
– wie es heisst – in die schöne Zigeunerin verliebt war, sich erbot, den
Aufenthalt des "Kipetaren" auszuforschen und ihn zur Rückkehr zu Gina zu
bewegen oder für sie eine Abfertigung in Geld zu erzwingen. Die Zigeuner
gaben sich hiermit vorläufig zufrieden und Peter Ranjicic machte sich also
auf den Weg nach Albanien, woher er nimmer wieder zurückkehrte. Was mit
ihm geschehen, hat Niemand erfahren. Wahrscheinlich hat ihm die Klinge des
Albanesen den Garaus gemacht.
Gina ergab sich scheinbar in ihr Loos, obwohl sie das Misslingen der
Ausfahrt ihres Vetters vorauszuahnen schien. Sie heuchelte Hoffnung auf
die Rückkehr des "Kipetaren" und täuschte ihre Stammgenossen dadurch so
sehr, dass diese sie nun oft allein und ohne Bewachung bei den Zelten
zurückliessen, während sie in den Dörfern ihren Geschäften oblagen. Der
erwähnte Vetter Milivoj Ranjicic, der sich über das lange Ausbleiben
seines jüngeren Bruders Peter bekümmerte, war zu dieser Zeit Gina's bester
Freund, und verhalf ihr vier Wochen nach der Abreise Peters zur Flucht,
damit sie seinen Bruder aufsuche und wenn er etwa in Gefangenschaft
geraten, auslöse. Gina zog schleunigst nach Albanien hin.
Gina's Flucht aus Serbien war vom Glück begünstigt, denn ihre nacheilenden
Gefährten konnten sie nicht einholen. Wie nach schwerem Traum atmete sie
erleichtert auf und nahm in einem Gedichte, das sie auf ihrer Flucht
geschrieben, für immer Abschied von ihrem Heimatlande:
Upro muklo
thema
Gelyom korkores;
Kale coka urde
Pal mange cores.
Ferinel them devla,
Tut armendavas,
Kate na baçtales, -
Cores is'nomas.
Jungale cokengre
Naykal'der stava,
Mire, mire roma
Kathar tradena!
Kai m're kale roma
Pro m'ro handako
Nikana penena
Lace prisero!
In ödem, wüstem Lande
Voll Leid ging ich allein;
Der Raben schwarze Schaaren,
Die waren meine Pein.
Gott mag dich nun behüten,
Verfluchtes, ödes Land,
Wo Freude, ach! gar wenig,
Doch Leid genug ich fand.
Der Raben schwarze Schaaren
Aus diesem Heimatort,
Mein eignes Volk, das hat mich
Getrieben von hier fort!
Zigeunervolk, wohl niemals
Kommst du zu meinem Grab,
Es segnend, wo gefunden
Die letzte Ruh' ich hab'!
Auch in
ihren späteren Gedichten nennt sie gar oft ihre Verwandten und das
Zigeunervolk überhaupt "schwarze Raben", "krächzende Dohlen". Es scheint,
dass sich die Liebe zum "Kipetaren" jetzt stärker, denn je, ihrer
bemächtigt habe. Wenigstens lässt sich hierauf aus den folgenden zwanzig
Gedichten dieser Zeit schliessen, in denen sie mit verzehrender Sehnsucht
des Albanesen gedenkt. Beim Wiedersehen des Albanesen schwelgte sie in der
süssen Hoffnung, dass sie hier zwischen den "weissen Bergen" ihren "Kipetaren"
bald wiederfinde und ihr unglückseliges Liebesleben von Neuem beginne. In
einem Gedichte begrüsst sie also das Land der Albanesen:
Upro parne
bara
Mange isi laces,
Alfanakri thema
Mirp yak tu dikhes.
Upro them me jiav,
Kai m'ro Kipetaro!
Siges me ashunav
Shukares dumadlo!
Hetyarav me ayga
Gule kamabneskro;
Hetyarav, m're vodyi
Isi tu tradeskro.
Hier zwischen weissen Felsen
Ist mir so wohl zu Mut,
Wenn auf Albaniens Landen
Mein Blick sehnsüchtig ruht.
Nun bin ich in dem Lande,
Wo auch mein Kipetar,
Bald hör' ich seine Stimme
Die immer süss mir war!
Ich fühl' die Flamme wieder,
Die Flamme meiner Lieb',
Die hin zu dir, o Liebster,
Mich aus der Ferne trieb.
