Das Liebes-Poetische Manuskript N° 59

Du bist der Himmel und du bist auch das Nest  ...

Rabindranath Tagore (1861-1941) - Aus dem Gitanjali
Bilder von Odilon Redon (1840-1916)
 


 Odilon Redon (1840-1916)
Die Gnadenwahl



Rabindranath Tagore (1861-1941)

87.

Voll verzweifelter Hoffnung
geh ich umher und suche nach ihr
in allen Winkeln des Hauses,
ich finde sie nicht.

Mein Haus ist klein, und was einmal ging,
kann sich nie wiederfinden.
Aber unendlich groß
ist dein Haus, o Herr,
und sie suchend kam ich an deine Tür.

Ich stehe unter dem goldenen Dach
deines Abendhimmels
und hebe die flehenden Augen
zu deinem Antlitz.

Ich kam zum Rande der Ewigkeit,
in der nichts schwindet –
nicht Hoffnung, nicht Glück
und nicht das Bild eines Angesichtes
durch Tränen geschaut.

O, tauch mein entleertes Leben
in jenen Ozean,
versenk es in seine tiefste Fülle.
Laß mich noch einmal fühlen
im weiten Weltall
die süße verlorne Berührung.


 

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Übersicht

 

Aus: Rabindranath Tagore Hohe Lieder (Gitanjali)
Deutsche Nachdichtung von Marie Luise Gothein [1863-1931]
Kurt Wolff Verlag Leipzig 1914 (4. Auflage) (S. 115)

 

Das gesamte Gitanjali von Tagore siehe:
www.deutsche-liebeslyrik.de/gottesliebe/gottesliebe_tagore_gitanjali.htm



 


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