Das Liebes-Poetische Manuskript N° 48


Vom Freund und dem Geliebten

von Ramon Llull (1232-1316)

(Teil 2)
 

(c) Gerald B. Pixelio.de
(c) Gerald B. Pixelio.de

 


Der Freund nahm sich vor, einmal eine ganze Stunde lang
nicht an den Geliebten zu denken, damit er so lange
wenigstens Ruhe haben möge vor dem innern Leiden.
Er ward jedoch gar bald gewahr, daß es ihm noch weit
größeres Leiden verursache, wenn er der Gedanken
an den Geliebten sich entschlüge.
Von Stund' an entsagte er dem thörichten Beginnen
und gab der Liebe ein für allemal alle seine Kräfte
in Dienst; den Verstand, damit er einzig
nur den Geliebten betrachten,
das Gedächtniß, damit er seiner nur sich erinnern,
und den Willen, damit er ihn einzig lieben möge.
 

   

 

 

 

 

 

(c) Ilona Krause Pixelio.de
(c) Ilona Krause Pixelio.de

 

Die Leute fragten den Freund:
Sag' uns doch, du überaus seltsamer Liebhaber,
bist du reich? Reich genug, sprach er, an der Liebe!
So bist du denn überaus arm! erwiederten jene.
Arm genug, sprach er, an der Liebe.
Sie sprachen: Wie sollen wir das verstehn?
Er sprach: Ich bin reich genug, was mich selbst anlangt,
indem ich überfließe von der Liebe;
ich bin gar arm, was die andern anlangt,
indem mir nicht gelingen will,
dieselben mit meinem Feuer zu entzünden.

   

 

 

 

 

 

(c) Verena N. Pixelio.de
(c) Verena N. Pixelio.de

 

Sag' an, du allerseltsamster Liebhaber,
wo liegt dein Können?
Er sprach: In der Gewalt meines Geliebten.
Mit welchen Kräften hoffst du dich zu erwehren deiner Feinde?
Mit den Kräften meines Geliebten.
Woher nimmst du deinen Muth?
Aus den unerschöpflichen Schätzen
des Geliebten.

   

 

 

 

 

 

(c) Verena N. Pixelio.de
(c) Verena N. Pixelio.de

 

Es begab sich, daß die Liebe krank wurde,
weil der Freund einstmals vergessen hatte,
des Geliebten zu gedenken.
Doch jetzt gedachte er seiner wieder.
Von Stund an genas die Liebe;
allein der Freund erkrankte.

   

 

 

 

 

 

(c) Dirk Schmidt Pixelio.de
(c) Dirk Schmidt Pixelio.de

 

Die Leute fragten den Freund,
ob er hoffe, dem Geliebten
jemals ähnlich zu werden.
Er sprach: Das ist etwas,
woran ich bis jetzt noch nicht gedacht habe.
Mir genügt, des Geliebten Schönheit
zu betrachten und ihn nach
all meinem Vermögen zu lieben.

   

 

 

 

 

 

(c) Marco Barnebeck Pixelio.de
(c) Marco Barnebeck Pixelio.de

 

Sie fragten ihn noch ferne,
ob sein Geliebter auch Mangel leide
an irgend einem Dinge?
Er ward sehr traurig und sprach:
Mein Geliebter leidet allerdings überaus
großen Mangel an rechten
treuen Liebhabern, indem der Menschen
gar wenige sind, die ihn
nach seiner großen Würdigkeit
zu ehren und zu preisen wissen.

   

 

 

 

 

 

(c) CL Pixelio.de
(c) CL Pixelio.de

 

Der Geliebte fragte den Freund,
ob er auch noch
einigen Eigenwillen spüre.
Wie sollt' ich, sprach er,
da ich meinen Willen vorlängst
dem in Dienst gegeben habe,
der allein würdig ist,
unumschränkt über ihn zu gebieten.

   

 

 

 

 

 

(c) Usteen Pixelio.de
(c) Usteen Pixelio.de

 

Er fragte ihn noch ferner,
ob er denn auch fein geduldig sey.
Der Freund antwortete:
Wer keinen Willen mehr hat,
der kann nicht ungeduldig seyn.
Er verträgt alles; er hofft alles,
er glaubt alles; er duldet alles.

   

 

 

 

 

 

(c) J. Bredehorn Pixelio.de
(c) J. Bredehorn Pixelio.de

 

Der Freund sagte: Mein Geliebter
denke doch nicht, daß ich
irgend wohin gegangen,
um irgend einen andern Geliebten zu suchen;
denn es hat die Liebe mich dermaßen
vereinfältigt, daß mir nicht möglich fällt,
einen Zweyten zu lieben.
Der Geliebte erwiederte:
Es denke mein Freund doch nicht,
daß ich nur sein Geliebter sey
und keines andern. Mit nichten!
Ich habe der Liebhaber viele, von welchen
ich viel feuriger und inbrünstiger
geliebet werde, als von ihm.