In diesem schönen Lande,
Das dich erzogen hat,
Bin ich dir wieder eigen,
Wie eine Blüt' dem Blatt!
Lange Zeit
schweifte sie in Albanien herum, ohne dass sie auch nur das geringste
Lebenszeichen vom "Kipetaren" erhalten hätte; ja "die Menschen gingen ihr,
wie einer räudigen Hündin, einer diebischen Zigeunerin, aus dem Wege" –
wie sie sich in einem Gedichte aus dieser Zeit ausdrückt, das sie "An die
Albanesen" betitelte. In diesem 46 Zeilen langen Gedichte schleudert sie
in ihrer Verzweiflung den Albanesen die denkbar grössten Gemeinheiten ins
Gesicht, woraus man eben schliessen kann, dass die Albanesen, besonders
die Weiber, die schöne Zigeunerin nicht besonders freundlich empfangen
haben mögen, sie, die die Geliebte "des schönsten Albanesen gewesen".
Endlich erhielt sie die niederschmetternde Nachricht, dass ihr "Kipetare",
vom türkischen Militär (wahrscheinlich wegen Wegelagerei) verfolgt, mit
einer jungen Albanierin nach Italien zu seinen Anverwandten und
Volksgenossen geflohen sei. Auf diese Nachricht hin benahm sie sich wie
wahnsinnig, verfluchte die Albanesen und griff in ihrer Raserei die Leute
auf offener Strasse an. Die Albanesen verstanden aber keine Spass und
prügelten die arme Dichterin gewaltig durch. In einer Rauferei, die sie
angezettelt hatte, wurde ihr auch der Daumenfinger der linken Hand mit
einem Schwerthieb abgeschnitten. Sie selbst gestand uns, dass sie damals
ganz und gar von Sinnen war. Erschöpft, verwundet und krank machte sie
sich auf den Weg an das Meer, um irgendwie nach Italien zu gelangen. Auf
dieser mühseligen Wanderfahrt schrieb sie das Gedicht, dem sie den Titel:
"Als ich weinend nach Italien zog" (Rovilyi jiav andro Talyanithem) gab:
Sunav caces
bibaçtales,
Tai o jives bisterav;
Andro thema streyimases
Penen tai me ashunav.
Ke mucaren: isi suna, -
Taisa dukhal man bares;
Upro lime niko manush
Ada man penel caces!
Isom dare beseçasli?
Keha averi kamel,
Mange isi barvalori,
Ke man cignes sovlyarel?
Tai yon penen, the rinsipen
Taisa baçtarel, taisa;
Mange save den rinsipen,
Tai nikana kamena!
Elend und verlassen träum' ich,
Und vergess' die trüben Tage;
In der Fremde irr' ich einsam,
Höre nur die fremde Klage.
Was mich selber quält und plaget,
Das gleicht einem halben Traume;
Niemand könnt' es mir bestimmen,
Niemand in dem Weltenraume!
Ich allein begehe Sünden?
Worin And're Freude finden,
Sollte das bei mir nur Traum sein,
Wie ein Windhauch sollt' es schwinden?
Liebeslächeln, so erzählt man,
Stets versüsst des Menschen Leben;
Viele haben mir gelächelt, -
Liebe wollt' mir Keiner geben!
Ihre
unruhige Natur, ihr Hin- und Herhaschen, die nie gestillte Sehnsucht nach
einem unbekannten Etwas, nach einem Unerreichbaren, charakterisiert sie
selbst einfach, aber gar treffend in dem Gedichte, das sie gleich nach
ihrer Ankunft in Italien verfasste:
Bibaçtales,
streyimasos
Taisa isom, taisa;
Nani devla mange dinas
Gule pocipena.
Duripena me rodavas,
Taisa jiav cores;
Nani ada me th'arakav,
Isom bibaçtales.
Kana isom upro bare,
Dala malya kamav;
Kana pashlyovav pro malya, -
The sovav pro mara!
Kay the jias, kay na jias!
Me na janav: hoske?
Me na janav, devleya, man!
Ko janel man d'loske?
Kana dures isan mandar,
Mange tut lulervav;
Kiya mange the tu penes,
Tut me pergerevav!
Elend, unglückselig war ich
Stets in meinem Leben;
Eine Ruhstatt, eine süsse,
Wollt' mir Gott nie geben.
Sehnt' mich immer in die Ferne,
In die endlos Weiten;
Was ich suchte, fand ich nimmer,
Deshalb muss ich leiden.
