Das Liebes-Poetische Manuskript
N° 4
Frauen - Liebe und - Leid Liebesgedichte von Frauen
Rachel Ruysch (1664-1750) Stillleben mit Blumen und Pflaumen |
Friederike Brun (1765-1835) Ich denke dein Ich denke dein, wenn sich im Blütenregen Der Frühling malt; Und wenn des Sommers mild gereifter Seegen In Ähren strahlt. Ich denke dein, wenn sich das Weltmeer tönend Gen Himmel hebt, Und vor der Wogen Wuth das Ufer stöhnend Zurücke bebt. Dein denk' ich, wenn der junge Tag sich golden Der See enthebt, An neugebornen zarten Blumendolden Der Frühthau schwebt. Ich denke dein, wenn sich der Abend röthend Im Hain verliert, Und Philomelens Klage leise flötend Die Seele rührt. Dein denk' ich, wenn im bunten Blätterkranze Der Herbst uns grüßt; Dein, wenn, in seines Schneegewandes Glanze, Das Jahr sich schließt. Am Hainquell, ach! im leichten Erlenschatten Winkt mir dein Bild! Schnell ist der Wald, schnell sind die Blumenmatten Mit Glanz erfüllt. Beim trüben Lampenschein, in bittern Leiden, Gedacht' ich dein! Die bange Seele flehte nah' am Scheiden: »Gedenke mein!« Ich denke dein, bis wehende Zypressen Mein Grab umziehn; Und selbst in Lethe's Strom soll unvergessen Dein Name blühn! |
Gedicht aus: Gedichte von Friederike Brun geb. Münter
Hrsg. von Friedrich Matthisson
Zürich 1795