   

 

 

 

 

 

(c) Momosu Pixelio.de
(c) Momosu Pixelio.de

 

Die Liebe mischte Freud und Leid mit einander
in dem Gemüthe des Freundes.
Solche Mischung verdroß die Freude,
welche hinging und die Liebe deshalb
vor dem Gerichtshof des Geliebten verklagte.
Da befahl der Geliebte, daß das Leid
sollte wieder ausgeschieden werden von der Freude.
Die Freude aber hatte nicht Ursache,
des Urtheils sich zu erfreun;
denn sobald sie war geschieden worden
von der Liebe Schmerz und Freuden,
nahm sie ab zusehends, und verschied endlich gar.

   

 

 

 

 

 

(c) J. Bredehorn Pixelio.de
(c) J. Bredehorn Pixelio.de

 

Es traf sich, daß die Liebe des Freundes
und die Liebe der Welt einander einmal begegneten.
Augenblicklich verschwand die letztere,
worüber die Leute sich dann gar sehr verwunderten.
Der Freund aber sprach:
Verwundert euch darüber nicht;
es ist ganz natürlich,
daß die Finsterniß vor dem Licht verschwindet.

   

 

 

 

 

 

(c) Jutta Wieland Pixelio.de
(c) Jutta Wieland Pixelio.de

 

Der Geliebte ward gefragt einmal,
wer sein Freund denn eigentlich wäre?
Der ists, antwortete er,
der nichts fürchtet oder scheut,
wenn's darauf ankommt, meine Ehre zu behaupten;
der ists, der sich selber gestorben,
einzig nur noch lebt dem Geliebten;
der ists, der aller Welt verkündigt,
daß man alles verläugnen und verkaufen müsse,
um nur die Liebe des Geliebten
zu gewinnen.

   

 

 

 

 

 

(c) Günther Schad Pixelio.de
(c) Günther Schad Pixelio.de

 

Die Liebe peinigte den Freund dermaßen,
daß er laut schrie vor Schmerzen,
auch den Geliebten flehentlich bat,
daß er doch bey ihm bleiben
und seine Qual mindern möge.
Der Geliebte blieb denn auch bey dem Freunde;
allein sein Verweilen diente nur,
die Liebe noch heftiger zu entzünden,
und zugleich mit der Liebe den Schmerz.
Denn es ist mit dem Lieben nicht so,
wie mit andern Dingen.
Schmerz ist Lust in ihr,
Und die Krankheit Gesundheit.
Auch kann diese Krankheit
nicht anders geheilt werden,
als durch die Vermehrung
der Krankheit selber.
 
   

 

 

 

 

 

(c) Michael Bührke Pixelio.de
(c) Michael Bührke Pixelio.de

 

Es begab sich, daß die Liebe erkrankte;
der Freund aber heilte sie mit der Geduld,
der Beständigkeit und dem Gehorsam.
Da besuchte der Geliebte den Freund,
lobte ihn sehr und beschenkte ihn
mit den Unterpfändern seines Wohlgefallens,
als da sind Innigkeit, Friedsamkeit, volle Gnüge.

   

 

 

 

 

 

(c) Verena N. Pixelio.de
(c) Verena N. Pixelio.de

 

Der Geliebte bot die Liebe feil,
und stellte aller Welt frey, zu kommen,
und von ihr zu nehmen, so viel sie nur wollten.
Allein es fanden sich gar wenige,
die der Liebe einigen Raum geben wollten in ihrem Herzen.
Da sprach die Liebe: Ich wohne in der Höhe Höhen,
und verschmähe nicht,
auch zu den Niedrigsten herabzusteigen.
Ich theile umsonst mich mit
und begehre weder Entgeld noch Erwiederung.
Darum wird denen, die mich verschmähn,
keine Art der Entschädigung bleiben.

   

 

 

 

 

 

(c) Kurt Michel Pixelio.de
(c) Kurt Michel Pixelio.de

 

Die Verächter des Geliebten
forderten den Freund vor Gericht.
Er erschien, brachte aber keine Sachwalt mit,
indem er nicht hatte, wovon er einen solchen
hätte bezahlen können.
Sie ihrerseits trugen allerley Nichtigkeiten gegen ihn vor,
unter andern dieß, daß er nicht lebe wie andre Leute.
Er sprach: Ich bin bevorrechtet,
und zeigte eine Freybrief vor aus der Kanzley der Liebe.
Als sie solchen aber nicht anerkannten,
vielmehr ihn ins Gefängniß werfen wollten,
appelierte er an die höhere Instanz seines Geliebten.