Bin ich oben auf dem Berge,
Möcht' ich sein im Tale;
Lieg' ich auf dem Rasen: möcht' ich
Sein im Flutenschwalle!
Wenn ich selbst ein Sternlein wäre
In der Nächte Dunkel,
Sehnt' ich mich dann immer, immer
Nach dem Mondgefunkel.
Wär' ich auch die schönste Rose
Auf des Hämus Grate,
Aergert' ich mich, weil des Goldes
Dieser Berg entrate.
Wegen deiner Ankunft Freude
Mich und Schrecken quälen, -
Ach, voll Sehnsucht muss ich immer
Die Minuten zählen.
Kämst du bald, o kämst du nimmer!
Was mit mir geschehen?
Ich versteh' mich selber nimmer!
Wer wird mich verstehen?
Bist du ferne, möcht' ich deiner
Ankunft mich gar freuen;
Sitzt du neben mir, so muss ich
Dich stets verabscheuen!
Auf welche
Weise Gina nach Italien gelangt war, wo überall sie den "Kipetaren"
gesucht haben mag, das wollte sie uns nicht mitteilen, oder war es ihrer
Erinnerung bereits entschwunden. So viel ist gewiss, dass sie von Syrakus
bis nach Neapel Italien durchpilgert hatte, ohne den "Kipetaren" gefunden
zu haben. Von Neapel kehrte sie nach Sicilien zurück, in der Hoffnung,
dass sie ihren Geliebten auf dieser Insel antreffen werde. Auf dieser
Wanderfahrt machte die schöne Zigeunerin die Bekanntschaft eines reichen
Juden aus Rumänien, namens Jakob Hornstein, und mit dieser Bekanntschaft
lösten sich für immer die Banden, die Gina an den "Kipetaren" fesselten.
Nur noch in zwei Gedichten erwähnt sie dies unglückselige Verhältniss, das
sie in so viele Leiden gestürzt, ihr so viele unverschuldete und aber auch
selbst verschuldete Schmerzen bereitet hatte.
Das eine lautet:
Soyes andro
suno gelyom
Upro droma prepinsarde,
Tai pale selene mala
Avelas pirano mange.
Cumidavas Kipetares,
Dikhyam amen pal duripen,
Andro bara, naybareda,
Upro somnakune cerhen.
Me patyavas: kiya mange
Yeka duma sik the penel:
"Pare moçlya, cigne cerha,
Save th'avel, so yov beshel.
Suro bar hisba kamel
Somnakune cerhen, cigne,
Core romniye hiaba
Les tu kames, oh romniye!"
Jüngst im Traume war's: ich schritt
Auf den mir bekannten Stegen,
Und am sommergrünen Rain
Kam mein Liebster mir entgegen.
Mich umschlang der Kipetar'
Und wir blickten in die Ferne,
Auf die nebelgrauen Höh'n,
Auf die gold'nen schönen Sterne.
Und mir war, als spräch' zu mir
Eine Stimme klar und leise:
"Berge hoch und Sterne licht,
Jedes bleib' in seinem Kreise.
Grauer Berg vergeblich strebt
Nach dem Sterne licht und golden;
Arme Frau, vergeblich strebst
Du nach seiner Lieb', der holden!"
Gar bald
also fand sich ein Mann, der zu Füssen der schönen und gebildeten
Zigeunerin sank und sie in der Tat bis zu seinem Tode treu und redlich
liebte. Hornstein war – wie aus Gina's Mitteilungen zu erschliessen ist –
nicht nur ein reicher Kaufherr, sondern auch ein fein gebildeter Mann, der
nicht ein alltägliches Wissen besass, sondern in manchem Zweige der
Wissenschaft und Kunst wohlbewandert war. Er versandte sicilische Weine
nach Deutschland, Frankreich und England und handelte obendrein auch mit
Schmucksachen, die er aus Paris bezog und in Afrika absetzte, wo sein
jüngerer Bruder ein Geschäft in Marokko besass. Während ihres
sechsjährigen Aufenthaltes in Sicilien führte er auch Gina gar häufig auf
seinen Handelsreisen mit sich nach verschiedenen Städten Nordafrika's. Mit
den afrikanischen Zigeunern scheint die Dichterin in enge Verbindung
getreten zu sein. Das Zigeunerblut verleugnete sich auch bei ihr nicht. Wo
immer sie in Afrika Zigeunern begegnete, beschenkte sie dieselben stets
reichlich. Ihr zu Liebe nahm Hornstein auch einen afrikanischen
Zigeunerknaben in seine Dienste. Peter Kandalidis war der Name dieses
jungen Zigeuners, dessen Grosseltern aus Griechenland nach Afrika
übersiedelt waren, und der in Gina's abenteuerlichem Leben auch eine Rolle
zu spielen berufen war.
