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Hermione von Preuschen
(1854-1918)
Sonnenuhr
Schwül ist die Frühlingsnacht und sternenlos;
Der Regen rieselt unermüdlich nieder,
Und Kirchenglocken dröhnen nah und fern,
Die Stunde kündend. – Heut am frühen Tag
Schritt ich mit Dir im Borromeopark
An einer grossen Sonnenuhr vorüber.
Da kam es mir zu Sinn, was einst ich las:
"Und Menschenherzen giebt's, wie Sonnenuhren,
Die nur im Strahlenschein des gold'nen Lichts,
Der Sonne, die aus Andrer Herzen quillt,
Die Seelenzeiger rühren!" – Meine Sonne
Bist Du, nur Du. Wenn graue Wolken hüllen
Das, was allein die Seelenuhr bewegt,
Dann steh' ich kalt und theilnahmlos und stumpf,
Gleich jener Sonnenuhr, in dunkler Nacht;
Und nur das Eine, wie verschmachtend, schrei' ich:
"Gieb Deine Küsse mir, die Sonne, wieder!"
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