   

 

 

 

 

 

(c) MBorken Pixelio.de
(c) MBorken Pixelio.de

 

Hoch oben wohnte der Geliebte;
tief unten wohnte der Freund;
In der Mitte zwischen beyden wohnte die Liebe.
Der Geliebte stieg hinunter zu dem Freunde;
Der Freund stieg hinauf zu dem Geliebten;
Nicht selten traf es sich, daß sie
einander begegneten auf der Hälfte des Wegs
im Garten der Liebe, da es dann viel Kosens
und Küssens gab
zwischen diesem und jenem.

   

 

 

 

 

 

(c) Re.Ko. Pixelio.de
(c) Re.Ko. Pixelio.de

 

Zur Rechten der Liebe wohnte der Geliebte;
zu ihrer Linken wohnte der Freund.
Daraus entstand, daß der Freund
nicht zu dem Geliebten kommen konnte,
es wäre denn,
daß er durch die Liebe ginge.

   

 

 

 

 

 

(c) Peashooter Pixelio.de
(c) Peashooter Pixelio.de

 

Die Leute warnten den Freund.
Hör' auf, sprachen sie, die Wahrheit zu sagen,
oder du wirst verlacht, gescholten, geschlagen,
ja gar gemartert und getödtet werden.
Er sprach: Wenn mir solches wiederführe
um der Wahrheit willen,
was würde mir dann geschehn, wenn ich löge?
Man würde dich loben und lieben, sprachen sie,
oben an dich setzen und vor aller Welt dich ehren.
Da antwortete der Freund:
das müßten dann wohl
die Verkleinerer meines Geliebten thun;
denn mein Geliebter ist ein Liebhaber der Wahrheit.
 
   

 

 

 

 

 

(c) Günter Havlena Pixelio.de
(c) Günter Havlena Pixelio.de

 

Es kam jemand zu dem Freund, und bat,
daß er um der Liebe seines Geliebten willen
ihm vergeben wolle.
Augenblicklich vergab der Freund ihm nicht nur,
sondern er schenkte ihm auch
sich selbst und alles, was er hatte,
um der großen Liebe willen,
die er trug zu dem Geliebten.

   

 

 

 

 

 

(c) Marco Barnebeck Pixelio.de
(c) Marco Barnebeck Pixelio.de

 

Der Geliebte fragte die Leute,
ob sie seinen Freund gesehen hätten,
und als sie wissen wollten, wie er aussähe
und woran man ihn erkennen möge,
beschrieb er ihnen denselben auf folgende Weise:
Mein Freund ist dreist und blöde,
reich und arm, froh und traurig,
ruhsam und gedankenvoll,
dazu immer krank von Liebe.
Ein solcher, sprach er, ist mein Freund.

   

 

 

 

 

 

(c) Rainer Sturm Pixelio.de
(c) Rainer Sturm Pixelio.de


Eines Tages ging der Freund in ein Kloster,
darin geistliche Leute wohnten,
sie fragten ihn, ob er auch geistlichen Standes sey.
Er sprach: Ich bin von dem Stande meines Geliebten.
In wessen Hände hast du die Gelübde geleistet?
In die Hände meines Geliebten.
Hast du auch noch einen absonderlichen Willen?
Keineswegs; meinen Willen hat der Geliebte.
Hast du auch etwas hinzugethan
zur Regel deines Geliebten?
Zur Vollkommenheit läßt sich nichts hinzuthun.
Die Ordensbrüder schwiegen.
Dagegen fing nun der Freund an,
sie zu befragen und sprach:
Sagt mir doch, lieben Brüder,
warum ihr nicht auch den Namen
meines Geliebten führet,
da ihr euch doch dafür ausgebt,
seines Standes zu seyn?
Ist nicht zu besorgen, daß,
indem ihr nach einem andern euch nennt,
dieser Andere euch lieber werde, denn er?
und indem ihr höret auf die Stimme eines andern,
daß ihr damit endigen werdet,
seine Stimme überall
nicht mehr zu verstehen.


 
   

 

 

 

 

 

(c) Bernd Boscolo Pixelio.de
(c) Bernd Boscolo Pixelio.de

 

Der Geliebte rief dem Freunde.
Gar süßiglich antwortete dieser:
Was beliebt dir, mein Geliebter,
der du bist das Auge meiner Augen,
der Gedanken meiner Gedanken,
die Vollkommenheit meiner Vollkommenheiten,
die Liebe meiner Liebe,
und all meines Dichtens und Trachtens
Ziel und Ende?