Hornstein besass eine reiche Bibliothek und las in seiner freien Zeit
deutsche Bücher. Besonders liebte er die modernen deutschen Dichter. Diese
Liebe zu den Dichterwerken der deutschen Literatur verpflanzte sich auch
auf Gina, die in der Tat in der neueren deutschen Literatur vielleicht
bewanderter war, als so mancher deutsche Student. Unter diesem Einfluss
auf Hornstein's Anregung verfasste sie auch einige Skizzen und Erzählungen
in zigeunerischer Sprache, von denen besonders drei bleibenden Wert haben.
In Syrakus schmückten Gina und Hornstein gar oft mit Kränzen das Grab des
deutschen Dichters Platen, der in sicilischer Erde die letzte Ruhestatt
gefunden. Auf Hornstein's Verlangen übersetzte Gina auch dessen
Lieblingsgedicht von Platen: "Lass tief in dir mich lesen", - ins
Zigeunerische. Das Manuscript dieser Übersetzung bewahrte Gina trotz ihres
wechselvollen Lebens, als Andenken an Hornstein treu bis zu ihrem Tode.
Durch Herrn Dr. Jakobcic Freundlichkeit ist es jetzt in meinem Besitze und
verdient aus Pietät gegen Platen und Gina hier mitgeteilt zu werden:
Lass tief in
dir mich lesen,
Verhehl' auch dies mir nicht,
Was für ein Zauberwesen
Aus deiner Stimme spricht?
So viele Worte dringen
An's Ohr uns ohne Plan,
Und während sie verklingen,
Ist alles abgetan.
Doch drängt auch nur von ferne
Dein Ton zu mir sich her,
Behorch' ich ihn so gerne,
Vergess' ich ihn so schwer!
Ich bebe dann, entglimme
Von allzurascher Glut:
Mein Herz und deine Stimme
Verstehn sich gar zu gut!
Muk andro tut the ginel,
Na ada garaves,
Szokave covalyipel
T're dumaha caces?
Naybute andre kana
Jan bivoyiakre,
Tai kana yon paljana,
Yon isan keralye!
Kay avel kiya mange
T're duma dureval,
La caces ashunav me
La phares jaletar!
Me pabuvav tail isdrav
Pal naysigeder kam:
M're vodyi tai t're duma
Nayfeder çalyon man!
Auffallend
ist es, dass Gina in dieser glücklichsten, sonnigsten Periode ihres Lebens
gar wenig schrieb. "Entweder waren wir auf weiter Reise begriffen," sagte
sie uns, "oder wir sassen, müde von den anstrengenden Fahrten, zu Hause;
und während Hornstein seinen Geschäften nachging, las ich Bücher und
wartete sehnsüchtig auf seine Heimkunft. Er hatte in Syrakus Tag und Nacht
zu tun! Und wenn ich mich glücklich fühlte, schrieb ich keine Gedichte.
Übrigens dachte ich oft bei mir, dass meine Lieder ohnehin Niemand lesen
wird. Ich schrieb sie eben nur für mich allein auf!" An der Seite dieses
Mannes fühlte sich die Dichterin in der Tat gar glücklich und die fünf
Jahre ihres Zusammenseins mit Hornstein bilden den einzigen Glanzpunkt
ihres stürmischen, abenteuerlichen Lebens. Das letzte, das sechste Jahr
ihres Zusammenlebens wurde durch Hornsteins langwierige Krankheit, die ihn
der Geliebten entraffte, getrübt. Nur einmal zeigten sich drohende Wolken
am Himmel ihres Liebeslebens. Peter Kandalidis, Gina's zigeunerischer
Bediente, war zu einem hübschen Burschen herangewachsen und lebte mit
seiner Herrin, in Hornsteins Abwesenheit, "ein rechtes Zigeunerleben".
Nach zigeunerischer Etiquette war an der Sache nichts Unmoralisches; aber
Hornstein war ganz anderer Meinung, beschenkte seinen Diener reichlich und
schickte ihn, ohne viele Worte zu machen, eines schönen Tages heim nach
Afrika. Als Gina die Abreise ihres Zigeunerkameraden erfuhr, forderte sie
halsstarrig seine Zurückberufung. Dies bestärkte Hornstein noch mehr in
seinem, ob nun begründeten oder unbegründeten Verdachte, er beschuldigte
Gina der Unzucht, und die Dichterin verliess ihn heimlich in der Nacht. Am
dritten Tage – wie sie uns erzählte – fingen Schiffer sie aus dem Meere
ohnmächtig heraus, wohin sie sich in selbstmörderischer Absicht gestürzt
hatte. Sie wurde heim zu Hornstein geführt. Ein hitziges Fieber warf sie auf's Krankenlager und als sie dasselbe nach Wochen verliess, war ihre
"gefährliche verfluchte Schönheit" (doshvalo, armendino shukaripen)
entschwunden; entschwunden "wie ein böser Traum" und "im Spiegel erblickte
sie eine ganz gewöhnliche Zigeunerin". Furcht und Bangen erfüllten nun der
Dichterin leidenschaftliches Herz, wenn sie daran dachte, dass sie als
hässliches Weib, verstossen und verachtet, keinen Anspruch auf Liebe
erheben könne. In dieser Zeit, voll Gram und Verzweiflung über die
entschwundene Schönheit schrieb sie das folgende Gedicht, darunter sie die
Worte setzte: "Die hässliche Gina!"
(Jungale Gina).
Tut na mukav,
me tut nani,
Kamuvav tut bicaces;
Th'isi amare jipena,
Taisa th'isi bokhales.
Th'amen jans soduysine,
Bibaçtales kamuvas, -
Andre brigoyori jipen
Bibaçtales men kames!
Cori isom, tu barvalo,
E romnori jungeli, -
Me na janav: hoske dovla
Dinas man but brigoyi!
Me na janav: hoske dovla
Man tut' dinas, guleya;
Uva janav: mire vodyi
Kamel tut tai kamela!
Dich verlass' ich nimmer, nimmer,
Treulos werd' ich nimmer sein;
Sollten wir auch hungernd leben,
Mitten in der grössten Pein.
O, wir wissen es ja Beide,
Dass für uns das Glück entschwand;
Lieben wir in Leid einander,
Leidvoll gehn wir Hand in Hand!
Du bist reich und ich bin elend,
Und auch hässlich bin ich jetzt, -
Ach, ich weiss nicht, warum Gott mir
Leid auf Leid ins Herze setzt!
Ach, ich weiss nicht, warum lenkte
Gott zu dir hin meinen Fuss;
Nur das weiss ich, dass ich immer
Dich geliebt, und lieben muss!
Aber gar
bald führte das Schicksal einen noch schwereren Schlag gegen Ginas Herz
aus. Ihr Geliebter, der gar schwächlichen Körpers war, erkrankte während
einer Reise in Nordafrika und musste auf ärztlichen Rat von Kairo nach
Konstantinopel übersiedeln. Sein Geschäft in Syrakus übergab er seinem
jüngeren Bruder, der ihn in Konstantinopel oft besuchte und ihn stets
überreden wollte, die "Zigeunerin" aus seiner Umgebung zu entfernen.
Hornstein wollte von dergleichen Ratschlägen gar nichts wissen. Bald aber
kamen aus Bukarest zwei seiner Schwestern nach Konstantinopel und
übernahmen die Pflege des kranken Bruders, der von Tag zu Tag immer mehr
an Kraft verlor, und es hilflos mitansehen musste, wie Gina von seinem
Krankenlager entfernt und im Hause eben nur geduldet wurde. Nur auf sein
ununterbrochenes Flehen hin liess man Gina täglich einige Minuten lang bei
ihm weilen. Ja, die Verwandten ihres Geliebten sprachen den Verdacht ganz
offen aus, dass Hornstein von Gina vergiftet worden sei, damit sie so bald
wie möglich zu einer ansehnlichen Erbschaft gelange. Man kann sich wohl
denken, von welch' niederschmetternder Wirkung dieser unbegründete
Verdacht auf Ginas leidenschaftdurchtostes Herz gewesen ist. Und hier im
Kreise ihrer Feinde, gebeugt von Kummer und Leid, schrieb sie das Gedicht,
dem sie den Titel "Konstantinopel" gab:
M'ro
brigakri bare mara
M're vodyi sharavel;
Tai univar sar e lena
Bares vatyiyavel.