   

 

 

 

 

 

(c) Rainer Kaupil Pixelio.de
(c) Rainer Kaupil Pixelio.de

 


Der Freund schiffte auf dem Meer der Liebe
und gerieth in große Gefahr.
Ihm war fast bange, doch vertraute er
der Hülfe des Geliebten.
Der Geliebte aber sprach zu ihm:
Es verhält sich gar anders mit diesem Meer,
als mit den andern Meeren.
Wer in diesem zu Grunde geht, der wird erhalten,
wer aber oben bleibt, der kommt um.
Ganz das Widerspiel findet statt
auf den andern Meeren!
Als das der Freund hörte, ließ er
alle Bangigkeit fahren.
 

   

 

 

 

 

 

(c) Leo Herrmann Pixelio.de
(c) Leo Herrmann Pixelio.de

 


Man fragte den Freund, welch ein Unterschied sey
zwischen dem Wissen des Einfältigen
und des Hochgelehrten.
Er sprach: das Wissen des Gelehrten
gleicht einem überaus großen Haufen Getreides,
das noch nicht geworfelt worden;
das meiste ist Spreu, des Korns sehr wenig.
Das Wissen des Einfältigen
gibt nur ein kleines Häufchen,
aber reinen vollen Korns.
Das macht, es fehlt diesem, wodurch der andere so groß geworden: der Vorwitz, der Eigendünkel,
die Spitzsündigkeit.
 

   

 

 

 

 

 

(c) Gwen2000 Pixelio.de
(c) Gwen2000 Pixelio.de

 
Der Freund gedachte an seine Sünden.
Er hätte weinen mögen aus Furcht der Hölle;
allein die Thränen wollten nicht kommen.
Er wandte sich an die Liebe, und bat,
ihm zu borgen von ihren Thränen.
Sie aber sprach: Meine Thränen
sind viel zu köstlich und edel,
als daß ich dir davon mittheilen könnte
zu einem so schnöden Zwecke.
Kannst du weinen aus Furcht der Strafe,
so bist du noch kein rechter Liebhaber;
denn die Furcht verträgt sich nicht mit der Liebe.
Diese Worte schnitten den Freund in das Herz.
Er weinte mildiglich; aber nicht aus Furcht,
sondern aus Liebe.
   

 

 

 

 

 

(c) Kunstzirkus Pixelio.de
(c) Kunstzirkus Pixelio.de

 

Der Freund erkrankte. Der Geliebte rieth ihm,
sein Testament zu machen.
So vermachte er denn seine Sünden der Buße,
seine Ergötzlichkeiten der Vergessenheit,
das Weinen und die Thränen seinen Augen,
die Sehnsucht und die Liebe seinem Herzen,
seine Betrachtungen und Beschauungen dem Verstande.
Und mir, sprach der Geliebte, hinterläßt du nichts?
Gar nichts, erwiederte der Freund.
Denn was ich habe, hattest du schon vorhin;
dazu auch, was ich bin und bleibe.

   

 

 

 

 

 

(c) Momosu Pixelio.de
(c) Momosu Pixelio.de

 

Der Freund gedachte an den Tod,
und konnte nicht umhin,
sich ein wenig vor ihm zu fürchten.
Doch jetzt erinnerte er sich der Stadt des Geliebten,
zu welcher der Tod die Pforte,
und die Liebe die Pförtnerin ist.
Sofort war alle Bangigkeit
aus ihm verschwunden.

   

 

 

 

 

 

(c) Sigrid Harig Pixelio.de
(c) Sigrid Harig Pixelio.de

 

Der Freund ward gefragt:
Stirbt die Liebe auch? und wo? und wann?
Er sprach: Sie stirbt in den Eitelkeiten dieser Welt.
Weiter ward er gefragt: Wo lebet die Liebe,
und wie wird sie genähret?
Er antwortete: In dem Andenken an jene Welt.
Da faßten die, welche solche Fragen gethan hatten,
den Entschluß, von Stund an aller Eitelkeit zu entsagen,
damit sie einzig pflegen möchten jenes seligen Angedenkens,
worin die Liebe lebt,
und wodurch sie einzig mag genährt werden.


(Teil 1)



Alle Texte aus: Die Ströme [Jeanne Marie Bouvieres de La Motte Guyon]
Gotthard Ludwig Theobul Kosegarten [1758-1818] (Übersetzer)
Stralsund Königl. Regierungs-Buchhandlung 1817
(Im Anhang: Des Eremiten Blacherna Büchlein vom Freund und dem Geliebten S. 174-182)


siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Ramon_Llull


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