Kade isom, kode nani
Andre jipen 'som kamalyi,
Kode t'ro asapen m'ro kam,
Tiro tuçco ushalyin man.
Kade avavas cayori,
Isomas yeka mukalyi;
Pomenidav taisa caces:
Manushem kamav tai devles.
Kode kay mange pro vodyi
Uprenevol mire pugni, -
Tire tate cumidensa
Devla ker yon sascarena! ...
M're brigakri bare mara
M're vodyi sharavel;
Tai univar sar e lena
Bares vatyiyavel.
Andre mire vodyi isi
Taisa patyipena:
Oh, kay hetyarav tai janav,
Save çasaivena!
Upre tire cam kay isi
Meribneskro sela,
Tai lulerven, kana dikhen
Uren t're jipena?
Tai me acav naycoreder,
Yeka bibaçtali!
Tire gakka man paggaren,
Hoske tut' kamalyi!
Kana mores: t'ro avipen
Andre vodyi isi;
Maren man, me uva andral
Baçta isom pivlyi?
Paggaren man upro pro phuv,
Kode cika isi:
Save lime andre cika
Isom me prasidi!
M're brigakri bare mara
M're vodyi sharavel;
Tai univar sar o lena
Bares vatyiyavel.
Meines Herzens Leiden fluten
Gleich dem endlos weiten Meer;
Wie die Wogen aus der Ferne
Ziehen jammernd sie einher.
Hier bin ich, wohin ich nimmer
Je zurückzuziehn gedacht,
Wo dein Lächeln mir die Sonne
Und dein Leid die dunkle Nacht.
Eine Waise irrt' ich einst hier,
Elend war ich und verlassen;
Lernte hier zum ersten Male:
Gott und Menschen lieben, hassen.
Und hier brennt die alte Wunde
Meines Herzens nun auf's Neue, -
Gott! mit seinen heissen Küssen
Lindrung auf die Wunde streue! …
Meines Herzens Leiden fluten
Gleich dem endlos weiten Meer;
Wie die Wogen aus der Ferne
Ziehen jammernd sie einher.
Hab' in meinem Herzen immer
Süsse Hoffnung doch genährt!
Doch jetzt weiss ich: hin ist Alles,
Und für mich Nichts lange währt!
Dort von deinen Wangen seh' ich
Schon des Todes Boten winken,
Und die Menschen sich schon fragen:
Wann wirst du denn niedersinken?
Und ich steh' hier hilflos, feige,
Elend und verlassen!
In den Kot werd' ich getreten, -
Will von dir nicht lassen!
Wenn du stirbst, wird nur Erinn'rung
Noch mein Sein versüssen;
Trank ich aus der Liebe Becher,
Nun, so mag ich büssen!
In den Kot mag man mich treten,
Mich zu Schanden machen;
Selbst im Kote werd' die Welt ich
Hämisch stets auslachen!
Meines Herzens Leiden fluten
Gleich dem endlos weiten Meer;
Wie die Wogen aus der Ferne
Ziehen jammernd sie einher.
Still und
geduldig trug die unglückliche Dichterin ihr tiefes Weh und Leid, bis am
23. März 1866 Jakob Hornstein für immer die Augen schloss. Noch an
demselben Tage, an welchem Gina ihre letzte Stütze, ihren letzten Halt
verlor, wurde sie von der Behörde in Gefangenschaft gesetzt und der
Giftmischerei angeklagt. Nach ärztlicher Sezirung der Leiche wurde zwar
ihre Unschuld klar gelegt, sie wurde aber dennoch im Kerker
zurückbehalten, weil Hornsteins Verwandte sie des Diebstahls und der
Erbschleicherei anklagten. Länger als drei Monate schmachtete sie im
Kerker, als man sie endlich frei liess und ihr zehntausend österreichische
Golddukaten amtlich einhändigte, welche Summe ihr von Hornstein
testamentarisch ausgesetzt war. Dies bedeutende Vermögen deponirte sie bei
einem armenischen Banquier.
Nun stand sie reich, aber wieder einsam und verlassen in Konstantinopel,
wo sie einst ihre Laufbahn begonnen hatte. Unzähligemal wollte sie die
Stadt verlassen, wo sie schon zweimal am Wendepunkt ihres Lebens
gestanden, aber sie war nicht im Stande von der Stelle zu scheiden, wo ihr
Geliebter begraben lag. In einem Gedichte aus dieser Zeit sagt sie:
Kay kamuvel
mange yek baçtale kora,
Kay kamuven mange luludya sungola?
Pucav, uva mange niko rakkeravel;
Kas me bute kamdyom, merdyas tai na avel.
Kamav me the jial! dolmut me gelyomas,
Andre bare cika mire rosa perdyas!
Pal handako mukav, kas me bute kamdyom?
Andre phuv tai cero pocipen na th'rakyom.
Kana me gindinav, isom but rovilyi:
Voyakri kamaben nani me avilei!
Ke, so man nay traden? ke, so man nay silen?
So kerel man' brigs, so kerel asapen? -
Sakofeles kerdyas oh, romano jipen!
Ob ich in der Zukunft wohl noch Liebe finde,
Ob noch Blumen spriessen, mir zuduftend linde?
Niemand auf die Frage wird mir Antwort geben,
Denn mit meinem Liebsten starb auch hin mein Leben.
Gehen möcht' ich, wohin nie ein Mensch geriet;
Kann nicht, denn mein Herz zum Liebsten hin mich zieht!
Hier liegt ja begraben, was ich je besessen,
Und ich kann dies nie im Leben, nie vergessen!
Weinen muss ich immer, wenn daran ich denke,
Dass ich meine Lieb' stets in das Nichts versenke!
Wer treibt mich von hinnen? was lockt mich ins Ferne?
Was kann mir mehr Leiden, was mehr Freude geben?
O daran bist du schuld, du Zigeunerleben!
Sie selbst
erwähnt gar oft in ihren späteren Gedichten, dass Schuld an ihrem
ruhelosen, leidvollen Leben das "Zigeunerblut", das "Zigeunerleben" sei,
d.h. die ungezügelte Wandersehnsucht, der Drang in unbekannten Fernen
zweck- und ziellos herumzuschweifen, dem Vogel gleich, der keine Grenze
zwischen diesem und jenem Lande kennt. -
Die "reiche" Gina gehörte nun zu den "interessanten" Damen Konstantinopels
und viele Abenteurer suchten ihre Gunst sich zu erobern. Aber sie lebte
anfangs zurückgezogen und – wie sie sagte, den ganzen Tag über schlief
oder weinte sie. Dies einsame Leben dauerte jedoch nicht lange und
anderthalb Jahre nach Hornsteins Tode nahm sie ihr Vermögen vom
armenischen Banquier zurück und reiste zu ihren Verwandten nach Serbien.
Doch die "in Samt und Seide gekleidete Dame" hielt sich nur zwei Tage lang
im Kreise ihrer zigeunerischen Verwandten auf und reiste dann, nachdem sie
vorher tausend Dukaten unter die Ihrigen verteilt hatte, nach Paris.
Charakteristisch für die Dichterin ist es, dass sie so reichlich ihre
Stammgenossen beschenkte, die sie vor Jahren so unmenschlich behandelt
hatten.
Über das Pariser Leben hatte ihr Hornstein so viel Wunderdinge erzählt,
dass sie nun ihren Reichtum so am besten anzuwenden glaubte, wenn sie auch
einige Jahre in Paris zubringe. Achttausend Dukaten besass sie noch, als
sie in Frankreichs Hauptstadt anlangte. Die ihren Verwandten geschenkten
tausend Dukaten in Abzug gebracht, hatte sie in anderthalb Jahren während
ihres Aufenthaltes in Konstantinopel verhältnissmässig wenig von ihrem
Vermögen verausgabt, wenn wir in Betracht ziehen, dass sie in Paris im
Laufe zweier Jahre ihr ganzes Hab und Gut verschleudert hatte.
Das geräusch- und wechselvolle Leben zu Paris war ganz nach dem Geschmack
der excentrischen Dichterin und bald sah sie sich von Höflingen
zweifelhafter Existenz und dunkler Vergangenheit umringt, - ohne dass sie
aber mit irgend einem dieser Leute in ein galantes Verhältniss getreten
wäre. Es genügte ihr, dass sie von ihnen – wie sie sich ausdrückte: auf
Kosten ihres Vermögens gelehrt wurde, das Leben zu geniessen. Nur einem
dieser Dunkelmänner gelang es vor dem "Krach" sich in Gina's Haus
festzusetzen und vielleicht auch in ihrem – Herzen. Es war dies ein
Siebenbürger, namens Lengyel, der mit ihr "die letzten tausend Dukaten
verzehrte". Was nun hierauf folgte, lässt sich gar leicht denken. Einige
Zeit lang "lebte sie auf Borg", häufte Schulden auf Schulden, bis endlich
ihre Gläubiger sie einklagten und die "erste" zigeunerische Dichterin, die
einst gefeierte Schönheit, amtlich in ihre Heimat, nach Serbien,
abgeschoben wurde. Dr. Jakobcic besitzt Copien von beinahe sämtlichen, auf
diesen amtlichen Vorgang bezüglichen Dokumente.
Dies war das Ende von Gina Ranjicic's glänzender Laufbahn. "Ich war
fertig; ich hatte meine Rolle ausgespielt und musste dahin zurückkehren,
woher ich ausgegangen war", sagte sie uns und zwei grosse Tränen rollten
ihre gramdurchfurchten Wangen herab.
***
Saiten des Frohsinns stimmte Gina Ranjicic in ihren Gedichten nie an.
Weltschmerz und Zwiespalt mit sich und mit der Welt, ewiges Hoffen und
ewige Täuschung; leidenschaftliche verzehrende Glut in allen Nuancen und
immer Erwachen in rauher Wirklichkeit, das Alles tönt uns aus ihren
Dichtungen entgegen. Fast in allen ihren Liedern tönt uns der
Schmerzensschrei ihres wilden, leidenschaftlichen Herzens entgegen, das
die Sehnsucht nach dem erlösenden Tode zurückdrängt, das noch weiter
dulden und leiden will, um noch weiter – zu lieben!
In manchen ihren Gedichten verleiht sie der zigeunerischen Sprache eine
nie geahnte Kraft und Anmut, obwohl sie einen Mischdialekt schreibt, indem
sie bald das Idiom der türkischen, bald das der serbischen Zigeuner in
ihren Dichtungen anwendet. Ihre Reime sind – so weit man dies von der
zigeunerischen Sprache fordern kann, rein und unerzwungen; ihre Ausdrücke,
Figuren und Wendungen zeigen nichts Manirirtes. Überall zeigt sich der
Einfluss deutscher Lectüre, der Einfluss der deutschen Dichtung, in die
sie frühzeitig durch Karl Berik eingeführt und später durch Hornstein mit
derselben noch genauer bekannt gemacht wurde. -
Gebrochen an Seel' und Leib hat sie endlich der Tod vom Leben erlöst,
nachdem sie die letzten zwanzig Jahre im Kreise ihrer zigeunerischen
Stammgenossen, inmitten der grössten Not und des grössten Elends durchlebt
hatte. Ein stilles Weib hat man sie hinausgetragen zu der schmerzlos
friedlichen, ewigen Ruhstatt, die schon Niemand kennt ausser den
Feldblumen, die da blühen und vergehen werden und der Wind, der über den
eingesunkenen Grabhügel hinwegweht. So ruht sie denn endlich, die erste
bekannte Dichterin des Zigeunervolkes, auch eine jener gegeisselten
Königinnen des Gesanges, "deren Purpurmantel mit dem eigenen Herzblut
getränkt ist, deren Lorbeerkranz die Dornenkrone nicht verdecken kann, die
ihre Stacheln tiefschmerzend in die bleiche, gramgefurchte Stirne
drückte".
Kein Denkmal wird man ihr setzen, höchstens wird sie irgend ein
Papierspeculant zur Heldin eines "Zigeunerromans" machen, wir aber müssen
den Druck der Verhältnisse beklagen, die mit roher Faust in die Saiten auch
dieses Dichtergemütes hineingegriffen haben. Ihr letztes Gedicht schrieb
sie in das Stammbuch meiner Gattin, der sie eine Rose schenkte und in
welchem sie ihren baldigen Tod vorausahnt:
Paskirven
tai bisteren man,
Bistrel uniyi;
M're vodyi andrai handako
Tradel luludyi.
Parne romniye, kay tute
Brigoya isi:
Dikh luludyi, buter isas
Mire brigoyi!
Bald begraben und vergessen
Werd' ich Arme sein;
Doch mein Herz treibt dann auch immer
Blumen auf den Rain.
Weisse Frau, ist einst dein Herze
Voll von Leid und Pein:
Blick' auf diese Rose, - grösser
War das Leiden mein!